Kölner Offizial zur Arbeit am Kirchengericht

"Unsere Arbeit ist auch Seelsorge"

Was macht eigentlich ein Offizial? Der Leiter des kirchlichen Gerichtes in Köln, Prälat Günter Assenmacher, spricht im Interview über seine Arbeit und über die gestiegene Zahl der Ehe-Annullierungsprozesse.

Symbolbild Scheidung / © Patrick Pleul (dpa)
Symbolbild Scheidung / © Patrick Pleul ( dpa )

DOMRADIO.DE: Herr Dr. Assenmacher, Sie haben unlängst die Zahlen des Offizialates vorgelegt. Demnach hatten die Kölner Eherichter auch 2017 alle Hände voll zu tun. Welche Menschen kommen zu Ihnen?

Prälat Dr. Günter Assenmacher: Man muss drei Gruppen unterscheiden: Da sind die mit einer starken kirchlichen Bindung. Obwohl sie in der Kirche geheiratet haben, ist ihre Ehe gescheitert. Ohne die Kirche würden sie nie eine zweite Ehe eingehen. Die amtliche Feststellung, dass diese Bindung nie rechtsgültig zustande gekommen ist, bedeutet für sie eine unabdingbare Voraussetzung für eine neue Bindung. Dann gibt es diejenigen, die einen kirchlichen Arbeitsplatz haben und diesen zu verlieren fürchten oder eine Leitungsfunktion anstreben, die sie als wiederverheiratet Geschiedene nie erreichen können.

Der "Arbeitgeber Kirche" argumentiert seinerseits, dass die Lebensweise der Mitarbeitenden nicht im Widerspruch zum Verkündigungsauftrag der Kirche stehen darf. Hier entsteht eine schwierige, ja unauflösbare Spannung, wenn die christliche Botschaft durch fehlende Kongruenz konterkariert wird. Die dritte Gruppe schließlich besteht aus denjenigen, die jemanden kennengelernt haben, dessen Ehe gescheitert ist, und die von sich aus nicht auf die Idee kämen, deshalb ein kirchliches Verfahren zu führen; sie tun das dann aber doch, weil der neue Partner gerne kirchlich heiraten möchte. Die Motive sind also sehr unterschiedlich. Keineswegs ist es so, wie oft behauptet wird, dass allein Menschen den Dienst der kirchlichen Gerichte in Anspruch nehmen, die um ihren kirchlichen Arbeitsplatz bangen.

DOMRADIO.DE:  Oft wird Ihnen der Vorwurf gemacht, die Verfahren seien so etwas wie "Scheidung auf katholisch".

Assenmacher: Es gibt auch heute noch Menschen, die im Glauben felsenfest davon überzeugt sind, dass das Versprechen ihrer Eheschließung selbst dann noch bindet, wenn die Ehe irreparabel gescheitert ist. Sie leben nach dem Gebot "Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen". Ist eine Ehe zwischen zwei Getauften gültig geschlossen und vollzogen, kann das einander gegebene Versprechen nicht zurückgenommen oder aufgehoben werden. Eine solche Ehe ist nach katholischem Verständnis absolut unauflöslich.

In den Verfahren prüfen wir daher lediglich, ob die Ehe nach den Maßstäben des katholischen Glaubens gültig zustande gekommen ist. Das wird bis zum Beweis des Gegenteils, bis zur gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit, zunächst einmal angenommen. "Scheiden auf katholisch" gibt es nicht. In einem kirchlichen Ehenichtigkeitsprozess geht es niemals um die Scheidung einer sakramentalen Ehe.

DOMRADIO.DE:  Welche Kriterien, die zur Feststellung der rechtlichen Ungültigkeit einer Ehe führen, legt das Gericht denn an?

