Kirche will Machtmissbrauch gegen Männer in den Blick nehmen

Thema aus der Tabuzone holen

Erwachsene Männer als Betroffene von Machtmissbrauch? Das "starke Geschlecht" doch nicht und schon gar nicht in der Kirche. Mit einer neuen Initiative will die katholische Kirche das Thema aus der Tabuzone holen.

Autor/in:
Rainer Nolte
 (DR)

Pastoralreferent A. kam zu Beginn mit dem neuen Pfarrer gut zurecht. Aber mit der Zeit bemerkte A., dass der Pfarrer Koalitionen eingehen wollte, um einen gegen den anderen ausspielen zu können. Der Pastoralreferent wollte nicht mitspielen und spürte schnell die Macht des Pfarrers.

"Er behandelte mich wie einen Anfänger", schildert er. Alles an seiner Arbeit sei kritisiert worden - "ein Zurschaustellen von Macht", so A. bei der Online-Auftaktveranstaltung der Tagung "Als Mann von Machtmissbrauch in der Kirche betroffen" am Freitag. Sie will Männer als Opfer stärker in den Fokus rücken.

Schwer an Erfahrungsberichte zu kommen

Den Organisatoren fiel es schwer, an Erfahrungsberichte zu kommen. Der Leiter der Arbeitsstelle Männerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (AfM), Andreas Heek, hofft nun, dass die Auftaktveranstaltung mit knapp 100 Teilnehmern mehr betroffene Männer dazu ermutigt, ihre Erfahrungen zu schildern.

Die AfM veranstaltete im Auftrag der Pastoralkommission der Bischofskonferenz und der Ordensobernkonferenz die Tagung mit dem Untertitel "Grenzverletzung, Übergriffigkeit, spiritueller Missbrauch und sexualisierte Gewalt an erwachsenen Männern sichtbar machen".

"Männer kommen bei erlittenem Machtmissbrauch wesentlich schwieriger aus sich heraus", betonte der Beauftragte für Männerseelsorge der Bischofskonferenz, Erzbischof Ludwig Schick, nach der Konferenz.

Viele bemerkten gar nicht, dass sie ihre Macht missbrauchten - andere nähmen nicht war, dass sie von Machtmissbrauch betroffen seien, schilderte der Bamberger Erzbischof eine Schwierigkeit bei der Thematik. Schick betonte, dass es wichtig sei, von den Betroffenen zu lernen und auch Expertisen von außen einzuholen.

Spiritueller Missbrauch

So wie von P., ehemals Mitglied einer geistlichen Gemeinschaft. Zwei Jahre war er dabei - 20 Jahre Albträume folgten. Er beklagt spirituellen Missbrauch, der "identitätszerstörend" gewesen sei. Nach seiner Missbrauchserfahrung habe er keine Hilfe seitens der Kirche erhalten. Im Gegenteil: Er rate Betroffene davon ab, sich an die Kirche zu wenden, um nicht noch einmal beispielsweise durch Verharmlosung missbraucht zu werden.

Prämonstratenser-Abt Hermann-Josef Kugler forderte angesichts dieser Schilderungen eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene. "Wo kann ich mich hinwenden und beschweren? Die Kirche selber darf es nicht sein", betonte der Vertreter der Deutschen Ordensobernkonferenz.

Zudem müsse die Kirche die Rolle und das Selbstverständnis von Priestern stärker in den Blick nehmen. "Eine sakrale Überhöhung der Weihe ist bedenklich", so Kugler.

Der frühere Chef der Deutschen Provinz der Jesuiten, Stefan Kiechle, verwies darauf, dass kirchliche Strukturen Ursachen für Machtmissbrauch auch gegen Männer sein könnten. Kiechle sprach von kirchlichen Männerbünden und regte an, darüber nachzudenken, wie sinnvoll das Gehorsamsgelübde für Ordensleute und Priester sei. Der Chefredakteur der Zeitschrift "Stimmen der Zeit" betonte zudem:

"Mancher Machthaber sieht sich als 'Diener Gottes' und rechtfertigt seine Taten damit. Jedoch ist der Dienst etwas, was ich für andere mache, nicht für mich." Dieses Bewusstsein fehle mitunter.

Auch der ehemalige Präventionsbeauftragte des Bistums Speyer, Thomas Mann, fordert die Kirche auf, Machtstrukturen zu durchbrechen. "Sexualisierte Gewalt passiert nicht einfach so. Es werden Strukturen geschaffen, womit der Täter sich Vorteile verschafft", warnte Mann.

Bei Aufarbeitung erst am Anfang

Nach Ansicht des Paderborner Pastoralpsychologen Christoph Jacobs steht die Aufarbeitung und Forschung im Bereich des Machtmissbrauchs gegen erwachsene Männer in der Kirche am Anfang. Er regte einen intensiven Austausch mit den Betroffenen an. "Es geht darum, die Würde und das Leben zurückzugeben", unterstreicht er.

Erzbischof Schick forderte, Kandidaten für kirchliche Ämter schon bei der Auswahl verstärkt für das Thema zu sensibilisieren. So müsse etwa die Priesterausbildung entsprechend angepasst werden. "Außerdem muss ein jeder, der ein Amt inne hat, bereit sein, sein Leben lang zu lernen", sagte Schick.

Auch auf kirchenrechtlicher Ebene sieht der Erzbischof Handlungsbedarf. "Die freie Wahl der geistlichen Betreuung wie auch der Beichte muss gegeben sein. In manchen geistlichen Gemeinschaften ist dies nicht der Fall", so Schick, der die Tagung in der Bischofskonferenz angeregt hatte. Er forderte zudem klarere Regeln, um Machtmissbrauch zu verhindern.

Pandemiebedingt musste die Tagung online stattfinden. Organisator Heek baut darauf, dass sich das bei der nächsten Auflage, die für Anfang April 2022 in Siegburg geplant ist, ändert. "Dieses Thema verlangt eigentlich einen persönlichen Austausch", sagte er. Im begleitenden Chat der Veranstaltung wurde dies auch deutlich. Harsche Kritik von Betroffenen an kirchlichen Amtsträgern war da zu lesen.

"Die Opfer reagieren mit Betroffenheit", kommentierte Erzbischof Schick. "Das muss man aushalten, nur so kann es einen weiteren Lern- und Verständigungsprozess geben."


Quelle:
KNA