Erstmals trafen sich am Bonner Jesuitenkolleg Ordensvertreter und Missbrauchsopfer

Begegnung am "Eckigen Tisch"

Erstmals seit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals am Bonner Jesuiteninternat Aloisiuskolleg kam am Wochenende in Königswinter der sogenannte "Eckige Tisch" zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle zusammen. Mit dabei war auch Ursula Raue, die Berliner Missbrauchsbeauftragte der Jesuiten.

Autor/in:
Ebba Hagenberg-Miliu
 (DR)

Einlader war die gleichnamige Opfergruppe. Als Gäste nahmen auch drei Vertreter des Kollegs teil. Weitere Betroffene waren per Videokonferenz zugeschaltet.

Sachlichkeit statt Kühle
Wo zeigten Schule und Orden angesichts der Leiden der Opfer und ihrer Familien an den Folgen der Übergriffe ehrliche Betroffenheit, wurde den Kollegsvertretern vorgeworfen. «Es ist keineswegs so, dass uns das nicht an die Nieren geht. Verwechseln Sie bitte Sachlichkeit nicht mit Kühle», entgegnete Kollegssprecher Robert Wittbrodt. «Sie sind für mich extrem unglaubwürdig, weil Sie 30 Jahre das Treiben der Jesuiten mit angesehen haben. Ich fordere auch Ihren Rücktritt», musste Schulleiter Bernhard Wißmann einstecken.

Das Kolleg hatte sich im März mit einem detaillierten Zwischenbericht zu den Missbrauchsfällen nebst Aufführung der bislang innerhalb sechs Jahrzehnten sechs bekannten Täterpater an die Öffentlichkeit gewandt. Derzeit bereitet es einen Leitfaden zur Prävention sexueller Gewalt an Schulen und in Internaten vor.

Leid und heiße Wut
Er verstehe, dass sich in dieser Runde das Leid und die heiße Wut der Betroffenen entlüden, kommentierte Jesuitenpater Philipp Görtz. «Leider wird noch alles in einen Topf geworfen. Aber wir sind gekommen, um genau zuzuhören und neue Informationen zu sammeln.»

Auch neue Befürchtungen wurden auf den «Eckigen Tisch» gelegt. Etwa, dass 2002 Nacktfotos eines Internatsjungen im Internet kursierten. Die hatte der Hauptverdächtige des Skandals, der 82-jährige ehemalige Internats- und Schulleiter, gegen den jetzt bei der Bonner Staatsanwaltschaft wegen nicht verjährter Fälle ermittelt wird, aufgenommen. Der Anfang März zurückgetretene Rektor Pater Theo Schneider hatte 2007 sämtliche anrüchigen Fotos seines Ziehvaters auf Rat der Missbrauchsbeauftragten Ursula Raue beseitigt.
Raue unter Beschuss
Deshalb geriet Raue am Samstag am Eckigen Tisch unter Beschuss.
Vernichtung von brisantem Beweismaterial warfen die Betroffenen ihr vor. «Ja, das war ein Fehler. Ich sah damals in den Fotos keinen Straftatbestand erfüllt», gestand Raue ein. «Es wäre eine Katastrophe, wenn das Verfahren gegen den ehemaligen Internats- und Schulleiter eingestellt würde», erklärte einer der Betroffenen.

Aber der «Eckige Tisch» forderte auch, dass der Ziehsohn des Verdächtigten, der der Mitwisserschaft beschuldigte Pater Schneider, zur Rechenschaft gezogen werde. Der Jesuit war am Samstag nicht zum Treffen erschienen. Die Opfergruppe erwog, gegen den Ex-Rektor wegen unterlassener Hilfeleistung Anzeige zu erstatten. Er befürchte, dass am Aloisiuskolleg Taten weiter vertuscht würden, erklärte der Sprecher des Tischs, Jürgen Repschläger. Er beharre deshalb auf vollständiger Aufklärung der Taten und der nachfolgenden Vertuschung. Der Eckige Tisch fordere zudem eine finanzielle Unterstützung für alle Betroffenen.