Telefonseelsorge über Ostern in Corona-Zeiten

Verstärkter Griff zum Hörer

Die bundesweite Organisation der Telefonseelsorge wird von evangelischer und katholischer Kirche getragen. Wegen der Corona-Pandemie hatte man zu Ostern mit mehr Anrufern gerechnet. Ist es denn auch so gekommen?

Symbolbild Telefonseelsorge / © Gajus (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Haben Sie Ihre Prognosen bestätigt und haben mehr Menschen angerufen?

Michael Hillenkamp (Vorsitzende der Katholischen Konferenz für Telefonseelsorge): Insgesamt haben mehr Menschen angerufen. Bundesweit kann ich keine statistischen Zahlen geben, aber es ist schon so, dass wir im Verhältnis zum Samstag jetzt am Ostersonntag bestimmt 20 bis 30 Prozent mehr Gespräche als an den Tagen davor hatten.

DOMRADIO.DE: Sie hatten im Vorfeld auch mit der Frage gerechnet, ob man nicht doch nach Hause oder zu Verwandten fahren soll. Nach dem Motto, "das machen die anderen ja auch". Kam diese Frage?

Hillenkamp: Am Telefon eher weniger, das hat mich sogar verwundert. Da war eher so etwas wie eine Resignation. "Man kann es ja nicht ändern". Oder auch so ein Leiden daran, "ja, ich würde ja gerne zu meinem Freund, zu meinem Lebenspartner fahren. Aber der wohnt 300 Kilometer weit weg." Da scheinen sich die Leute entweder arrangiert zu haben oder wirklich sehr diszipliniert zu sein und eingehalten zu haben, sich nicht zu treffen.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle hat Ostern selbst gespielt? Haben Sie mitgekriegt, dass sich die Leute wegen der Ausgangsbeschränkungen irgendwie anders auf Ostern vorbereitet haben?

Hillenkamp: Das war nicht so. Was wir in unseren Gesprächen feststellen, ist kein Leiden an dem Fehlen der drei großen "K"s: Kultur, Kirche und Kicken festzustellen. Das war in keinem der Gespräche, die ich über das Wochenende mitbekommen habe, das Thema, sondern es waren immer die nahen und engsten Beziehungen im eigenen und privaten Umfeld.

DOMRADIO.DE: Was können Sie den Menschen da raten?

Hillenkamp: Es geht zum Beispiel darum, dass jemand gesagt hat, "mein Vater ist schwer krank. Und wir haben jetzt die häusliche Pflege übernommen". Und es ist einerseits eine ganz enge Situation, aber auch eine ganz unvertraute. Es war deutlich, dass das normale Leben ja auch weitergeht. Es ist ja nicht so, dass alles nur Corona ist, sondern Corona hat die Dinge im Grunde verschärft und die Probleme und die Dinge, mit denen sich Menschen jetzt auseinandersetzen müssen, quasi konzentriert und nochmal teilweise schwieriger macht.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie jetzt ein erstes Fazit ziehen müssten, auch über dieses Osterfest, welches Stimmungsbild haben Sie da festgestellt?

Hillenkamp: Die Menschen haben schon Angst vor dem, was kommt und vor dem, was in ihrem persönlichen Leben kommt. Das fängt bei jemandem an, der sagt, "ich habe jetzt keine Gruppe mehr von den Anonymen Alkoholikern, wo ich hingehen kann. Wir versuchen uns mit WhatsApp zu behelfen".

Diese sozialen Strukturen, entweder durch Arbeit, durch Gruppen oder auch durch den größeren Familienverbund, fallen weg. Da haben Leute sehr viel Angst – innere Ängste, mit denen man sowieso schon zu kämpfen hatte, sind im Grunde nochmal stärker und intensiver geworden.

DOMRADIO.DE: Können Sie auch aktive Tipps geben, wo die Menschen sich noch Hilfe holen können oder wie sie mit der Situation allein zu Haus umgehen sollen?

Hillenkamp: Das Einfachste ist ja, dass man überhaupt erstmal miteinander ins Gespräch kommt. Dieser Kontakt ist für viele Leute ganz wichtig. Da haben einige angerufen, die gesagt haben, "ich habe diese Tage schon mal angerufen und ich merke, wie mir das gutgetan hat". Im Sinne von: Ich konnte mich durch das Gespräch mit jemand anderem selbst innerlich ein Stück beruhigen.

Das kennen wir ja auch selbst, wenn wir auf die Nase fallen oder wenn uns irgendwas Unangenehmes passiert, dann tut es schon mal gut, mit der besten Freundin oder mit jemand anderen darüber zu reden. Und das spüren Menschen jetzt ganz unmittelbar. Es tut gut, mit jemand zu reden. Am besten persönlich, aber wenn das nicht geht, eben per Telefon. Das empfehlen wir Leuten natürlich.

Zudem habe ich eine vielleicht auf den ersten Blick etwas seltsame Empfehlung, die man nicht unbedingt gut finden muss. Dass man jetzt beispielsweise zum Stressabbau mit Malen anfängt oder kreativ wird, ist gut gemeint, aber man darf sich auch mal schrecklich langweilen und das wirklich Mist finden und sagen, ich mag das überhaupt nicht und ich leide daran und es geht mir nicht gut. Auch das ist für eine zeitlang völlig okay.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR