Rätselhaftes und Abergläubisches zur Pilzsaison

Kein Mensch, kein Tier - doch immer hier

Da sind sie wieder! Nach dem Rekordjahr 2019 freuen sich Fans der gepflegten Pilzpfanne auf einen feuchten und warmen Frühherbst. Kulturhistorisch war das Objekt ihrer Suche immer ein Grenzgänger zwischen den Welten.

Pilze: nicht allen geheuer / © Anne Powell (shutterstock)
Pilze: nicht allen geheuer / © Anne Powell ( shutterstock )

Da stehen sie hoffentlich bald wieder, als schlanker Solitär in der blühenden Heide wie der Parasol (Riesenschirmling) oder als freundlich-dicker Baumbegleiter wie Röhrling oder Steinpilz.

2018 war die Ernte ganz mies, viel zu trocken. Bei Pilzens blieb man da zu Hause, im Boden. 2019 war dafür ein echtes Rekordjahr, als nach dem erneut heißen Sommer noch zur rechten Zeit der warme Regen einsetzte. Was hält das Corona-Jahr 2020 pilztechnisch an Beute bereit? Das erste Zwischenfazit: In Deutschlands Westen nix, im Süden topp.

Pilze sind geheimnisvolle Wesen - und vielen Menschen auch seit jeher nicht geheuer, wie ein Blick in die Kulturgeschichte zeigt. Was wir als "Pilze" verstehen und suchen, sind in Wahrheit nur die Früchte des eigentlichen Lebewesens Pilz, so wie die Pflaumen am Pflaumenbaum. Bei den Pilzen ist dieser unterirdische "Baum" in Wahrheit ein Fadengeflecht, ein Myzel, das sich über teils riesige Flächen ausdehnt - bis zu einem Quadratkilometer. Zumeist an seinen Rändern bildet das Myzel dann bei entsprechender Witterung - hierzulande feucht und nicht zu kühl - seine Fruchtkörper aus, die dann "aus dem Boden schießen".

Mystik der Pilze

Für den Menschen fängt dann die Befindlichkeit an: Freude, Furcht, Unbehagen. Schön sehen sie ja aus, ungewöhnlich, geheimnisvoll.

Träger geheimer Kräfte womöglich? Aber ist der Fund nun essbar oder giftig? Und warum stehen viele Pilze so auffällig im Kreis herum wie die Wichtel? Für solch gnomenartige Halbwesen zwischen Übererde und Untererde hatte das Mittelalter eine scheinbar griffige Erklärung parat: Pilze wuchsen dort, wo nachts zuvor noch die Hexen, Feen und Elfen getanzt hatten. Die Legende vom "Hexenring" hielt sich über viele Jahrhunderte.

Tatsächlich erklärt sich das vermeintliche nächtliche Tun der Halbwesen ganz logisch-biologisch: Das Myzel treibt seine Blüten respektive Früchte dort aus, wo es am vitalsten ist - an seinen frischen Rändern. Und da es sich im Zweifel allseits ringförmig ausbreitet, stehen die "Pilze" eben im Kreis.

"Giftige" Namen

Die Ehrfurcht und die stets gebotene Vorsicht des Menschen vor dem dritten Reich der Lebewesen - neben Tieren und Pflanzen - zeigt sich auch an all den wunderbaren Namen, eher Beschimpfungen gleich, die er den Pilzen gegeben hat: Gedrungener Wulstling, Filziger Milchling, Kuhfladenträuschling, Großer Schmierling, Säufernase, Gelbgestiefelter Schleimkopf, Dünenstinkmorchel, Lila Dickfuß, Zitterzahn, Gurkenschnitzling, Gifthautkopf - bis hin zu Hexenpilz und Satanspilz.

Was also essen von diesen möglichen Zauberwerkzeugen, was stehenlassen? Lange Zeit hielt sich der fatale Irrglaube, dass von Tieren angeknabberte Pilze auch für den Menschen unschädlich sein müssten. Der antike griechische Arzt Dioskur vermutete fälschlich einen Zusammenhang zwischen Standort und Giftigkeit. So seien Pilze in der Nähe von Schlangenhöhlen, verrostetem Eisen oder faulendem Tuch zu meiden. Der Aberglaube empfahl, vom Fund die ersten drei - als Opfer für die Waldgeister - in einen Baumstumpf zu legen und ein Vaterunser zu beten - oder aber den ersten hinter sich zu werfen.

Pilzsegen: Bio-Remidation

Der hessische Mediziner und Naturkundler Adam Lonitzer (1528-1586) warnte lieber grundsätzlich vor den Schwämmen: Es sei ihr Wesen zu bedrängen; sie seien kalter, phlegmatischer, feuchter und roher Natur. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts hielten sich Theorien, nach denen Verfärbungen in Berührung mit bestimmten Materialien oder anderen Lebensmitteln auf Gift schließen ließen. Doch nichts von alledem: Es sind die einzelnen Pilzarten selbst, die für den Menschen giftig - oder eben ungiftig und mitunter äußerst schmackhaft sind.

Aber nicht nur Vergiftung, sondern auch Entgiftung ist eine Möglichkeit für das Zusammenwirken von Pilz und Mensch. So verweist der Zoologe Robert Hofrichter in seinem Buch "Das geheimnisvolle Leben der Pilze" auf Pilzarten, deren kilometerlanges Fadengeflecht vom Menschen ausgebrachte und Giftstoffe im Boden binden, für sich verwerten und damit unschädlich machen können - im Fachjargon Bio-Remediation genannt.

Rekordpilze

Der größte weltbekannte Pilz ist ein Hallimasch aus Oregon. Sein Myzel erstreckt sich über 880 Hektar und wiegt geschätzte 600 Tonnen. Und in der chinesischen Provinz Hainan wurde 2010 an totem Baumholz der größte Pilzfruchtkörper der Welt entdeckt: ein fast elf Meter langer Borstenscheibling, mindestens 400 Kilo schwer.

Auch weit kleinere Funde können Freude machen. Doch Vorsicht: In Westböhmen hieß es einst: "Viel Schwamma, viel Jamma!"; oder in Frankreich: "an de cepere - an de misere (Steinpilz-Jahr, Elendsjahr)". Soll heißen: In regenreichen Sommern mit vielen Pilzen fällt die Getreideernte entsprechend schlecht aus. Für ganz Eitle noch ein kulinarischer Tipp aus Schlesien: Wer am Weihnachtsabend viele Pilze isst, dem stehen das ganze Jahr die Kleider.


Quelle:
KNA