Nach einem Suizid finden Menschen unterschiedliche Wege zur Tauer

"Geheimnisse und Vorurteile ranken sich um jeden Suizid"

Suizid ist nicht mehr strafbar; auch die Kirche verurteilt keine Menschen mehr, die sich das Leben genommen haben. Jemanden durch Suizid zu verlieren, bleibt dennoch besonders schwierig.

Autor/in:
Paula Konersmann
Es gibt verschiedene Arten der Trauer / © Hendrik Schmidt (dpa)
Es gibt verschiedene Arten der Trauer / © Hendrik Schmidt ( dpa )

"Ohne mich seid ihr besser dran": Sätze wie dieser finden sich in vielen Abschiedsbriefen von Menschen, die sich das Leben nehmen. Eine Überzeugung, die ein nicht-suizidaler Mensch kaum nachvollziehen kann - und die Angehörige oft fassungslos macht. Bei einem plötzlichen Todesfall ändert sich das Leben für die Hinterbliebenen von jetzt auf gleich; das gilt auch für Unfälle oder Herzinfarkte. Eine Selbsttötung erscheint noch radikaler und unbegreiflicher.

"Es ist ein schlimmer Prozess", sagt Armin Schmidtke über die Trauer nach einem Suizid. Der Psychologe leitet die AG Primärprävention beim Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro). Viele Angehörige fragten sich, ob sie selbst etwas dazu beigetragen hätten, dass der Betroffene keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat. "Es ist offenbar typisch für uns Menschen, nach Erklärungen zu suchen." Auf die bohrende Frage nach dem "Warum?" keine Antwort zu erhalten, mache sie um so schmerzhafter.

Missverständnisse

Hinzu kommt nach Einschätzung der Fachautorin Chris Paul, dass es sich um die am stärksten tabuisierte Todesursache handle. "Geheimnisse und Vorurteile ranken sich um jeden einzelnen Suizid", schreibt sie in ihrem Buch "Warum hast du uns das angetan?". Selbsttötungen seien "von einer Atmosphäre der Unwirklichkeit umgeben, sie bleiben rätselhaft".

In der Gesellschaft bestünden viele Missverständnisse, sagt auch Mechthild Schroeter-Rupieper. "Noch immer fragen sich einige, ob Menschen nach einem Suizid nicht auf einem Friedhof beerdigt werden dürfen, dabei ist das schon lange nicht mehr der Fall", sagt die Trauerbegleiterin. Auch sei es für viele unvorstellbar, dass mehr Menschen durch Suizid ums Leben kommen als durch Autounfälle.

"Suizid ist nicht vererbbar"

Und, so die Expertin vom Institut für Trauerbegleitung Lavia in Gelsenkirchen: "Suizid ist nicht vererbbar." Was vererbbar sein kann, sei eine Veranlagung für Depressionen – die aber wiederum gut behandelt werden könnten. "Auch deswegen sollte es unbedingt thematisiert werden, wenn sich zum Beispiel ein Elternteil das Leben genommen hat."

Einen gesellschaftlich offeneren Umgang mit dem Thema Suizid fordert auch der österreichische Kulturwissenschaftler Thomas Macho. Über bestimmte Entwicklungen und Begriffe müsse mehr gesprochen werden, auch im Zusammenhang mit politischen Suiziden. Die christliche Tabuisierung von Suizid als Sünde werde heute ebenso kritisch betrachtet wie eine Stigmatisierung von Betroffenen, meint Macho.

Trauer zulassen

In den aktuellen Kodex des katholischen Kirchenrechts (CIC) ist die Verweigerung einer kirchlichen Beisetzung von Suizidenten nicht mehr aufgenommen worden. Es lasse sich nicht nachweisen, "ob jemand in der Selbsttötung wirklich ein letztes Nein zu sich selbst und zu Gott gesprochen hat", heißt es dazu im Erwachsenen-Katechismus von 1995.

Die Kirche verurteile zwar die Tat selbst als Sünde – nicht aber den Menschen, der sie begehe. Auch in anderen Bereichen gibt es Veränderungen. "Man spricht inzwischen offener über Depressionen", sagt Psychologe Schmidtke. Schroeter-Rupieper kritisiert dagegen die Leistungsgesellschaft. "Oft winken wir ab und sagen: 'Ach, geht schon', wenn es uns tatsächlich schlecht geht." Dabei könne jeder im eigenen Umfeld gegensteuern.

Offenerer Umgang mit Suizid

"Statt Durchhalteparolen und Lob dafür, wenn jemand niemals weint, sollten wir einander ermutigen, Negatives zuzulassen." Der Umgang mit Suizid sei offener geworden, beobachten die Experten. "Vor 20 Jahren war es noch ein absolutes Tabu", sagt Schroeter-Rupieper. Heute seien ein Viertel derjenigen, die sie begleitet, Angehörige von Suizidenten. Auch ein Selbsthilfeverein für Suizidhinterbliebene, AGUS, ist inzwischen bundesweit etabliert.

Zugleich entsteht nach Einschätzung von Autorin Paul eine "neue Pathologisierung von Trauerprozessen, besonders Suizidhinterbliebene werden teilweise pauschal als traumatisiert und therapiebedürftig angesehen". Auf die Frage nach dem "Warum?" könnten Angehörige keine Antwort finden, so Pauls Fazit: Für sie habe "die Selbsttötung eines vertrauten Menschen keinen Sinn". Für denjenigen, der sich selbst töte, ergebe diese Tat dagegen Sinn. Er wolle dies in der Regel nicht anderen antun: "Er tut es für sich."


Quelle:
KNA