Wunibald Müller über gestresste Gottesdiener

Burn-Out auch bei Priestern

Der Stress im Job nimmt zu - das hat der "Stressreport Deutschland 2012" festgestellt. Diese Situation geht quer durch alle Berufe. Auch Priester sind betroffen, sagt im domradio.de-Interview der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller.

Wunibald Müller (KNA)
Wunibald Müller / ( KNA )

domradio.de: Schönen Guten Tag, Herr Dr. Müller! Ist der Ausdruck "Gestresste Priester" zutreffend - oder zu weit hergeholt?
Dr. Wunibald Müller: Der Ausdruck ist ganz sicher zutreffend, es gibt auf der anderen Seite natürlich auch den Eustress, also den positiven Stress, der bei vielen Priestern nachweisbar ist, also dass sie ihre Arbeit insgesamt als befriedigend erleben. Im negativen Sinn trifft der Ausdruck insofern zu, dass natürlich das Zuviel an Arbeit und die Einseitigkeit, die sich bei manchen Arbeiten einstellt, dann auch zum Stress führt.

domradio.de: Die meisten Befragten geben im Stressreport an, dass ständiges Telefonieren und E-Mail-Fluten ihnen den größten Stress bereiten ‑ das sieht bei der Arbeit von Priestern vermutlich ein bisschen anders aus. Was sind denn da die häufigsten Stressfaktoren?
Dr. Müller: Als häufiger Stressfaktor tritt zum Beispiel auf, dass beim Mittagessen das Telefon eines Priesters läutet und er tatsächlich schnell ans Telefon geht, anstatt sein Essen in Ruhe zu beenden. Die anderen Stressfaktoren sind sicher die vielen Erwartungen des Arbeitgebers, denen die Priester gerecht zu werden versuchen, vor allen die zunehmende Anzahl an Gottesdiensten, aber auch die vielen Erwartungen seitens der Gemeindemitglieder, die ganz differenzierte und sehr weitgehende Erwartungen haben, die oft nicht oder kaum zu erfüllen sind.

domradio.de: Nun gibt es ja den positiven Stress, den sogenannten Eustress, der den Geist beflügelt und dem Rücken nicht schadet ...und den negativen Stress, um den es hier in dieser Studie geht. Wie verteilen sich diese zwei doch sehr unterschiedlichen Stresssituationen denn im Priesterberuf?
Dr. Müller: Es gibt zum Beispiel eine ganz interessante Untersuchung aus den USA, warum Priester glücklich sind, und da zeigt sich, dass die Priester am glücklichsten sind, die tatsächlich eine innige Beziehung zu Gott und zu anderen Männern und Frauen haben. Also wenn der private und der spirituelle Bereich gut gelöst sind, dann sind die betreffenden Priester am wenigsten anfällig für Stress. Wenn sie aber in der Arbeit aufgehen, selbst in der religiösen Arbeit, also wirklich keine Zeit finden für eine persönliche Beziehung zu Gott oder auch für Hobbys oder Beziehungspflege, dann sind sie in besonderer Weise anfällig für Stress und dann auch, was damit einhergeht, für das Burn-out-Syndrom.

domradio.de: Gibt es denn unter den Priestern auch eine Zunahme der sogenannten Burn-out-Fälle, die ja oft am Ende langer Stresssituationen stehen?
Dr. Müller: Eindeutig! Das hat sicher mit zwei Faktoren zu tun: Der eine ist, dass die Arbeit in der Tat immer mehr wird, dass immer mehr Gemeinden zusammengelegt werden und der Stressfaktor, der sich daraus ergibt, ist, dass viele nicht die entsprechende Ausbildung haben, um solche großen Fachverbände auch entsprechend leiten zu können. Oder aber Priester, die davon beseelt sind, wirklich jedem einzelnen gerecht werden zu wollen, das war bei einer kleinen Gemeinde eher möglich, das ist jetzt nicht mehr möglich. Der andere Stressfaktor ist der, dass diese Leute oft ein überzogenes Bild haben von sich, wirklich glauben, sie müssten die Welt sozusagen heilen, und sie dann damit einhergehend gefährdet sind, also vergessen haben, dass sie immer nur der kleine Hirte, die kleine Hirtin sind, wenn man jetzt einmal die kirchlichen Mitarbeiterinnen mit einbezieht, und dass es den großen Hirten im Grunde genommen gibt, der das Eigentliche zu tun hat. Das ist ein Problem bei vielen Priestern: Perfektionismus ‑ dass man heilig zu werden und vollkommen zu sein verwechselt mit Perfektionismus. Und dass man, wenn man perfekt sein will, natürlich niemals mit dem zufrieden ist, was man eigentlich tut, weil man immer hinterherbleibt, und einhergehend damit die Leute unzufrieden sind, was zusätzlichen Stress erzeugt, weil sie natürlich für sich das Gefühl haben möchten, dass sie sie alles vollkommen richtig gemacht haben.

Das Interview führte Tobias Fricke.