Assenmacher: Wir prüfen, ob die vorgeschriebene Form beachtet wurde, ob der Ehewille hinlänglich vorhanden war und ob die Brautleute die unabdingbare Eignung mitbrachten. Das heißt, wenn jemand, der als katholischer oder orthodoxer Christ zu einer kirchlichen Trauung verpflichtet gewesen wäre und darauf ohne Einholung einer Dispens verzichtet hat, kann die Ungültigkeit dieser Ehe sogar außergerichtlich, auf dem Verwaltungsweg, festgestellt werden. Dies geschah im Jahr 2017 bei 251 Ehen im Bereich des Erzbistums Köln durch die Stabsstelle Kirchenrecht im Generalvikariat. Ungültig ist eine Ehe, wenn bei wenigstens einem Partner ein Ehehindernis vorlag, etwa dass jemand durch eine vorgängige Ehe kirchlich noch gebunden ist. Selbstverständlich ist eine Ehe ungültig, wenn etwa durch ein ärztliches Gutachten nachgewiesen werden kann, dass wenigstens einer der Partner juristisch nicht zurechenbar und geschäftsfähig war.

Mangelnde Eignung im Sinne von Eheschließungsunfähigkeit zeigt sich auch in einer fehlender Reife, Selbständigkeit oder Verantwortungsfähigkeit. Hier gilt zu beachten: Nicht Schwierigkeiten machen eine Ehe ungültig, sondern erst Unfähigkeiten. Das heißt, trotz des besten Willens der Beteiligten konnte ihre Ehe nicht gelingen. Das gilt auch für die Eheführungsunfähigkeit: beispielsweise bei einer homosexuellen Veranlagung, wenn in einem andersgeschlechtlichen Partner keine Erfüllung gefunden werden kann. Schließlich zur Frage des unabdingbaren Ehewillens: Nicht die Geschlechtsgemeinschaft konstituiert die Ehe, sondern der Ehewille der Partner. Dieser bei der Trauung ja ausdrücklich erfragte Wille darf nicht nur vorgespielt sein, wie bei einem Heiratschwindler oder dem Abschluss einer "Scheinehe".

Der Ehewille ist erheblich eingeschränkt, wenn jemand zur Heirat gezwungen wurde, sich in einem rechtserheblichen Irrtum befand bzw. zum Zweck der Heirat getäuscht wurde. Die wesentlichen Inhalte des Eheversprechens können von denen, die heiraten wollen, nicht willkürlich bestimmt oder eingeschränkt werden, sondern sind nach der gläubigen Überzeugung der Kirche vorgegeben. Deshalb: Wer von vornherein Treue, die Unauflöslichkeit der Ehe oder eine Familiengründung ausschließt, heiratet mit einem sogenannten Vorbehalt. Ein solcher lässt eine kirchlich gültige Ehe gar nicht erst zustande kommen. Kann das bewiesen werden, erklärt das Gericht die Ehe für ungültig. Es stimmt nicht, dass ein Stück der eigenen Lebensgeschichte dabei gelöscht bzw. "annulliert" wird. Im Gegenteil: Es wird sorgfältig in den Blick genommen, so schmerzlich und mühsam es ist, sich einer Vergangenheit zuzuwenden, die in der Regel mit größten Erwartungen und ganz viel Zuversicht begonnen wurde, aber unglücklich endete.

DOMRADIO.DE:  Wie lässt sich all das nach vielen Jahren überhaupt noch feststellen?

Assenmacher: Natürlich gibt es die „einfachen“ Beweise im Sinne eindeutiger Dokumente ziemlich selten. Und die menschliche Erinnerung neigt im Rückblick nun mal zu einer subjektiven Deutung des Geschehenen. Und doch gibt es für manches objektive Anhaltspunkte und, wenn man verschiedene Menschen dazu hört, übereinstimmende Wahrnehmungen. Deshalb ist schon vom ersten Beratungsgespräch an genaues Zuhören gefragt. Wir lassen die Menschen erzählen. Denn wir wollen erfahren, wie die bisherige Beziehungsgeschichte verlaufen ist. Meistens beginnt eine Liebe ja eher romantisch, und erst einmal ist es unvorstellbar, dass sie scheitern könnte.

Für viele Menschen ist die Vorstellung einer Trennung sogar erschreckender als der Tod. Gleichwohl scheitern viele Ehen. Für uns ist der entscheidende Punkt nicht das Ende dieser Geschichten, sondern der Moment der Heirat. Wir wollen herauszufinden, ob bereits bei der Eheschließung – juristisch gesprochen – etwas Rechtserhebliches vorlag, was eine gültige und damit unauflösliche Bindung gar nicht zustande kommen ließ.

