Irischer Sender erhebt schwere Vorwürfe gegen den Vatikan

Störfeuer aus Rom?

Die Vorwürfe dieser TV-Reportage wiegen schwer: Der Vatikan soll sich in den 1990er Jahren direkt in Untersuchungen der Irischen Bischofskonferenz zu Missbrauchsfällen eingeschaltet und Anzeigen gegen pädophile Priester verhindert haben.

Autor/in:
Jochen Hung
 (DR)

Eine Sendung von Irlands öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalt RTE, die am Montagabend ausgestrahlt wurde, beschreibt, wie der Vatikan die Bemühungen der irischen Bischöfe um eine Klärung der Missbrauchsfälle in ihren Gemeinden systematisch boykottiert habe.



In der Dokumentation wird unter anderen der Fall des Priesters Tony Walsh beleuchtet, der 1992 von einem Kirchentribunal wegen Kindesmissbrauchs verurteilt und aus dem Amt entfernt wurde. Walsh focht das Urteil jedoch beim Vatikan an. Und während man in Rom darüber beriet, habe er sein Priesteramt weiter ausgeübt und ein weiteres Kind missbraucht. Zwar bestätigte der Vatikan nach einigen Jahren das Urteil, änderte die Strafe jedoch in einen zehnjährigen Klosteraufenthalt - ein Affront gegen den damaligen Primas von Irland, Desmond Connell, auf dessen Initiative das Tribunal eingerichtet worden war, urteilen die Autoren.



Als Reaktion auf das Bekanntwerden der Übergriffe von Walsh und anderen Priestern stellte die Irische Bischofskonferenz 1996 neue Richtlinien zum Schutz von Kindern auf, nach denen jeder ernsthafte Missbrauchsverdacht gegen Priester automatisch der Polizei gemeldet werden sollte. Kurz nach der Veröffentlichung der neuen Bestimmungen, so heißt es im Bericht, bekamen die Bischöfe jedoch erneut Gegenwind aus Rom. In einem vertraulichen Brief, der den Machern der Dokumentation vorliege, habe man unmissverständlich klar gemacht, dass der Vatikan die Richtlinien nicht akzeptiere. Falls die Bischöfe sie anwandten, werde man sich auf die Seite des beschuldigten Priesters stellen, wenn dieser sich an den Vatikan wende.



Wenige Jahre später, bei einem Treffen der irischen Bischöfe in der vatikanischen Kleruskongregation, mahnte der damalige Präfekt der Kongregation, Kardinal Darios Castrillon Hoyos, an, dass die Bischöfe zu ihren Priestern wie "ein Vater und nicht wie ein Polizist" sein sollten. "Ich glaube nicht, dass man damals im Vatikan akzeptierte, dass es hier auch um Kriminalität ging", meldet sich der irische Bischof Michael Smith in der Dokumentation zu Wort.  "Man sah Missbrauch immer noch als moralische Angelegenheit, die nur den Priester und seinen Bischof anging und nicht als kriminelle Aktivität, die weitreichende Auswirkungen hatte nicht nur für das Kind, sondern auch dessen Familie. Das ist eine große Wunde im Leben der Kirche."



Brisant in Bezug auf Hirtenbrief

Die Dokumentation ist besonders brisant in Bezug auf den Hirtenbrief, den Papst Benedikt XVI. im März 2010 an die Gläubigen in Irland richtete. Darin wurden die dortigen Bischöfe scharf für den Umgang mit der Missbrauchskrise und besonders für die Missachtung der Rechte der Opfer kritisiert. Im Licht der Dokumentation über ein angeblich jahrelanges Störfeuer des Vatikan bekommt diese Kritik eine ganz andere Klangfarbe.



Die Sendung befasst sich auch eingehend mit dem Umgang des damaligen Kurienkardinals Joseph Ratzinger, als Präfekt der Glaubenskongregation und später als Papst, mit der Missbrauchskrise.

Es wird dargestellt, dass er zwar schon früh - auch gegen den Widerstand anderer Kardinale wie Castrillon Hoyos - auf eine koordinierte Antwort auf die Missbrauchsfälle gedrängt habe; dass er sich jedoch auch in vielen Fällen auf die Seite der Beschuldigten gestellt und dafür gesorgt habe, dass laufende innerkirchliche Verfahren ausgesetzt wurden. Damit, so der Tenor der Sendung, habe sich der spätere Papst selbst nicht an jene Vorgaben gehalten, die er in dem Hirtenbrief an die irischen Bischöfe richtete.



Die jüngeren Bemühungen des Papstes, das Missbrauchsproblem anzugehen, werden in der Sendung lobend erwähnt. Doch, so der Abschlusskommentar, bevor der Vatikan nicht eingestehe, "dass es gerade die Struktur dieser Institution ist, die zu diesem Problem beigetragen hat, wird eine Erneuerung der katholischen Kirche nur sehr schwer zu erreichen sein".