Missbrauchsfälle an Jesuiten-Schulen - Bischofskonferenz "tief betroffen"

Berlin, Hamburg, Sankt Blasien

Der Skandal um den sexuellen Missbrauch von Schülern des Berliner Canisius-Kollegs zieht weitere Kreise. Der ranghöchste deutsche Jesuit, Pater Stefan Dartmann, erklärte am Montag vor Journalisten in Berlin, ihm seien bislang 25 Opfer bekannt. Außer den 20 Betroffenen am Canisius-Kolleg seien es 3 an der Hamburger St.-Ansgar-Schule und 2 Personen am Jesuitengymnasium in St. Blasien im Schwarzwald.

 (DR)

Die beiden mutmaßlichen Täter Peter R. (69) und Wolfgang S. (65) würden sexueller Übergriffe und der Anleitung zur Selbstbefriedigung und unsittlicher Berührungen beschuldigt. Die Missbrauchsfälle an Schülern seien in den Jahren 1975 bis 1984 erfolgt. Dartmann erklärte, Wolfgang S. sei auch außerhalb der Schulen des Missbrauchs verdächtig. So habe es in den 80er Jahren die Beschwerde einer Mutter aus dem Raum Göttingen gegeben, die ihn eines Übergriffs auf ihre 14jährige Tochter bezichtigt habe. Er habe zudem im Rahmen seines Laisierungsantrags angegeben, während eines Aufenthalts in Chile und Spanien zwischen 1985 und 1990 Übergriffe begangen zu haben.

Der Jesuitenprovinzial sagte, es stelle sich «die bohrende Frage, warum die Vorfälle damals nicht ans Licht gekommen sind». Offensichtlich hätten die Vorgesetzten der beiden Verdächtigen damals keine Meldepflicht gesehen. «Es wäre richtig gewesen, die Fälle an eine Strafverfolgungsbehörde zu übergeben», betonte er. Dies sähen auch die seit 2003 gültigen Richtlinien für Ordensangehörige vor.

Der Rektor des Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, räumte ein, dass es bereits 1981 «versteckte Hinweise» auf die Missbrauchsfälle in dem Jesuiten-Gymnsiaum gegeben habe. Die hätten sich in einer schriftlichen Kritik von ehemaligen Schülern am Konzept der Sexualpädagogik gefunden. «Ich schäme mich, dass die Schule damals nichts unternommen hat», so Mertes wörtlich. Er sagte auf Nachfrage, der Orden sei für finanzielle Ersatzansprüche der Opfer offen. Nach seinem Eindruck sei ihnen eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle die wichtigste Wiedergutmachung.
Taten verfährt?
Dartmann kündigte an, der Jesuitenorden werde auch überprüfen, inwieweit seine Verantwortlichen in der damaligen Zeit ihrer Dienstpflicht nicht nachgekommen seien. Zuvor müsse jedoch der für Mitte Februar angekündigte Bericht der Beauftragten des Ordens für die Opfer sexuellen Missbrauchs, Rechtsanwältin Ursula Raue, abgewartet werden.

Raue sagte am Montag, sie werde nun die Akten einsehen und wolle darüber sprechen, «welche Strukturen es befördert haben, dass es im Dunkeln blieb». Sie vermute den Ursprung in der katholischen Sexualmoral. «Ich weiß von zwei Tätern, mit denen ich auch Kontakt habe».

Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft unterdessen, ob die Taten inzwischen verjährt sind, wie ein Sprecher auf Anfrage sagte. «Offenbar ist das der Fall», fügte er hinzu und erläuterte. «Dann ist das Thema für uns als Strafverfolgungsbehörde durch.« Selbst wenn es Anfang der 1990er Jahre Strafvereitelung gegeben habe, sei auch diese längst verjährt.

Spitze eines Eisberges?
Der Berliner Verein Tauwetter - Anlaufstelle für Männer, die als Junge sexuell missbraucht wurden - glaubt, dass es sich bei den bisher bekanntgewordenen Fällen lediglich um die «Spitze eines Eisberges» handelt. Oft erlebten Opfer von Missbrauch, dass ihnen erst einmal nicht geglaubt werde und die Übergriffe vertuscht würden, sagte Traumafachberater Thomas Schlingmann. Viele Institutionen seien mehr um ihren Ruf, als um das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen besorgt.

Laut Schlingmann wurde die Mehrheit der über 100 Männer, die jährlich zu der Anlaufstelle kommen, «im sozialen Nahbereich» missbraucht. Die Täter seien unter anderen Trainer, Gruppenleiter, Freunde der Familie, aber eben auch Respektspersonen wie Lehrer oder Geistliche. Dabei habe gerade der «Übergriff durch eine Vertrauens- oder Autoritätsperson verheerende Auswirkungen für die kindliche Psyche».

Keine Missbrauchsfälle in Bonn bekannt
Am Bonner Aloisiuskolleg der Jesuiten sind keine Fälle des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen bekannt. Die beiden Lehrer, denen Missbrauch an Schülern des Berliner Canisius-Kollegs vorgeworfen wird, sind in Bonn nicht tätig gewesen, wie Rektor Pater Theo Schneider am Montag auf Anfrage sagte.

Das Aloisiuskolleg ist neben dem Canisius-Kolleg in Berlin und dem Jesuiten-Kolleg Sankt Blasien die bundesweit dritte Schule in Trägerschaft des Ordens.

Bischofkonferenz "tief betroffen"
Die Rechtsanwältin betonte, ihr gehe es darum, den möglichen Tätern klar zu machen, was die Opfer dabei empfunden haben. «Es ist immer wieder diese Scham, dieses verletzt worden sein, dieses nicht darüber reden können, nicht reden dürfen. Das ist schon etwas, was Leute dann doch über viele Jahre verfolgt.»

Die Deutsche Bischofskonferenz zeigte sich «tief betroffen» von den Berichten. Sprecher Matthias Kopp verwies in Bonn zugleich darauf, dass die Bischofskonferenz 2002 eigene Richtlinien erlassen habe. Diese seien «unmissverständlich und nach wie vor die Grundlage unseres Handelns.» Alle Diözesen hätten spezielle Beauftragte für die Untersuchung von Missbrauchsvorwürfen eingesetzt.