DOMRADIO.DE:  Sie kennen die Stimmen, die kirchliche Annullierungsverfahren als eine Art „Hintertürchen“ für Katholiken belächeln, weil sie glauben, dass auf diese Weise so mancher seinen Fehler bei der Partnerwahl korrigieren möchte. Gerade bei prominenten Beispielen – ich denke da an Caroline von Monaco vor mehr als 25 Jahren – ist das besonders heikel und für viele nicht nachvollziehbar. Hat die Kirche da ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Assenmacher: Wir hätten kein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn wir die Urteile veröffentlichen dürften. Denn daran könnte man ablesen, dass die Gerichte im Nachhinein nichts konstruieren, sondern in einer redlichen, sehr gründlichen Weise die Wahrheit ans Licht zu bringen versuchen. Nur darum geht es. Und das hat für die Beteiligten oft etwas Befreiendes. Das Scheitern in diesem Licht zu sehen, bedeutet nicht selten Erleichterung und schafft eine neue Freiheit. Natürlich: Oft ist es ein sehr schmerzhafter Prozess, dem Nichtgelingen der eigenen Ehe auf den Grund zu gehen. Manchmal tun sich in solchen Gesprächen auch menschliche Abgründe auf. Das müssen die Beteiligten dann auch aushalten können.

Zu dem spektakulären Beispiel: Einen "Prominentenbonus" gibt es nicht, auch wenn wir immer wieder mit diesem Vorurteil konfrontiert werden. Jeder muss denselben Weg der Auseinandersetzung mit sich selbst gehen, und jeder hat Anspruch auf ein vorbehaltloses Verfahren. Die öffentliche Diskussion aber zeigt immer wieder, dass viele unserer Arbeit deshalb ablehnend gegenüber stehen, weil sie meinen, wir versuchten, mit einem großen Radiergummi ein Stück gemeinsamer Lebensgeschichte, in der es oft auch Schönes und Gelungenes gab, auszulöschen. Aber wir radieren nichts aus, wir legen nur offen – und das auch nur für die Beteiligten. Denn alles, was hier im Offizialat vertrauensvoll besprochen wird, unterliegt der Schweigepflicht.

Sicher wünschen sich nicht wenige Menschen, dass die Kirche die Legitimität des Scheiterns anerkennt und sich mit allen ohne Wenn und Aber freut, denen es gelungen ist, einen Schlussstrich zu ziehen und einen Neuanfang zu wagen. Das Argument, dass eine lebenslange Bindung doch eine Überforderung sei, hören wir dabei oft – und auch den Satz: „Ich denke gar nicht daran, dieses Fass noch einmal aufzumachen.“ Dem halte ich entgegen: Keiner kann seine Geschichte ungeschehen machen. Es wurde ein Versprechen gegeben und nicht gehalten. Daran lässt sich nichts schön reden. Man hat eine Zeit lang nicht nur mit einem Menschen zusammen gelebt, man hat ihn gebraucht, mitunter verbraucht. Das kann für den Betroffenen, der zurückbleibt, brutale Realität sein. Aber auch das ist ein Teil der Wahrheit.

DOMRADIO.DE: Vor genau zwei Jahren, am 19. März 2016, hat Papst Franziskus das nachsynodale Schreiben "Amoris Laetitia" unterzeichnet. Hat sich Ihre Arbeit als Offizial dadurch verändert?

Assenmacher: Positiv ist: Die beiden Bischofssynoden 2014 und 2015 haben unserer Arbeit, die so gut wie keine Lobby hat, etwas mehr öffentliche Aufmerksamkeit verschafft. Ein Beleg dafür sind die gestiegenen Prozesszahlen. Negativ: Durch die vom Papst selbst, manchen Teilnehmern und Beobachtern beklagte Fokussierung auf den Aspekt des Kommunionempfangs für wiederverheiratet Geschiedene sind leider die übrigen Teile dieses wichtigen Schreibens weitgehend unbeachtet geblieben. Dabei fordert der Papst sehr eindringlich eine Intensivierung der Ehepastoral und eine seelsorgliche Begleitung von Familien auch in schwierigen Situationen. Dieses Bemühen um die für die menschliche Gesellschaft so überaus wichtige Familie als "Lernort des Glaubens" mit allen ihren aktuellen Herausforderungen, die Franziskus sehr deutlich benennt, wurde aber bislang viel zu wenig gewürdigt. Das ist höchst bedauerlich.

