Schweizer Bischof zum Anti-Missbrauchs-Gipfel

"Es treibt die Schamesröte ins Gesicht"

Nach vier Tagen kommt der Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan zum Abschluss. Der Baseler Bischof Felix Gmür nimmt für die Schweiz teil. Im DOMRADIO.DE-Interview zieht er Bilanz.

Missbrauchs-Gipfel im Vatikan / © Evandro Inetti (KNA)
Missbrauchs-Gipfel im Vatikan / © Evandro Inetti ( KNA )

DOMRADIO.DE: Am Freitag hat ein Missbrauchs-Opfer bei der Konferenz gesagt: “Ich wollte Ihnen von meiner Kindheit erzählen. Aber das ist sinnlos, denn als ich elf Jahre alt war, hat ein Priester mein Leben zerstört.“  – Was geht Ihnen in dem Moment als Priester und Bischof durch den Kopf?

Felix Gmür (Bischof von Basel und Präsident der Schweizer Bischofskonferenz): Es ist gut, das mal zu hören. Ich bin sehr dankbar, dass wir alle gemeinsam den Opfern zuhören können. Natürlich war ich schockiert. Jedes Mal, wenn ich mit Opfern rede, sie anhöre, merke ich, wie das etwas in mir auslöst. Einen inneren Schock. Wie kann denn sowas möglich sein? Das ist das eine. Zum anderen treibt es einem die Schamesröte ins Gesicht. Das ist die Kirche, die so gehandelt hat! Es ist nicht einfach irgendein Mensch, sondern ein Vertreter der Kirche. Eigentlich ein Vertreter, der Jesus repräsentieren sollte. Seine Liebe, seine Zuneigung, seine Barmherzigkeit – und dann sowas. Wie kann das sein? Das ist wirklich sehr schlimm, aber auch notwendig, dass man Opfer hört und ihnen zuhört.

DOMRADIO.DE: “Erbarme Dich, denn wir haben gegen Dich gesündigt!“ Am Samstag-Nachmittag gab es einen Bußgottesdienst der Bischöfe, gemeinsam mit Papst Franziskus. Welches Zeichen setzt das?

Gmür: Ich finde es sehr wichtig, das auch liturgisch zu verarbeiten. Oder anders gesagt, im Gebet. Was sage ich da? Ich sage ‚Ich‘. Ich bekenne: Ich habe gefehlt, ich habe vertuscht. Ich habe den Opfern nicht zugehört. Die Kirche sagt ‚Ich‘, und nicht dieser oder jener Übeltäter. Ein offenes Bekenntnis in der ersten Person Singular. Es ist ein Zugeben von Fehlern. Und was immer dazugehört bei Bußgottesdiensten, ist das Gelöbnis, dass man Besserung in Angriff nimmt.

DOMRADIO.DE: Es gibt verschiedene konkrete Vorschläge der Konferenz, unter anderem eine Änderung der “Kirchenverfassung“, die den Metropoliten mehr Macht gibt, Bischöfe zur Verantwortung zu ziehen. Was halten Sie davon?

Gmür: Ich finde den Vorschlag gut, weil es eine Möglichkeit ist, Bischöfe zur Verantwortung zu ziehen zeit- und ortsnah. Man muss nicht direkt nach Rom und ein langes Verfahren angehen.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet das für Sie in der Schweiz? Sie haben keinen Metropoliten, sondern sind als Kirchenprovinz direkt dem Vatikan unterstellt.

Gmür: Das kann ich noch nicht sagen. Wir müssen einen anderen Weg finden, wie solch ein Controlling institutionalisiert wird, dass ein Bischof, der fehlbar ist, auch zur Rechenschaft gezogen werden kann. Diese Rechenschaftspflicht war das Thema eines ganzen Tages unseres Treffens.

DOMRADIO.DE: Alternativ gibt es den Vorschlag nationale Gremien einzuführen, die zum größten Teil von Laien besetzt sind. In der Schweiz gibt es so etwas in der Art ja bereits.

Gmür: Die Frage ist, was solch ein nationales Gremium macht. Bei uns in der Schweiz ist ein Priester dabei und ein Bischof, der die Verbindung zur Bischofskonferenz herstellt. Sonst sind das alles Laien. Frauen und Männer, die Spezialistinnen und Spezialisten sind in einem gewissen Gebiet. Psychotherapeuten, Täter-Therapeuten, Juristen, Kommunikationsfachleute oder Anwälte. Das sind Laien, und das war ein großer Punkt bei unserer Konferenz. Wir müssen Laien mit einbeziehen. Seien wir froh, dass es so viele gute Fachkräfte gibt!

DOMRADIO.DE: Viel wird auch über den Zölibat diskutiert. 2016 haben Sie noch in einem Interview gesagt, durch den Zölibat gäbe es kein größeres Risiko, Missbrauchstäter zu werden. Nach alledem, was Sie die drei vergangenen Tage gehört haben, bleiben Sie dabei? 

Gmür: Da habe ich meine Meinung nicht geändert. Ich füge auch noch an: Es wurde auch gesagt, dass Homosexuelle ein größeres Risiko haben. Das kann man nicht so machen. Man kann nicht einfach irgendeine Kategorie von Menschen als Sündenböcke hernehmen, und sagen: Die sind es, und wenn es die nicht mehr gibt, dann ist alles gut.

Was aber überdacht werden muss, ist meiner Ansicht nach der Zölibat. Das habe ich auch gesagt. Ist der wirklich so wichtig, dass es in dieser Form, wie wir es haben, bleiben muss? Was auch angeschaut werden muss, ist die Art und Weise, wie man den Zölibat lebt. Wie leben denn die Pfarrer? Sind die alleine? Sind die integriert in ihrer Gemeinde? Das muss man anschauen, und in diesem Zusammenhang auch die Ausbildung.

DOMRADIO.DE: Was wäre Ihrer Meinung nach ein besserer Umgang mit dem Zölibat?

Gmür: Meiner Ansicht nach ist der Zölibat etwas Gutes. Er ist sozusagen Jesus-gerecht, Kirchen-gerecht, auch Seelsorge-gerecht. Aber meiner Meinung nach ist er nicht notwendig. Es sollte beide Formen geben. Ein Bischof oder Kardinal aus einer der unierten Ostkirchen hat beim Treffen gesagt, bei Ihnen gäbe es das, verheiratete Priester. Aber: Man muss und darf nicht meinen, dass es dann keinen Missbrauch mehr geben würde.

DOMRADIO.DE: Was nehmen Sie sich als Gedanken mit nach Hause in die Schweiz?

Gmür: Für mich ist es wichtig, dass wir die Prävention in der Schweiz noch besser implementieren. Und vor allem, dass wir Abläufe haben, die wir kontrollieren können. Das haben wir zu wenig. Es wäre auch gut, wenn wir für das ganze Land ein einheitliches Vorgehen hätten. Und es wäre gut, wenn auch die Bischöfe kontrolliert werden könnten. Da müssen wir vorwärts schauen, was nötig und was machbar ist.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch


Bischof Felix Gmür im Portrait (SBK)
Bischof Felix Gmür im Portrait / ( SBK )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema