Betroffenenvertreter kritisieren Bistümer und Bischofskonferenz

Nichts gelernt?

Zu langsam, zu wenig Geld, retraumatisierende Verfahren: Betroffene sexualisierter Gewalt kritisieren, die Bistümer hätten nichts aus der Vergangenheit gelernt. Wie es funktionieren könnte, erläutert Patrick Bauer vom Beirat der Bischofskonferenz.

Patrick Bauer (Erzbistum Köln)

DOMRADIO.DE: Sie haben einen Brief an die deutschen Bischöfe geschrieben, Sie nennen ihn Hilferuf. Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) ist nun seit einem halben Jahr tätig, ihr gehören Fachleute aus den Bereichen Recht, Medizin und Psychologie an. Die Mitglieder wurden durch ein mehrheitlich nichtkirchliches Fachgremium vorgeschlagen und vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, berufen. Was hat Sie dazu bewogen, sich jetzt noch einmal an die Bischöfe zu wenden und diesen Hilferuf auch öffentlich zu machen?

Patrick Bauer (Eckiger Tisch Bonn, Mitglied im Betroffenenbeirat der DBK): Jens Windel und ich sind Mitglieder des Beirates. Der Brief stammt nicht von der Gänze der Mitglieder, weil es jetzt einfach schnell gehen musste. Und das ist auch der Grund, warum wir diesen Brief geschrieben haben: Uns erreichen ganz, ganz viele Anrufe und E-Mails von Betroffenen, die im Moment furchtbar enttäuscht sind, wie das Verfahren läuft. Und auch die Zahlen belegen, dass es einfach viel zu lange dauert.

DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung haben denn solche Anerkennungseistungen für die Betroffenen sexualisierten Missbrauchs überhaupt? Wir wissen alle: Solches Leid lässt sich mit finanziellen Mitteln ohnehin nicht wiedergutmachen.

Bauer: Richtig, aber es macht deutlich, dass katholische Kirche das, was uns angetan worden ist, anerkennt im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Beispiel: Da hat ein Betroffener 200-fachen Missbrauch erlebt und bekommt jetzt zu hören, die Kirche mache ein neues Anerkennungsverfahren mit bis zu 50.000 Euro Entschädigungssumme. Dieser Mann ist wie gesagt 200 Mal schwer missbraucht worden. Schwer missbraucht heißt immer, dass es auch mit Penetration einhergeht. Dieser Mann bekommt dann plötzlich 15.000 Euro und denkt sich: 'Wenn mir 200-facher Missbrauch angetan worden ist und ich bekam nur 15.000, was muss dann anderen passiert sein, die eventuell 50.000 bekommen?' Und dieser Fall ist kein Einzelfall. Und das ist genau der Punkt: Die Täter sind in der Regel verstorben. Das heißt, sie können sich nicht mehr bei uns entschuldigen. Sie können uns nicht mehr sagen, es tue ihnen leid oder uns in irgendeiner Form Genugtuung geben. Und um inneren Frieden zu finden, ist da eine deutliche Anerkennungsleistung seitens der Kirche wenigstens etwas, was uns selbst befrieden kann.

DOMRADIO.DE: Und der Fall, den Sie gerade geschildert haben, belegt, dass die Kirche tatsächlich ihr Versprechen nicht eingehalten hat, ihre Anerkennungsleistung an den oberen Grenzen der staatlichen Rechtsprechung für Schmerzensgeld zu orientieren?

Bauer: Ja, ich habe mir die Schmerzensgeldstabellen natürlich angeguckt. Das Problem ist nur, Sie finden uns oft nicht in diesen Tabellen. Sie finden da nicht die Angaben 100-facher, 200-facher oder 50-facher Missbrauch, schwerer Missbrauch. Da stehen auch die Schlafstörungen, die Unfähigkeit zum Vertrauen nicht drin. Auch die Depressionen finden Sie in keiner Schmerzensgeldtabelle. Deswegen ist es eigentlich auch nicht in Ordnung, sich daran zu orientieren. Aber wenn man sich dran orientiert, dann muss man sich auch daran orientieren, dass in Deutschland schon 70.000 und 80.000 Euro für Missbrauch gezahlt worden sind.

