Rettungskräfte und Mediziner diskutieren Vorgehen bei Terror

Helfer als bevorzugte Ziele

​Nach dem Terror der vergangenen Monate ist auch Ärzten und Rettungskräften in Deutschland mehr und mehr bewusst geworden, dass sie für solche Katastrophen gewappnet sein müssen. Es geht um Ausbildung, Ausrüstung und Notfallpläne.

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Christoph Arens und Paula Konersmann
Notfallübung in einem Krankenhaus in Berlin / © Paul Zinken (dpa)
Notfallübung in einem Krankenhaus in Berlin / © Paul Zinken ( dpa )

Nicht erst seit dem Terroranschlag in London debattieren deutsche Rettungsdienste und Helfer über den Umgang mit Notlagen. Am Donnerstag schlug nun der Marburger Bund Alarm: Die medizinische Vorbereitung auf Terrorattacken sei unzureichend, sagte der zweite Präsident des Ärzteverbands, Andreas Botzlar, der "Welt". Aufgrund der hohen Auslastung von Notfallaufnahmen gebe es keine Möglichkeit, Katastrophenpläne regelmäßig zu üben. Zudem drohe bei einer Großlage ein Patientenstau.

Bereits nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember hatte der Malteser Hilfsdienst auf Reformbedarf hingewiesen. "Wir müssen auf solche Ereignisse vorbereitet sein, schon allein, um unsere Helfer körperlich, aber auch mental zu schützen", sagte der Bereichsleiter Notfallvorsorge, Benedikt Liefländer, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Ist Spezialausrüstung nötig?

Diskutiert wird etwa die Frage, ob Rettungswagen eine Spezialausrüstung für Terrorsituationen brauchen. Die meisten Bundesländer meinen Nein. "Von seiten der Landesregierung Nordrhein Westfalen gibt es derzeit keine Empfehlungen zum Mitführen spezieller Ausrüstungsgegenstände zur Versorgung von Opfern von Terroranschlägen", hieß es im Oktober in Düsseldorf. Schließlich gehe es um die Versorgung von Verletzungen, wie sie auch nach Unfällen oder Unglücken in Industrieanlagen auftreten könnten.

Dagegen hatte Berlin seine Rettungswagen schon 2013 mit speziellen blutstillenden Medikamenten nachgerüstet. Baden-Württemberg feilt an einem erweiterten Ausrüstungskonzept. Das bayerische Innenministerium empfiehlt den Rettungsdiensten neuerdings Ausrüstungsgegenstände für Sprengstoffanschläge und Schussverletzungen.

Psychologische Vorbereitung

Die Malteser betonen, bislang sei der Rettungsdienst vor allem mit Herzinfarkten oder Schlaganfällen beschäftigt. Bei Terrorangriffen träten aber gehäuft Schussverletzungen, Splitterwunden oder großflächige Weichteilverletzungen mit großem Blutverlust auf, bis hin zum Verlust von Gliedmaßen, so Liefländer. "Darauf muss man psychologisch vorbereitet sein, aber auch mit Verbandsmaterial und medizinischem Gerät." Laut Marburger Bund haben Ärzte mit solchen Verletzungen eher wenig Erfahrung.

Mehrere medizinische Fachgesellschaften haben zuletzt Konferenzen und Fortbildungen veranstaltet, um etwa Chirurgen und Krankenhäuser für die medizinische Versorgung von Terroropfern zu sensibilisieren. In einer Handreichung betont die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) die Bedeutung sogenannter Tourniquets, die ursprünglich in der Militärmedizin entwickelt wurden, aber zunehmend auch im zivilen Rettungsdienst Verwendung fänden. Mit ihnen lassen sich stark blutende Gliedmaßen abbinden, wenn ein Kompressionsverband nicht ausreicht oder nicht praktikabel ist. Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie forderte jetzt in der "Welt" eine flächendeckende Anschaffung von Torniquets.

"Maximaler Schrecken"

Auch das Verhalten der Helfer in Terrorsituationen muss geschult werden: Opfer könnten laut Rettungsdienst-Experte Liefländer verbluten, "weil die medizinische Hilfe erst dann einsetzt, wenn die Täter ausgeschaltet sind. Wenn man das verhindern will, muss gegebenenfalls die medizinische Hilfe früher einsetzen, also noch während die Täter bekämpft werden." Dabei müssten sich die Helfer aber klarmachen, dass sie selber bevorzugte Ziele sein könnten: "Schließlich zielen Terroristen heutzutage darauf, maximalen Schrecken zu verbreiten und dementsprechend Schaden anzurichten."

Die Politik reagiert indes mit Unverständnis auf die Vorstöße. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, verwies in der "Welt" auf die hohen medizinischen Standards in Deutschland. "Ärzte sind gut ausgestattet und ausreichend vorhanden, zudem haben wir viele Spezialzentren." Chirurgen könnten die meisten Verletzungen auch dann behandeln, wenn sie nicht täglich damit konfrontiert seien. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Kathrin Vogler, warf den Ärzten Panikmache vor: "Hier will eine Berufsgruppe ihr Süppchen auf einer gesellschaftlichen Stimmungslage kochen."


Quelle:
KNA