Vatikan sucht weiter nach Lösungen im Missbrauchsskandal

Solidarität und Irritationen

Die Passions- und Ostertage sollten eigentlich eine liturgische
Gedenk- und Feierphase inmitten der Woge des Missbrauchsskandals sein. Dennoch gingen die Auseinandersetzungen um die sexuellen Vergehen von katholischen Geistlichen weiter. Ein Kommentar von Johannes Schidelko.

Autor/in:
Johannes Schidelko
Benedikt XVI.: Priesterjahr-Schlussfeier könnte Rahmen für Brief bilden (KNA)
Benedikt XVI.: Priesterjahr-Schlussfeier könnte Rahmen für Brief bilden / ( KNA )

Dass die höchsten Festtage in Rom einen so ungewöhnlichen Verlauf nahmen, lag unter anderem an unrealistischen Vorstellungen mancher Medien, aber auch an einer holprigen vatikanischen Regie. Es war nicht zu erwarten, dass Benedikt XVI. die Osterliturgie zum Anlass für eine Klarstellung oder für ein «mea culpa» zu dem Missbrauchsskandal machen würde, zu dem er sich wiederholt und unmissverständlich geäußert hatte, zuletzt vor drei Wochen in einem großen Brief an die irischen Katholiken. Es war auch wenig wahrscheinlich, dass er in seiner Osterbotschaft an 1,2 Milliarden Christen ein Thema entfalten würde, das derzeit die katholische Kirche in etwa einem Dutzend Länder spürbar belastet. Darunter ist auch seine deutsche Heimat, wo einige trotz einer im internationalen Vergleich geringen Zahl von Tätern im Priesteramt meinen, man stehe im Zentrum des Missbrauchsskandals.

Kardinäle fallen aus dem Rahmen
Zur Linie des Papstes, der zu Ostern ganz bewusst nicht über die regionalen Missbrauchskrisen sprechen wollte, passte nicht, dass der Vatikan-Prediger Raniero Cantalamessa, ein begnadeter Redner und großer Kapuzinertheologe, in seiner Karfreitagspredigt vor dem Papst dann doch konkret auf die Missbrauchsdebatte einging. Für den unglücklichen Vergleich mit Stereotypen des Antisemitismus, den er aus dem Brief eines jüdischen Freunds zitierte, musste er sich umgehend entschuldigen. Und gerätselt wurde auch über die ungewöhnliche Solidaritätsadresse von Kardinaldekan Angelo Sodano an den Papst, die Kirche lasse sich nicht von «momentanem Gerede» beeindrucken. Dass in der deutschen Übersetzung der Begriff chiacchiericcio mit «Geschwätz» die Einlassung nochmals zuspitzte, kam hinzu. Die vage Wortwahl des Kardinals führte dazu, dass Missbrauchsopfer sich unverstanden fühlen mussten.

Unterdessen nutzten Kirchenvertreter in aller Welt das Medieninteresse der Ostertage zu Kommentaren rund um den Missbrauchsskandal und sein Medienecho. Erzbischof Bruno Forte von Chieti, einer der angesehensten Theologen Italiens und als möglicher Nachfolger von Kardinal Walter Kasper genannt, sprach von einer «wachsenden Christophobie». Wenn in Pakistan ein Christ bei lebendigem Leib verbrannt werde, im Sudan sieben Christen gekreuzigt oder in Irak und Indien Dutzende ermordet würden, mache das keine Schlagzeilen. Nach Ansicht des US-Theologen George Weigel wird Benedikt XVI. so sehr attackiert, weil er für die Wahrheit, für Gerechtigkeit, für Lebensschutz, für Ehe und für Familien eintritt. Und innerkirchliche Kritiker nähmen ihm übel, dass er sich der Revolution verweigert: der Abschaffung des Zölibats, der Frauenpriesterweihe und einem Autoritätsabbau der Bischöfe, so Weigel.

Falscher Adressat
Ein Kommentator von Radio Vatikan vermutet, die Kritiker wollten weniger diejenigen attackieren, die Kinder missbrauchen, als vielmehr Benedikt XVI. - obwohl gerade er ganz besonders energisch gegen den «Schmutz in der Kirche» vorgehe. Die Kampagne sei paradox gerade vor dem Hintergrund eines jüngsten US-Regierungsreports. Danach erfolgten 64 Prozent der Missbrauchsvergehen im Bereich der Familie.
In den Schulen des Landes würden zehn Prozent der Schüler belästigt. Katholische Geistliche seien mit einer Quote im Promillebereich beteiligt, vermeldet der Papstsender.

Noch immer ist nicht absehbar, wie der Vatikan aus der Vertrauenskrise herauskommen wird, die derzeit den deutschen Sprachraum, seit einigen Jahren bereits Irland, Australien und die USA belastet und inzwischen auch Italien erreicht. Der Papst habe sich wiederholt und in aller Eindringlichkeit geäußert; eine Steigerung sei schwer möglich, betonen Vatikansprecher. Das Kirchenoberhaupt könne nicht zu jedem Vorfall neu Stellung beziehen.

Das wäre schwierig gerade bei Entwicklungen, deren Dynamik und Ende nicht absehbar seien. Wichtiger scheint derzeit, dass die bereits strengen Vatikannormen aus dem Jahr 2001 zu Aufklärung und Aufarbeitung von Missbrauchsfällen sowie zur Prävention nochmals konkretisiert werden. Denn dank dieser Normen zeigen sich gerade in den USA, wo sie durch strenge nationale Kirchennormen ergänzt wurden, bereits messbare Erfolge.