Aktivisten für mehr Engagement bei Vorsorge gegen Schlangenbisse

Eine unsichtbare Gesundheitskrise

Wer von einer Schlange gebissen wird, geht in eine Klinik und bekommt das Gegengift. Das ist jedenfalls die gängige Vorstellung. Die Praxis zeigt: Die am stärksten Betroffenen sind für Pharmakonzerne kommerziell nicht attraktiv genug.

Autor/in:
Markus Schönherr
Ein Schlange setzt zum Biss an / © Kevin Wells Photography (shutterstock)
Ein Schlange setzt zum Biss an / © Kevin Wells Photography ( shutterstock )

Jedes Jahr sterben tausende Menschen in Afrika an den Folgen von Schlangenbissen. Das ist kein tragisches Schicksal, sondern ein vermeidbarer Tod, so ein Appell der UNO. Die Staatengemeinschaft nahm die "Vergiftung durch Schlangenbisse" 2017 in ihre "Liste vernachlässigter Tropenkrankheiten" auf. Anders als im Fall von Covid-19, findet sich jedoch kaum ein Pharmakonzern, der Arzneien gegen Schlangenbisse in Massen produzieren will.

Jährlich werden knapp drei Millionen Menschen weltweit von Giftschlangen gebissen. Für 100.000 von ihnen endet die Intoxikation, die die Muskeln schädigt und die Atmung lähmt, mit dem Tod. Etwa viermal so viele Menschen überleben mit bleibenden Behinderungen. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) spricht von einer "unsichtbaren Gesundheitskrise".

Arme Länder betroffen

Denn betroffen seien vor allem arme Länder, jedes fünfte Opfer sterbe in Subsahara-Afrika. Die Risikogruppe besteht laut WHO aus "Landarbeitern, Hirten, Fischern, Jägern und Kinderarbeitern", die oft barfuß und in Shorts an die Arbeit gehen. Ihre letzte Hoffnung ist das Gegengift.

"Im Gegensatz zu vielen anderen ernsten Erkrankungen existiert eine hochwirksame Behandlung", so die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Doch die steht in Entwicklungsländern nur wenigen zur Verfügung. Das rettende Gegengift kostet pro Behandlung bis zu 400 Euro - das entspricht in den ärmsten Ländern dem mehrfachen Jahresgehalt eines Bauern. Die versteckte Gesundheitskrise - sie ist in erster Linie das Ergebnis von wirtschaftlichen Entscheidungen, sagt Marco Alves, Koordinator der Medikamentenkampagne bei MSF Deutschland: "Generell besteht das Problem, dass für Krankheiten, die kein kommerzielles Interesse der Industrie wecken, nicht ausreichend in Entwicklung investiert wird."

Wie attraktiv der Markt in Entwicklungs- und Schwellenländern für Pharmakonzerne ist, zeigt das Beispiel Fav-Afrique. Das Präparat des französischen Konzerns Sanofi Pasteur galt als effektives und sicheres Breitband-Gegengift, das gegen das Gift zehn afrikanischer Schlangen wirkte. 2015 wurde die Produktion eingestellt. "Es rechnete sich nicht für das Unternehmen", so Alves. Laut WHO haben in den vergangenen 20 Jahren "etliche" weitere Hersteller die Produktion von Antitoxinen gestoppt. Das lasse Betroffene auf unsichere Behandlungsmethoden zurückgreifen: Traditionelle Medizin oder ungetestete, zuweilen gefälschte Seren.

WHO gründet Expertengruppe

Die Corona-Pandemie drängte vernachlässigte Krankheiten noch weiter in die Vergessenheit. Nichtsdestotrotz wollen WHO und Aktivisten weiterhin Entscheidungsträger für das Problem Schlangenbisse wachrütteln. MSF ist überzeugt, die Kaufkraft eines Menschen dürfe nicht über Leben und Tod entscheiden: "Die reichen Länder stehen in der Pflicht, Gesundheitssysteme in ärmeren Ländern zu stärken", so Alves. Das bedeute auch, dass Regierungen stärker in Forschung für vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten investieren müssten - selbst, wenn es sich finanziell nicht lohne.

Die WHO begann voriges Jahr mit der Gründung einer spartenübergreifenden Expertengruppe zum Thema Schlangenbisse. Durch breiteren Zugang zu Arzneien und mehr Zusammenarbeit zwischen reichen und armen Staaten will die UN-Agentur die Zahl der Gift-Toten bis 2030 halbieren. "Wir suchen nach Wegen, wie wir besser mit den Gemeinden in Kontakt kommen, um auch die Prävention zu verbessen", so Bernadette Abela-Ridder von der WHO. "Die Covid-19-Pandemie hat den Fortschritt gebremst, dennoch kommen wir voran."

Wolfgang Preiser ist Medizinprofessor an der Universität Stellenbosch in Südafrika. Auch er sieht den Mangel an Antiseren als "großes Problem", wünscht sich aber auch mehr Eigeninitiative. "Hier könnte und sollte Afrika sich tatsächlich selbst helfen." Ein gefragter Akteur sei die kontinentale Gesundheitsbehörde, die bereits im Kampf gegen Covid-19 hervortrat. "Die Africa CDC sind ein gutes Beispiel dafür, wie es gehen kann - afrikanisch, aber, soweit ich es beurteilen kann, aktiv und effektiv."


Quelle:
KNA