Kloster Ettal will Missbrauchsopfer individuell entschädigen

Kaum neue Erkenntnisse

Das bayerische Benediktikerkloster Ettal will die Opfer von Misshandlung und Missbrauch in seiner Internatsschule individuell entschädigen. Wie der von der Abtei beauftragte ehemalige Bundesverfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch am Donnerstag vor Journalisten mitteilte, werden die Benediktiner aus eigenem Vermögen einen Entschädigungsfonds über 500.000 Euro auflegen.

 (DR)

Eine vom Kloster unabhängige Kommission unter Vorsitz der früheren Präsidentin des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Edda Huther, werde über die Zahlungen entscheiden. Die Beschlüsse der Deutschen Bischofskonferenz dienten als "Orientierungsgröße", es solle aber keinen Pauschalbetrag wie bei den Jesuiten geben.



Um alle Geschädigten zu erreichen, werde das Kloster die Altettaler anschreiben und auf seiner Homepage im Internet informieren. Die als "Zeichen tätiger Reue" und nicht als Wiedergutmachung gedachten Zahlungen sollten möglichst bis Ende Mai formlos beantragt werden. Die Zahl der Opfer soll über 100 liegen, die Zahl der beschuldigten Patres und Erzieher bei mindestens 15.



Wissenschaftliche Aufarbeitung

Die Abtei hat laut Jentsch außerdem ein vom Ettaler Opferverein vorgeschlagenes Münchner Institut beauftragt, das Geschehen wissenschaftlich aufzuarbeiten und dabei die psychologischen und soziologischen Ursachen der Übergriffe zu ermitteln. Die Ergebnisse sollen dokumentiert werden. Auch sei beabsichtigt, einen "Ort des Gedenkens" zu schaffen, damit Schüler, Eltern und Erzieher "aus der schlimmen Vergangenheit lernen können".



Bei der Sichtung der ihm vorliegenden rund 90 Opfer- und Zeugenberichte kam der Jurist zu ähnlichen Ergebnissen wie der voriges Jahr vom Erzbistum München und Freising beauftragte Sonderermittler Thomas Pfister. Auch wenn die Zahl der Opfer und Übergriffe, die bis in die 1940er Jahre zurückreichten, wohl nicht genau rekonstruiert werden könne, reiche sie aus, "um die Erziehungspraxis im Kloster Ettal in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu bewerten", sagte Jentsch. Sexueller Missbrauch und Grenzüberschreitungen der Intimsphäre der Schüler seien "hinreichend belegt", ebenso Misshandlungen.



"System der körperlichen Gewaltanwendung"

Nach den Erkenntnissen des Juristen existierte im Klosterinternat und dem angeschlossenen Gymnasium ein "System der körperlichen Gewaltanwendung", das von den Patres wie den zur Aufsicht eingesetzten Schülern "bewusst als Erziehungsmittel eingesetzt wurde". Vermutlich habe in Ettal ein "Ritual der Disziplinierung geherrscht", das den Anspruch auf Zucht und Ordnung mit außergewöhnlicher Härte exekutierte". Als Beleg verwies Jentsch auf "Klassenschläge" und die Tatsache, dass ein ehemaliger Abt während seiner 30-jährigen Amtszeit selbst an körperlichen Züchtigungen beteiligt war. Zugleich bestätigte der Ex-Richter frühere Einschätzungen, wonach es um 1990 zu einer Wende gekommen sei.



Als Faktoren, die eine gewalthaltige Pädagogik gefördert haben könnten, nannte Jentsch eine bis 1980 fehlende pädagogische Ausbildung der als Erzieher eingesetzten Mönche, zu wenig Personal und räumliche Enge, aber auch inkonsequentes Verhalten von Eltern.

Diese hätten, wenn sie von Übergriffen auf ihre Kinder erfahren hätten, diese zwar von der Schule genommen. Sie seien aber nicht gegen Täter und Schule vorgegangen. "Sie müssen sich wohl vorhalten lassen, damit eine unerträgliche Erziehungspraxis geschützt zu haben."



Opferverein mit Fortschritten der Aufarbeitung zufrieden

Der Verein Ettaler Missbrauchs- und Misshandlungsopfer ist mit den Fortschritten der Aufarbeitung zufrieden. Der Vorsitzende Robert Köhler würdigte den von Ex-Bundesverfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch im Auftrag des Klosters am Donnerstag vorgelegten Bericht als "Meilenstein".

Wesentliche Erwartungen seines Vereins, der die Interessen von rund 50 Opfern vertritt, seien erfüllt worden.



Köhler verwies auf den Forschungsauftrag an ein Münchner Institut zur Ergründung der systemischen Ursachen und den geplanten "Ort des Gedenkens". Jentsch habe sein Vertrauen, dass die öffentlichen Ankündigungen in die Tat umgesetzt würden.



Wichtig sei auch, "dass Ettal sich traut, ein eigenes Entschädigungskonzept zu machen", sagte Köhler. Vor allem mit den Modalitäten einer individuellen Anpassung der Zahlungen sei er zufrieden. Dies gelte aber nicht für die zu erwartende Höhe der durchschnittlichen Summe. Es sei nicht einzusehen, warum Opfer von Benediktinern der Kirche in Österreich mehr wert seien als in Deutschland. Zudem rechne er damit, dass es zu dem Ettaler Konzept in den nächsten Tagen "viel Gegenwind" aus der Deutschen Bischofskonferenz geben werde.



Abt Barnabas Bögle sagte, Jentschs Bericht habe ihn trotz der bereits bekannten Vorkommnisse erneut erschüttert. Der Konvent müsse weitere Anstrengungen zur Aufarbeitung unternehmen. So sei für ihn klar, dass die Übergriffe nicht nur psychologische und soziologische Ursachen hätten. Es sei auch eine wesentliche Forderung der Ordensregel nicht ernstgenommen worden, nämlich miteinander "hörend und sensibel umzugehen".