Betriebsseelsorger kritisiert Arbeitsbedingungen von Fernfahrern

"Jeder sieht den nervigen 40-Tonner, keiner den Menschen darin"

Die Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer werden nach den Worten des Augsburger Pastoralreferenten Hans Gilg immer schlechter. Warum die Fahrer heute mehr denn je Zuspruch gebrauchen können, erklärt er im Interview.

Parkende Lastwagen / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Parkende Lastwagen / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

KNA: Welche ist Ihre skurrilste Begegnung mit Lasterfahrern gewesen?

Hans Gilg (Augsburger Pastoralreferent und Mitglied der überdiözesanen Arbeitsgemeinschaft "Kirche für Fernfahrer"): Vielleicht die mit Jesus. So nannte sich ein Fahrer, nachdem er von Kollegen wegen seiner langen Haare und seiner Latschen diesen Spitznamen bekommen hatte. Mit "Jesus" hatte er sich auch ein Nummernschild beschreiben lassen, das an seiner Windschutzscheibe lehnte.

KNA: War das nur ein Witz oder bedeutete dem Mann das Christliche etwas?

Gilg: Er hat jedenfalls durchaus in Jesu Sinne gehandelt: Zusammen mit Mitstreitern gründete er eine Initiative für ein fried- und respektvolles Verhalten auf der Straße.

KNA: Wie kommen Sie mit solchen Leuten ins Gespräch?

Gilg: Meine Kollegen und ich sind regelmäßig an Autobahnraststätten unterwegs und sprechen dort die Lkw-Fahrer einfach an. "Wir sind von der Fernfahrerseelsorge und wollen Danke sagen", das ist oft unsere Begrüßung. Dann sind die Fahrerinnen und Fahrer schnell aufmerksam, denn ein Dankeschön, das bekommen sie nach eigener Aussage so gut wie nie zu hören. Meistens werden sie nämlich gar nicht als Individuen wahrgenommen. Jeder sieht den nervigen 40-Tonner, wenn er mal wieder ein Elefantenrennen macht, aber keiner den Menschen darin, der am Lenker sitzt und getrieben ist von Sorgen und Zwängen. Und ohne den im Übrigen etwa unsere Läden leer blieben, aber daran denkt niemand.

KNA: Worüber reden Sie dann?

Gilg: Ein großes Thema sind die Arbeitsbedingungen. Die verschlechtern sich stetig. Der Verkehr wird immer dichter, das Fahren aggressiver, es gibt viel zu wenige Parkplätze. Auch der ökonomische Druck steigt, etwa durch schlechter bezahlte Fahrer aus Osteuropa. Das führt manchmal zu gesetzeswidrigen Zuständen. Schon oft habe ich von Fahrern gehört, sie müssten inzwischen beim Abladen ihrer Ware mithelfen. Denn die Industrie spart sich das Lager und die Mitarbeiter dafür, wenn Güter direkt vom Laster aufs Fließband kommen. Dabei müsste der Fahrer eigentlich eine Pause machen, während abgeladen wird.

KNA: Gibt es weitere Gesprächsthemen?

Gilg: Die Familie. Fernfahrer sind von ihrer Heimat ja häufig mindestens die ganze Woche weg. Viele bewegt deshalb, dass sie etwa ihre Kinder kaum aufwachsen sehen, dass sie ihre Partnerschaft kaum pflegen können.

KNA: Was können Sie gegen diese Nöte und Missstände tun?

Gilg: Bei Problemen wie dem Parkplatzmangel werden wir politisch, wir wenden uns ans Verkehrsministerium und fordern Abhilfe. Bei dem Persönlichen hilft es den Fahrerinnen und Fahrern schon sehr, dass sie einfach mal von sich erzählen können. Sie sind ja sonst den ganzen Tag allein und müssen alles mit sich selbst ausmachen.

KNA: Spielt es dabei eine Rolle, dass Sie von der Kirche kommen?

Gilg: Nein. Wobei Kirche und Fernfahrer gut zusammenpassen. Denn unter denen gibt es sehr viel Spiritualität. Sie haben reichlich Zeit zum Nachdenken und sind immer wieder mit existenziellen Fragen konfrontiert, weil sie etwa oft Unfälle mitkriegen. Als Fahrer hast du eben keinen Bürojob, bei dem du dir morgens sicher sein kannst, dass du am Abend heil heimkommst. Daher wundere ich mich längst nicht mehr über die vielen Blinkekreuze oder Christophorus-Anhänger in den Fahrerkabinen und über Engel-Tätowierungen auf Fahrer-Armen. Einmal habe ich auch einen Fahrer kennengelernt, der immer, wenn er in Italien unterwegs ist, zum Grabmal des heiligen Padre Pio pilgert.

KNA: Inwieweit verstehen Sie Ihre Arbeit als Mission?

Gilg: Nicht so, dass ich den Fahrern ständig etwas von Gott erzählen müsste. Im Gegenteil - diese Menschen erzählen mir, wie sie ihr Leben meistern und was sie trägt. Da höre ich das Evangelium. In der Hauptsache geht es uns darum, wenig geachteten Menschen Wertschätzung zu geben. Ganz im Sinne von Papst Franziskus, der sich eine Kirche wünscht, die an die Ränder der Gesellschaft geht. Dazu zählen eben auch Rasthöfe und Gewerbegebiete. Orte, von denen die meisten von uns nur schnell wegwollen. Orte, an denen aber Lkw-Fahrer einen Großteil ihres Lebens verbringen - wovon wir alle profitieren.

Das Interview führte Christopher Beschnitt.


Hans Gilg / © Christopher Beschnitt (KNA)
Hans Gilg / © Christopher Beschnitt ( KNA )
Quelle:
KNA