Warum zieht Taize bis heute Tausende Jugendliche an?

"Eine Tankstelle, um selbst aktiv zu werden"

​Seit über 50 Jahren ist das kleine Örtchen Taize in Burgund ein Magnet für jugendliche Christen aus ganz Europa, ja aus der ganzen Welt. Jene von einst sind heute im Rentenalter - und doch kommen immer neue. Aber warum?

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Ortseingangsschild der französischen Stadt Taize / © Alexander Brüggemann (KNA)
Ortseingangsschild der französischen Stadt Taize / © Alexander Brüggemann ( KNA )

"So leer haben wir Taize noch nie erlebt", sagte Frere Timothee, einer der Brüder, kürzlich in einem Interview. Eine Epidemie wie Corona ist aber offenbar das einzige, was junge Christen von der Reise in das kleine Dorf in Burgund abhält. Seit Jahrzehnten ist die ökumenische Gemeinschaft von Taize ein Anziehungspunkt für Tausende begeisterter Jugendliche.

Wer könnte eine Zahl nennen, wie viele Menschenleben und Gemeinden sie durch ihr Charisma entscheidend verändert und mitgeprägt hat? Aber warum?

Am Komfort kann es jedenfalls nicht liegen: dörfliche Abgeschiedenheit, Zelten bei Wind und Wetter, Eintopf löffeln und Massen selbstgetöpferten Geschirrs spülen, dazu basale Sanitäranlagen. Nein, zum Urlaubmachen fährt man nicht hierher.

Gemeinschaft, Solidarität und Einfachheit

Es muss etwas anderes sein. Im Jargon von Taize heißt dieses Andere: Gemeinschaft, Solidarität und Einfachheit. Und unabdingbar zum "Taize-Gefühl" dazu gehören die gemeinsamen Gebetszeiten in der Pilgerkirche und die eingängigen Gesänge von Jacques Berthier wie "Bleibet hier und wachet mit mir" oder "Laudate omnes gentes".

Der Kölner Domkapitular und langjährige Stadtjugendseelsorger Dominik Meiering sieht es so: "Es gibt viele Menschen, die in Taize unmittelbar und oft zum ersten Mal Christus im eigenen Leben begegnen - selbst wenn sie mit und in der Kirche aufgewachsen sind. Da geschieht eine Bekehrung; bei vielen geht dort ein Licht auf."

Nicht durch prächtige Gewänder, Weihrauch oder eine ausgeklügelte Liturgie. Es ist jene Stille, die Tausende Besucher über Minuten ein- und auszuhalten imstande sind: im Gebet.

 

 

"Begeisterung statt Alltagsfrust"

Es gibt aber auch kirchliche Kritiker, die meinen, Taize verderbe die Jugendlichen - in dem Sinn, dass sie beseelt auf Wolke sieben und mit überzogenen Erwartungen von dort zurückkommen und dann vom Gemeindeleben vor Ort enttäuscht sein und ganz wegbleiben könnten; wenn es etwa dort zu langsam geht oder man auf allzu feste Strukturen trifft. "Begeisterung schafft Alltagsfrust" sozusagen.

Doch Meiering ist überzeugt: "Was in Taize geschieht, ist das genaue Gegenteil von Müdigkeit oder Enttäuschung." Er erlebe vielmehr, dass Jugendliche "voller Sehnsucht zurückkehren, diese Begeisterung auch hier zu stiften. Taize ist eine Tankstelle, um selbst aktiv zu werden - und sehr oft gelingt das auch."

Für eine lebendige Kirche wichtig ist auch, was es in Taize dringender braucht als Markenklamotten oder die neueste Handy-App: Offenheit, Nähe, den wachen Blick für den anderen. Das Gemeinschaftsgefühl muss nicht künstlich befeuert werden. Es breitet sich aus, in der Stille, zwischen Menschen, die vieler Länder Sprachen sprechen.

"Ein Ort, an dem einem zugehört wird"

Der Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taize, der schwäbische Katholik Alois Löser (65), lebt selbst seit 1973, seit seinem 19. Lebensjahr, auf dem Hügel von Burgund. Als Besucher ließ er sich für die Idee von Taize begeistern und erlebte die Vorbereitungen auf das sogenannte Konzil der Jugend 1974 mit.

