Religionssoziologe Ebertz zur Vertrauenskrise der Kirche

"Nötig ist Selbstreflexion aller Verantwortlicher"

Die Missbrauchsaffäre in der katholischen Kirche hat im vergangenen Jahr zu einem Anstieg von Kirchenaustritten um rund 40 Prozent geführt. Der Freiburger Prof. Michael Ebertz sucht im domradio.de-Interview nach Wegen aus der Krise.

 (DR)

domradio.de: Der Anstieg der Kirchenaustritte stehe für einen Vertrauensverlust, den die Kirche durch die Missbrauchsfälle erlitten habe, sagte der Kölner Generalvikar Schwaderlapp. Er will das verlorene Vertrauen mit gesteigerter Transparenz wiedergewinnen. Wie muss diese Transparenz aussehen?

Michael Ebertz: Zunächst möchte ich etwas zum Vertrauensverlust sagen. Das klingt mir etwas zu harmlos. Es ist eine sehr tiefe Erschütterung passiert. Zum ersten Mal musste die Kirche und ihre Vertreter vor der gesellschaftlichen Moral kapitulieren. Die Kirche versteht sich ja mit ihren Vertretern häufig als die Moralagentur, die gewissermaßen über der Gesellschaft und deren Moral steht. Es ist also eine tiefe Erschütterung im Verhältnis von Kirche und Gesellschaft entstanden. Es ist mehr als ein Vertrauensverlust, es ist eine Statuskrise der Kirche, ihr standing in der Gesellschaft ist ein völlig anderes geworden, so dass die Antwort nicht nur heißen kann: mehr Transparenz, sondern die Antwort muss jetzt in Richtung Selbstreflexion aller derer gehen, die in der Kirche Verantwortung tragen: Was ist eigentlich passiert? Es muss weiter gehen, es muss eine Erforschung stattfinden derer, die sich nun von der Kirche distanziert haben, und zwar durch Austritt. Wir haben im Grunde keine Studien über die wirklichen Motive des Austritts, wir haben keine wirklichen Studien über das Sozialprofil derer, die ausgetreten sind. Wir ahnen nur über bestimmte Anekdoten und Beispiele, dass nun ganz andere Menschen ausgetreten sind als bisher. Bisher waren es Menschen unter 50, männlich, gut gebildet, mit einem überdurchschnittlichen Einkommen. Man hört, dass nun zum ersten Mal Menschen ausgetreten sind, die ein ganz anderes Profil haben, älter sind, auch weiblich, ganze Familien seien ausgetreten. Also das muss erst einmal erforscht werden und es muss im Grunde auch einmal untersucht werden, was Menschen eigentlich in der Kirche hält, was sie bindet, was sie von dieser Kirche erwarten. Ich glaube, da gehen die Wege auch weit auseinander. Dass Menschen in der Kirche Fehler machen, das gesteht wohl jeder zu, aber es gilt der Satz, der fest in der Mentalität der Menschen verankert ist: Aus Fehlern muss man lernen. Also muss jetzt auch gezeigt werden, dass wirklich gelernt wird aus dieser tiefen Statuskrise unserer Kirche.



domradio.de: Welche Chance bieten kritische Gläubige gerade jetzt?

Ebertz: Zunächst einmal würde ich sagen, dass die Initiative, die der Vorsitzende der Bischofskonferenz Zollitsch ergriffen hat, einen Dialog zu führen, erst einmal sehr sinnvoll ist. In einer tiefen Krise müssen all diejenigen, die Teil dieser Kirche sind, zusammenstehen und solidarisch sein. Aber nicht, um die Dinge schönzureden. Jetzt muss mit guten Methoden, ehrlich und offen, und mit entsprechenden Stilformen und  Anstandsformen miteinander geredet werden. Und zwar nicht nur die Bischöfe untereinander, sondern auch diejenigen, die engagiert als Laien, getauft und gefirmt in dieser Kirche Verantwortung tragen.



domradio.de: Viele seien aus persönlichem Protest und auch aus Abscheu vor diesem Skandal gegangen, sagt der Kölner Generalvikar. Wenn sie diese jetzt zurückholen könnten, was möchten sie ihnen sagen? Was bedeutet katholische Kirche in der Zukunft?

Ebertz: Viele sind gegangen, ohne auszutreten, viele sind ausgetreten - und das ist vermutlich auch etwas Neues - und dann in die evangelische Kirche eingetreten, d.h. sie wollen ein tätiges Christentum, aber nicht mehr mit einer Kirche, die einen solchen Makel hat. Früher sind die Menschen aus der Kirche ausgetreten, sozusagen ins religiöse Niemandsland, in die religiöse Unverbundenheit. Jetzt ist doch ein hoher Anteil in eine andere Kirche eingetreten, sie sind also nach wie vor kirchliche Christen. Es gibt auch Menschen, die nicht ausgetreten, aber trotzdem auf Distanz gegangen sind, und zwar sehr viele Menschen, die sehr engagiert waren und jetzt sagen: Jetzt ist ein Punkt erreicht, jetzt kann ich mich nicht mehr engagieren, jetzt geht es nicht mehr. Ich brauche zumindest ein Moratorium, eine vorübergehende Denkpause. Oder sie orientieren ihr Christsein anders und engagieren sich eben an andere Stelle. Was würden man denen sagen? Man müsste tatsächlich sagen: Diese Institution Kirche lernt. Sie hat begriffen, was passiert ist. Und sie wird ihre Konsequenzen ziehen. Das wird aber auch bedeuten, dass Ergebnisse herauskommen müssen, die dann auch entschieden umgesetzt werden.



Interview: Monika Weiß