DOMRADIO.DE: Außerdem beklagen sie, dass die Bearbeitungsdauer der Anträge viel zu lange dauere. Wie lang dauert das denn in der Regel?

Bauer: 1.136 Anträge sind bisher eingegangen. Davon sind 150 bearbeitet in einem halben Jahr! Jetzt wurde die Zahl der Mitglieder der UKA von sieben auf neun aufgestockt. Sie bekommen noch zwei Sachbearbeiter. Aber das alles reicht doch nicht! Selbst wenn die jetzt es schaffen, doppelt so schnell zu arbeiten, sind wir für dieses Jahr bei 450 Anträgen. Dann bleiben immer noch fast 600 übrig. Wie wollen die das denn irgendwann bearbeiten? Es kommen doch noch Anträge nach. Und das geht einfach nicht.

DOMRADIO.DE: So ein Antrag ist sicher nicht einfach zu formulieren. Wie beurteilen Sie da die Beratungen der Betroffenen in den jeweiligen Bistümern?

Bauer: Ich selbst bin nie von jemandem beraten worden innerhalb des Bistums. Ich bin von einer Ordensansprechperson beraten worden. Die Beratung war sehr gut. Ich höre aber aus anderen Bistümern, dass das sehr, sehr unterschiedlich ist. Da gibt es welche, die sehr gut beraten werden. Es gibt aber auch welche, die mehr oder weniger völlig alleingelassen werden. Denen zum Beispiel nicht gesagt wird, was alles in den Antrag hinein muss. Die wenigsten wissen, dass sie ganz konkret reinschreiben müssen, was ihnen passiert ist. Alles einzeln auflisten. Und das ist das, was wieder retraumatisierend ist, wenn ich aufschreiben muss, wann, wo, wie ich missbraucht worden bin.

DOMRADIO.DE: Das heißt, jedes Bistum, jeder Orden arbeitet da irgendwie für sich. Woran liegt das in Ihren Augen?

Bauer: Es liegt an der Grundstruktur der katholischen Kirche. Jeder Bischof ist ein eigener Fürst, ist nur dem Papst gegenüber verantwortlich und nicht den anderen Mitbrüdern im Bischofsamt in Deutschland. Das heißt, jeder kocht sein eigenes Süppchen. Das sehen wir beim Synodalen Weg. Das sehen wir überall, wo es um gemeinsame Projekte innerhalb der katholischen Kirche geht. Es ist das Problem der Machtstrukturen innerhalb der katholischen Kirche. Nur wenn wir die endlich ändern, können auch da wirklich einheitliche Verfahren geschehen. Selbst wenn bei der Bischofskonferenz etwas einstimmig beschlossen wird, kann jeder Bischof nach Hause gehen und es anders machen. Das ist ein Problem.

DOMRADIO.DE: Was können die Bistümer jetzt konkret tun, um den Betroffenen gerecht zu werden?

Bauer: Das aktuelle Verfahren muss sofort gestoppt werden. Das ist unsere erste Forderung. Das ist das, was wir uns wünschen, um dann gemeinsam zu gucken, wie wir es besser machen können. Und wir bieten den Bischöfen dazu unsere Mitarbeit, wir wollen gemeinsam miteinander reden. Und ich bin der festen Überzeugung, wenn wir uns zum Beispiel an einem Stufenmodell orientieren oder an dem orientieren, was die Unabhängige Kommission 2019, in der auch Betroffene saßen, ausgearbeitet hat, dann können wir zum 1. September ganz schnell ein System stehen haben, das wirklich fair, transparent und vor allen Dingen auch wertschätzend ist.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR
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