Historiker analysiert derzeitige Probleme in der Kirche

Wie im Mittelalter?

Wie blickt ein Historiker auf den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche? Nach Einschätzung von Martin Kaufhold lässt sich die derzeitige Krise auf das im Mittelalter begründete Selbstverständnis der Priester zurückführen.

Zum Gebet gefaltete Hände / © Lars Berg (KNA)
Zum Gebet gefaltete Hände / © Lars Berg ( KNA )

"Ich finde es geradezu irritierend, wie gut man als Mittelalter-Historiker heute noch versteht, was in der katholischen Kirche vor sich geht", sagte der Hochschullehrer von der Universität Augsburg der Deutschen Presse-Agentur. "Was manche Bischöfe heute teilweise äußern, hätte so schon im 12. oder 13. Jahrhundert gesagt werden können."

Herausgehobene Gruppe

Der katholische Klerus betrachte sich nach wie vor als herausgehobene Gruppe, die nach eigenen Regeln lebe. Die Geistlichen sähen sich traditionell als alleinige Vermittler zwischen Gott und den Menschen, wozu sie durch die Priesterweihe qualifiziert würden.

"Die Angehörigen dieser Gruppe sind in erster Linie dem göttlichen Gesetz unterworfen und nur in begrenzter Weise den bürgerlichen Gesetzen. Wenn man sich mal anschaut, wieviele Priester sich wegen des Kindesmissbrauchs vor Strafgerichten verantwortet haben, das sind nur sehr wenige, obwohl es sich in vielen Fällen um Verbrechen handelt."

Dieses Selbstverständnis sei im Mittelalter entwickelt und durchgesetzt worden, weil die Gläubigen - zu denen damals sehr viele Menschen gehört hätten - eine solche Gruppe gebraucht hätten. "Sie brauchten die Priester, die näher bei Gott standen und den normalen Menschen deshalb in der Beichte garantieren konnten, dass ihnen ihre Sünden vergeben waren. Das war ein echtes Bedürfnis, und daraus hat sich das Priesterbild in hohem Maße entwickelt."

Für jüngere Generation an Relevanz verloren?

Heute gingen selbst von den praktizierenden Katholiken nur noch die wenigsten zur Beichte, sagte Kaufhold, der selbst katholisch ist. Das mittelalterliche Priesterbild habe deshalb in der heutigen Gesellschaft keine Verankerung mehr. Die katholische Kirche müsse darauf reagieren. "Und zwar bald, wie mir scheint." Für die jüngere Generation habe die Kirche ihre Relevanz verloren. "Deswegen regt sich da auch keiner mehr auf. Das interessiert die gar nicht mehr."

Wenn konservative Bischöfe heute sagten, die Kirche könne sich in grundlegenden Punkten nicht ändern, weil sie einem unveränderlichen Heilsplan verpflichtet sei, dann könne man dazu nur sagen, dass die Kirche in ihrer 2000-jährigen Geschichte auch deutliche Kehrtwenden vollzogen habe, sagte Kaufhold. "Die Verfassung der Kirche hat sich immer weiterentwickelt, das ist ein historischer Prozess." 

Synodaler Weg

Der Begriff "Synodaler Weg" verweist auf das griechische Wort Synode. Es bedeutet wörtlich "Weggemeinschaft"; im kirchlichen Sprachgebrauch bezeichnet Synode eine Versammlung von Bischöfen oder von Geistlichen und Laien.

Der Reformdialog Synodaler Weg dauerte von Ende 2019 bis Frühjahr 2023. Dabei berieten die deutschen katholischen Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zusammen mit weiteren Delegierten über die Zukunft kirchlichen Lebens in Deutschland.

Das gelochte Metallkreuz und Teile des Schriftzugs Synodaler Weg  / © Julia Steinbrecht (KNA)
Das gelochte Metallkreuz und Teile des Schriftzugs Synodaler Weg / © Julia Steinbrecht ( KNA )

 

Quelle:
dpa