Er spürte damals, wie er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte, "dass hier ein Ort ist, an dem einem zugehört wird; an dem man so sein kann, wie man ist, ohne dass gleich Forderungen gestellt werden".

Frere Alois weiter: "Wir wollen in Taize und um Taize herum keine organisierte Jugendbewegung aufbauen. Unser Aufruf ist bis heute: 'Geht in eure Kirchengemeinden; dort ist der Ort der Kirche. Der Glaube kann nur in Gemeinschaft gelebt werden, und das muss in eurer Ortskirche stattfinden!' Taize sei "ein Ort des Durchgangs, ein Ort für Pilger".

Neue Arbeitsfelder

Zwei Jahrtausende Kirchengeschichte haben eine Menge Spaltungen mit sich gebracht. Die vielen christlichen Konfessionen miteinander zu versöhnen und wieder eine sichtbare Einheit aller Christen entstehen zu lassen, das war das große Anliegen von Gründer Frere Roger (1915-2005) und seiner Brüdergemeinschaft.

Mit Frere Alois hat sich Taize zusätzlich neue Arbeitsfelder erschlossen: Migration und Solidarität, die Angst vor dem Unbekannten. Zudem ist es noch internationaler aktiv: in Afrika, China, auf Kuba.

Kein persönlicher Besitz

Unfertigkeit, Spontaneität, Vorläufigkeit und Offenheit für den Weg, der vor ihr liegt: Das waren Lebensprinzipien, die Frere Roger seiner Gemeinschaft mitgegeben und vorgelebt hat. Kein historischer Ballast; Improvisation und permanenter Aufbruch statt Verfestigung und Stillstand.

Wie aber kann man so eine Dynamik aufrecht halten? Taize sagt konsequent Nein: kein persönlicher und auch kein kollektiver Besitz, keine Rechtstitel. Erbschaften, Spenden oder sonstige Zustiftungen werden an Bedürftige weitergereicht. Nur was die Brüder durch Töpferarbeiten selbst erwirtschaften, unterhält sie.

Gemeinschaft engagiert sich politisch

Auch wenn sie stets Abstand zur Tagespolitik und ihren Parteiungen hält, so zeichnet die Gemeinschaft doch ein tiefes politisches Engagement aus: für die Armen und Ausgegrenzten, für die Opfer von Ungerechtigkeit und Konflikten, für Menschen in Not, Flüchtlinge, Kranke, Ausgegrenzte und Gestrandete des Alltags.

Prior Frere Alois sagt, man wolle mit den Jugendlichen Wege suchen, "um aus dem Glauben heraus in Solidarität mit anderen zu leben".

Taize-Botschaft: Loslassen Können

Worauf der Prior großen Wert legt: "Wir dürfen den Jugendlichen nicht ein Selbstentfaltungs-Evangelium vorspiegeln, das es so nicht gibt." Das sei für viele junge Leute heute nur schwer zu verstehen.

"Sie wollen oft alles sofort haben; und auch Christus nachzufolgen, soll vor allem mit einer großen persönlichen Entfaltung einhergehen. Das kann der Fall sein, ja - aber es verlangt auch einen Verzicht auf vieles andere." Loslassen-Können - auch so eine Botschaft von Taize.

"Wir sehen uns nicht als Institution"

Nicht alles gelingt. Frere Alois: "Wir sehen uns nicht als Institution. Misserfolge erden uns, genauso die Erfahrung, dass nicht immer alles möglich ist. Selbst wenn wir dreimal am Tag gemeinsam beten, bedeutet das nicht automatisch Gemeinschaft und Versöhnung." 

All das sei auch "mit einer Anstrengung verbunden". Aber: "Dass wir täglich in aller Welt mit den Jugendlichen zusammenleben und Antworten auf ihre Fragen suchen, hält uns jung." Und nach Corona, kein Zweifel, werden sie ja wiederkommen.


Quelle:
KNA
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