Münchener Domkapitular will nach Amoklauf Trost spenden

Die Hoffnung leben

Die Stimmung in München ist nach dem Amoklauf gedrückt, beschreibt Msgr. Wolfgang Sauer aus dem Münchner Domkapitel. Christen hätten nun die Aufgabe Seelsorge zu leisten. Trotz der Schrecken gelte es, "die Hoffnung zu leben".

Trauer in München / © Sven Hoppe (dpa)
Trauer in München / © Sven Hoppe ( dpa )

domradio.de: Selber haben Sie die Stadt eine Stunde vor dem Amoklauf verlassen. Was haben Sie gedacht, als Sie die Meldungen gesehen haben am Freitagabend?

Monsignore Wolfgang Sauer (Ehrendomherr in München und geistlicher Leiter des Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuchses, der katholischen Journalistenschule in München): Mir ist es gegangen wie allen anderen: großes Entsetzen und verbunden natürlich mit der Wahrnehmung, wie zerbrechlich unsere Existenz ist. Mich hätte es auch erwischen können. Ich bin ja an dem Abend sehr unweit von der Stelle des Einkaufszentrums vorbeigefahren. Man wird da sehr nachdenklich. In die Dankbarkeit, dass man selber nicht betroffen ist, mischt sich die große Nachdenklichkeit.

domradio.de: In München geht heute die Arbeitswoche los. Welche Stimmung herrscht in der Stadt?

Msgr. Sauer: Ich denke, es ist nach wie vor, das große Gesprächsthema. Das Leben geht weiter, sagt man. Es ist in der Stadt selber normale Alltagsstimmung, aber eine gewisse Bedrücktheit, auch durch die abgesagten Feste jetzt vom Wochenende ist schon zu spüren. Man kann sich dem nicht entziehen. Die Stimmung ist gedrückt, die Umstände des Wetters geben noch ihr zusätzliches. Es ist kein Sonnenschein, sondern ein sehr bewölkter Himmel und das legt sich auch auf die Seelen. 

domradio.de: Am Samstagabend haben Sie Messe gehalten, da haben Sie sicher auch den Amoklauf thematisiert, oder? Das Thema Seelsorge ist gerade sehr wichtig?

Msgr. Sauer: Klar, dem kann man sich nicht entziehen. Das ist ja auch unsere Aufgabe als Kirche: die Seelsorge, der wir alle verpflichtet sind. Will helfen, will trösten, will begleiten. Auch übrigens die Frage nach dem Warum auszuhalten. Sie ist natürlich in diesen Augenblicken ganz im Vordergrund, wenn man in die Abgründe der menschlichen Seele schaut. Wir haben ja jetzt seit dem Attentat von München noch weitere schlimme Dinge: Reutlingen, Ansbach. Man wird ja gar nicht mehr zu Ruhe kommen mit der Frage: Was für einen Menschen hat Gott da geschaffen und welche tiefen Verunsicherungen sind da? Ich habe mich besonders an dieses eine Wort erinnert, dass wir nach dem Vaterunser in diesem kleinen Einschub beten: Bewahre uns vor Verwirrung und Sünde. Wir sind in diesem Augenblick in einer unglaublich zerbrechlichen Situation, wir sind aufgewühlt und auch in dieser Hektik, vielleicht auch einer panischen Hektik, irgendwelche Deutungen und Schlüsse zu ziehen, die eigentlich mit der Hoffnung des christlichen Glaubens nichts zu tun haben. Ich könnte auch das Wort von Dietrich Bonhoeffer nennen: "Ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen das Heil, für das Du uns bereitet hast." Ich glaube, die Aufgabe der Christen ist in diesem Augenblick, nicht jetzt noch mit Schuldzuweisungen zu kommen und den Politikern alle möglichen Zündeleien in ihren Analysen zu unterstellen. Unsere Aufgabe besteht darin, zunächst in einer großen Demut auf unsere Zerbrechlichkeit zu schauen, aber auch unabhängig von all diesen schlimmen Dingen, die Hoffnung zu leben und zu trösten und zu begleiten.

domradio.de: Sie sind geistlicher Leiter der katholischen Journalistenschule in München, wie gehen die jungen Leute bei Ihnen im Haus damit um? Welche Fragen haben sie?

Msgr. Sauer: Wir haben im Augenblick unsere osteuropäischen Journalisten im Haus, die Ferienakademie machen. Sie haben natürlich, das hat man über Facebook und Twitter verfolgen können, sofort ihre Verwandten in den Heimatländern Ukraine, Bulgarien und überall informiert, dass es Ihnen gut geht. Ich hatte selber noch keine Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen, weil sie ein freies Wochenende hatten. Ich habe mir fest vorgenommen, dass wir das bei unserem Morgenimpuls auch noch einmal ansprechen. Sie sehen die Dinge mit ihrer eigenen, zum Teil auch dramatischen innenpolitischen Situation, bei uns hier ein bisschen anders, aber die Sorge ist selber sehr sehr groß. Als geistlicher Direktor ist es meine Aufgabe hinzuhören, zu begleiten und vorallen Dingen auch dort, wo Tränen fließen, die Hand zu reichen.

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR