Wie lebt und arbeitet es sich als blinder Pfarrer?

"Es ist möglich und dafür bin ich sehr dankbar"

Stefan Müller war der erste Blinde Deutschlands, der zum Priester geweiht wurde. Wie arbeitet er als Pfarrer mit Handicap? Man kann mehr als mancher denkt, betont der Geistliche im Interview. Er verrät aber auch, wo Grenzen sind.

Mensch mit Sehbehinderung  / © Monika Skolimowska (dpa)
Mensch mit Sehbehinderung / © Monika Skolimowska ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie sind Deutschlands erster blinder geweihter Pfarrer. Bischof Kamphaus Ihr damaliger Bischof, war erstmal nicht so begeistert von der Idee, dass Sie Pfarrer werden möchten, oder?

Pfarrer Stefan Müller (Gemeinde St. Johannes Nepomuk im hessischen Hadamar): Das kann man so nicht sagen. Anfangs war er sicherlich zurückhaltend, aber das muss man auch im Nachhinein verstehen. Da kommt einer, der stark sehbehindert ist und Priester werden möchte. Man hat noch keine Erfahrungen und da ist man zunächst einmal zurückhaltend.

Ich habe das anfangs anders empfunden, wie es wirklich gewesen ist. Ich habe eine reelle Chance erhalten. Ich durfte studieren und in Praktika zeigen, was möglich ist. Natürlich wurde auch deutlich, wo Grenzen sind. Aber im Nachhinein muss ich sagen, ist der Weg doch wohlwollend von der Amtskirche, vom Bistum Limburg, begleitet worden - vor allen Dingen vom damaligen Regenz, dem heutigen Weihbischof Thomas Löhr. Das kann ich absolut sagen. Mein Weg ist wohlwollend begleitet worden, auch wenn ich es anfangs nicht so empfunden habe.

DOMRADIO.DE: Sie haben die Grenzen erwähnt, auf die Sie gestoßen sind. Was sind das für Grenzen?

Müller: Grenzen gibt es für mich, wenn ich in Gruppen zusammen bin. Ich bekomme nicht alles mit, was in einer Gruppe so läuft. Grenzen gibt es auch, wenn ich in ein Krankenhaus gehe, um dort jemanden zu besuchen, den ich nicht kenne und der mich nicht kennt. Ich kann die Situation des Kranken nicht erfassen: Wie sieht er aus? An welchen Geräten hängt er da? Da gibt es Grenzen, die sind eindeutig da.

DOMRADIO.DE: Wie machen Sie das im Gottesdienst? Wie lesen Sie aus dem Evangelium, wie gehen Sie mit der Gemeinde um?

Müller: Aus dem Evangelium lese ich in Blindenschrift. Es gibt vom Deutschen Katholischen Blindenwerk eine gedruckte Fassung des Evangeliums - das ist kein großes Problem. Und die Orationen, also Tagesgebet, Gabengebet, Schlussgebet, gibt es digital. Das kann ich jeweils vor dem Gottesdienst auswendig lernen. Mein Gedächtnis ist trainiert, das klappt gut. Predigten laufen so, wie bei anderen auch: Ich muss mir überlegen, was ich sagen möchte und dann gibt es die Möglichkeit, dass ich es mir aufschreibe oder dass ich frei spreche.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen die meiste Zeit frei in der Predigt?

Müller: Das kann man so nicht sagen. Bei Beerdigungen schreibe ich mir das in der Regel auf, weil beim freien Sprechen immer die Gefahr besteht, dass man vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt oder doch nicht so klar ist. Andere sind da begnadeter - Pfarrer Fuchs etwa, mit dem ich zusammen wohne ist da viel begnadeter im freien Reden.

Wenn es ein bestimmtes Thema gibt, wo ich mich gut auskenne, kann ich natürlich auch frei reden. Aber wenn ich genügend Zeit zur Vorbereitung habe, ist es sicherlich ein Gewinn für die Gemeinde, wenn ich die Predigt schreibe. Ich lese sie mir ein paarmal durch und dann trage ich sie, denke ich, auch gut vor.

DOMRADIO.DE: Sind Sie denn in der Gemeindearbeit schon mal an jemanden gekommen, der gesagt hat: Ich habe ein Problem damit, dass ich einen Pfarrer habe, der mich nicht sieht - etwa im Seelsorgegespräch?

Müller: Im Seelsorgegespräch ist mir das noch nicht begegnet. Es gab mal bei einer Beerdigung ein Problem. Da haben mir ein paar Menschen klar gesagt, dass sie sich nicht vorstellen können, dass ich als Blinder eine Beerdigung halte. Aber das ist eine von insgesamt gut 600 Beerdigungen, die ich mittlerweile gehalten habe. Das kommt ein oder zweimal in 20 Jahren vor.

Im Moment war es für mich schmerzhaft, aber damit muss ich umgehen. Es wäre sehr undankbar und sehr ungerecht, wenn ich die anderen 99 Prozent, die damit kein Problem haben, nicht wahrnehmen würde.

DOMRADIO.DE: Welche Bestärkung hat Ihnen Ihr Glaube auf Ihrem Weg gegeben?

Müller: Der Glaube hat mir eine wesentliche Bestärkung gegeben. Im Evangelium wird sehr viel von Jesus erzählt - am meisten darüber, dass er Kranke heilt. Da sind die Blinden noch einmal besonders. Als erstes werden sie genannt, als die beiden Jünger von Johannes zu Jesus geschickt werden, mit der Frage: "Bist du der, der kommen soll oder müssen wir auf einen anderen warten?" Da sagt dann Jesus: "Geht und berichtet Johannes, was ihr seht und hört. Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören. Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet."

Blindenheilungen sind das erste, was Jesus anführt, um deutlich zu machen, dass er der Messias, der von Gott gesandte Retter ist. Wie Jesus mit Behinderten umgeht, ist eine ganz große Bestärkung. Es gehört zum Glauben dazu, dass wir bekennen, dass Gott der Größere ist, dass wir von ihm abhängig sind. Das ist für mich eine Gnadenerfahrung. Gnade ist ein altertümliches Wort, aber Gnade bedeutet, dass ich angewiesen bin. Das ist aber nicht schrecklich, sondern ich erfahre es als etwas, wofür ich sehr dankbar bin.

Gnade hat etwas mit Dankbarkeit zu tun. Ich bin sehr dankbar, weil ich merke: Ich bekomme Hilfe und kann dann doch vieles tun, was man erst einmal gar nicht denkt. Es ist möglich und dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Pfarrer Stefan Müller / © Andreas Fuchs (privat)
Pfarrer Stefan Müller / © Andreas Fuchs ( privat )
Quelle:
DR
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