Brauchtumsforscher zur Veränderung der Begräbniskultur

"Grab war Mittelpunkt der Familie"

Der November gilt als Monat des Gedenkens an die Toten. An Allerseelen oder am Totensonntag wird besonders an die Toten gedacht. Wie sich die Begräbniskultur in den Jahren geändert hat, erklärt Manfred Becker-Huberti im Interview mit domradio.de.

 (DR)

domradio.de: Ältere Menschen sprechen oft davon, wie schön eine Beerdigung war. Früher sagte man "Das war eine schöne Leich!" Wie ist das gemeint?

Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti (Theologe und Brauchtumsforscher): Damit ist nicht die Leiche als solche, sondern es geht um die Würde, um das ehrenvolle Geleit. Es geht um das abgesprochen, rituelle Vorgehen bei der Beerdigung. "Die schöne Leich" bezeichnet eine Beerdigung, die - "rite et recte" würden die Lateiner sagen - also dem Ritus gemäß durchgeführt wird. 

Früher war es so, dass es keinen Beerdigungsunternehmer gab, sondern die Nachbarschaft, die dann für solche Dinge eintrat. Es wurde geregelt, in welchen Sarg jemand begraben wird oder wer die Leiche zum Friedhof zu bringen hatte. Das waren immer Personen aus der Nachbarschaft. Und wenn das alles funktionierte und klappte, dann war es eine "schöne Leich".

domradio.de: Was ist denn der Unterschied zwischen einer würdigen Beerdigung, wie sich das moderne Menschen heute vorstellen und der, wie sie im katholischen Sinne üblich war?

Becker-Huberti: Im katholischen Sinne gehörte zu der Beerdigung, dass der Leichnam zu Hause aufgebahrt wurde. Der Sarg wurde in die Kirche gebracht und stand dann während des Gottesdienstes vor der Kommunionbank. Nach dem Gottesdienst hat die Gemeinde den Sarg zum Friedhof begleitet. Heute geschieht eine Beerdigung oft viel privater und ist nicht mehr so stark an der Gemeinde angegliedert. 

domradio.de: Das erkennt man auch an den Urnenbestattungen, die heute selbstverständlicher sind. Das war von katholischer Seite aber nicht immer so, oder?

Becker-Huberti: So lange ist das noch gar nicht selbstverständlich. Eine Urnenbestattung war ein Kennzeichen derer, die die Auferstehung ablehnten. Die Feuerbestattung sollte ein Zeichen sein, dass man nicht an die Auferstehung glaubte. Die Kirche hat darauf schroff reagiert: Wer verbrennen lässt, der wird nicht kirchlich begraben. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall. So war es früher auch nicht, wenn man weit in die römische Zeit zurückschaut. Damals wurde auch verbrannt und die Kirche hat dann die Erdbestattung bevorzugt, weil die Menschen so begraben werden sollten, wie Jesus begraben wurde. Das ist inzwischen ein wenig anders geworden. Nicht, weil  man damit die Auferstehung leugnen möchte, sondern weil unsere gesellschaftlichen Bedingungen sich geändert haben.

domradio.de: Was hat sich genau geändert?

Früher war das Grab der Mittelpunkt der Familie. Es war der Treffpunkt und auch ein Ort der Repräsentation. Dort wurde gezeigt, ob die Familie funktionierte oder nicht. Das Schmücken des Grabes war ein Zeichen dafür, dass bei der Familie alles gut läuft. Das geht heutzutage nicht mehr, weil die Nachgebliebenen meistens nicht mehr am gleichen Ort wohnen. Auch die Kosten für ein Grab und die Grabpflege selbst sind für viele Menschen nicht mehr möglich. Eine Urnenbestattung ist daher immer noch etwas preiswerter als die Erdbestattung.

Eine Menge Menschen haben die Vorstellung, man könnte die Leiche in einen Diamantring verarbeiten, um den mit sich zu tragen. Dem widerspricht aber die Würde des Toten. Es ist schon eine komischer Gedanke, sich die Oma als Diamantring vorzustellen.

domradio.de: Viele betten ihre Angehörigen auch in Friedwäldern. Was steckt dahinter?

Becker-Huberti: Die Menschen möchten die Toten mit der Natur in Verbindung bringen und nicht auf irgendeinen Friedhof begraben. Das ist eine romantische Idee, allerdings geht mir eine andere Vorstellung zu weit. Viele denken, dass der Tote dann Teil eines Baumes wird und in den Bäumen weiterlebt. Da wäre für mich eine Grenze. Aber diese neuartigen Friedwälder gibt es immer mehr, da viele Menschen sie in Anspruch nehmen.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.


Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti / © privat (DR)
Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti / © privat ( DR )
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