DOMRADIO.DE: Es wird kritisiert, dass "Amoris Laetitia" unterschiedlich interpretiert wird und die nationalen Bischofskonferenzen individuell mit dem Kommunionempfang für wiederverheiratet Geschiedene umgehen. Ist diese Uneinheitlichkeit nicht ein Problem?

Assenmacher: Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass die einen aus den Dokumenten lediglich herauslesen, dass jeder "nur" seinem eigenen Gewissen verpflichtet sei, während andere zu Recht darauf verweisen, dass der Papst betont habe, wo immer ein Klagegrund vorliegt, sollten die Betroffenen nicht zögern, sich an das zuständige kirchliche Gericht zu wenden. Erst ein Urteil im Sinne der Klage ermöglicht eine zweite sakramentale Ehe. Ich bin sehr froh, dass dieser "Mehrwert" immer noch Menschen die Mühen, die zweifelsohne mit dem Verfahren verbunden sind, wert sind.

DOMRADIO.DE: Kritiker sprechen von einer "Verwirrung", die "Amoris laetitia" bei den Gläubigen ausgelöst hat. Können Sie das bestätigen?

Assenmacher: Meines Erachtens besteht die "Verwirrung" darin, dass sich nun noch mehr Betroffene als bisher als "Richter in eigener Sache" wähnen und sich auf ein Gewissen berufen, dem die notwendige Gewissensbildung gar nicht zuteil geworden ist. Mich wundert sehr, dass dieses Desiderat, dass das Gewissen gebildet werden muss – im Haupttext wird diesem Aspekt viel Raum gegeben – bislang nach meiner Wahrnehmung kaum aufgegriffen worden ist.

DOMRADIO.DE: Kardinal Woelki hat kürzlich noch einmal daran erinnert, dass alle in der Seelsorge und in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung Tätigen Betroffene dazu ermutigen sollten, die Anstrengungen eines solchen Ehenichtigkeitsverfahrens auf sich zu nehmen. Es scheint ihm ein pastorales Anliegen zu sein. 

Assenmacher: Es braucht schon viel Mut – das kann ich nur bestätigen –, sich auf einen solchen Prozess einzulassen. Denn viele Menschen werden dabei auch ihres eigenen Anteils am Scheitern einer versprochenen Lebensgemeinschaft inne. Nach meiner Erfahrung erweist man sich auf Dauer keinen Dienst damit, wenn man glaubt, ein Kapitel des eigenen Lebens verkapseln zu können. Man sollte es anschauen und nicht allein mit sich selbst ausmachen. Dafür bedarf es des Blicks von außen. Wie oft hören wir: "Das tue ich mir nicht an: die Kruste über alten Wunden wieder aufreißen…" Aber ich versichere: Auch wenn es keine schnellen Lösungen gibt und der Weg schmerzhaft ist: Die Wahrheit macht frei.

Und so kann oftmals aus einem solchen Prozess eine Klarheit gewonnen werden, die von falschen Selbstvorwürfen entlastet und andere in einem zutreffenderen Licht erscheinen lässt. Dann kann es – bei allen Brüchen in der eigenen Biografie – eine Heilung im Sinne des Annehmens geben. So verstanden ist unsere kirchenrechtliche Arbeit auch eine Form von Seelsorge. Und am Ende – das ist das Ziel –- öffnet sich eine Tür für eine neue Eheschließung, die bewusst sakramental sein soll. Gottes unbeirrbare Liebe, die er nie zurücknimmt, ist in unserer menschlichen Wirklichkeit keine Utopie. Das zu ermöglichen ist unsere Aufgabe.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.


 Offizial Dr. Günter Assenmacher / © Tomasetti (DR)
Offizial Dr. Günter Assenmacher / © Tomasetti ( DR )

 Offizial Domkapitular Prälat Dr. Günter Assenmacher / © Tomasetti (DR)
Offizial Domkapitular Prälat Dr. Günter Assenmacher / © Tomasetti ( DR )
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