Bonner Stadtdechant Picken über Lust und Genuss

"An der Lust, die dir zusteht, gehe nicht vorbei"

Die Kirche: eine freudlose Institution? Ganz im Gegenteil, meint der Bonner Stadtdechant, Pfarrer Wolfgang Picken, in seinem Podcast "Spitzen aus Kirche und Politik". Stattdessen sollte man das Leben genießen, fordert der Geistliche.

Dr. Wolfgang Picken / © Harald Oppitz (KNA)
Dr. Wolfgang Picken / © Harald Oppitz ( KNA )

Nicht selten wird das Leben eines Christen mit Freudlosigkeit in Verbindung gebracht. Von Aufgaben und Verpflichtungen ist die Rede, nicht zuletzt von Geboten und Vorschriften. Hinzu kommen die Verkündigung der Kirche und ihre Moral, die wenig anpassungsfähig an den Zeitgeist erscheinen und strickt, zuweilen auch rigide, wirken.

Drohbotschaft statt Frohbotschaft?

Kirchenkritische Initiativen sprechen von einer Drohbotschaft, die an Stelle einer Frohbotschaft getreten ist. Ein Zugewinn an Lebensqualität jedenfalls scheint es nicht zu bringen, wenn man sich am Anforderungskatalog orientiert, den zumal die katholische Ethik liefert. Begriffe wie Lust und Genuss, die für das moderne Leben wichtig sind, scheinen im christlichen Vokabular nicht vorzukommen. Mehr noch: Sie provozieren Widerstand, wirken im kirchlichen Raum geradezu obszön.

Als Christ lustvoll zu leben, zumindest zu teilen - das erscheint direkt wie ein Verstoß gegen Sitte und Moral. Bescheiden sein, möglichst spartanisch, verzichten und fasten, teilen und für andere da sein, das erscheint als Lebensideal.

Gehorsam, Treue und Altruismus, sich ein Kreuz auferlegen, Lasten tragen und wenn man pilgert, sich eine Erbse in die Schuhe tun, damit es weh tut. So stellen sich viele ein Leben im Glauben vor: freudlos und lustfeindlich. Kein Wunder, wenn sich Menschen distanzieren und Kirchen leeren.

Lebensfreude und Bejahung von Genuss

Dass es aber auch das andere im Christentum gibt, Lebensfreude und Bejahung von Genuss, zeigt die Kirchengeschichte eigentlich sehr deutlich. Es gab sogar Epochen, die vielleicht etwas üppig davon geprägt waren. In ihnen haben manche Schichten der Kirche komfortabel gelebt, während andere kaum das Nötigste besaßen. Gemeint ist beispielsweise die Zeit des Barock mit ihren prachtvollen Kirchenbauten und ihrer zuweilen intensiv zur Schau getragenen Dekadenz.

Auch gibt es viele Heilige, die nicht abgeschieden und karg gelebt haben und von denen man zu berichten wusste, dass sie das Leben zu genießen verstanden. Manches klösterliche Leben war davon geprägt, dass es in ihnen alles gab, was die Schöpfung zu bieten hatte. Schließlich kennen wir viele Traditionen von Festen, Messen und Kirmesfeiern, die darauf verweisen, dass die Kirche immer zu feiern verstand.

Noch heute ist das in vielen Kirchengemeinden nicht anders. Von Lebens- und Genussfeindlichkeit keine Spur, von Freudlosigkeit ebenso wenig, solange nicht vom Zustand der Kirche an sich und ihrer Reformbedürftigkeit die Rede ist. Genießen und Lust haben also Tradition im jüdisch-christlichen Denken und ihrer Kultur. Warum auch nicht?

An der Lust, die dir zusteht, gehe nicht vorbei

Es geht darum, die Fülle der gottgegebenen Schöpfung und des Lebens wahrzunehmen und zu nutzen. Sich selbst etwas gönnen, genießen und Zufriedenheit erleben: Das verbieten Gesetz und Moral nicht, solange es nicht auf Kosten anderer geht oder uns selbst schadet. Vielmehr könnte man es eine Sünde nennen, wenn man am Schönen und Guten achtlos vorübergeht, ohne es zu nutzen.

Schon im alttestamentlichen Buch Jesus Sirach heißt es: "Versag dir nicht das Glück des heutigen Tages. An der Lust, die dir zusteht, gehe nicht vorbei". Eine gewisse Lust am Leben vermittelt die innere Haltung und Lebensfreude, die es benötigt, um andere ansprechen und für sich gewinnen zu können.

Wer sich nicht selbst zu lieben weiß, wird sich schwer mit der Nächstenliebe tun. Auch diese Grundidee Jesu findet man schon bei Jesus Sirach. Da können wir lesen: "Wer sich selbst nichts gönnt, wem kann der Gutes tun?"

Begegnen wir also diesem Tag und dem Leben wach, sehen und genießen wir das Schöne und Gute lustvoll. Denn aus der Freude an der Fülle erwächst die Liebe zu Gott und zum Nächsten entsteht Moral. Deshalb noch einmal Jesus Sirach: "Versag dir nicht das Glück des heutigen Tages. An der Lust, die dir zusteht gehe nicht vorbei."

Pfarrer Wolfgang Picken, Stadtdechant Bonn

 

Quelle:
DR