Misereor kritisiert Klimaziele der Bundesregierung

"Deutschland ist kein Vorreiter im Klimaschutz"

Beim UN-Klimagipfel entgegnet Kanzlerin Merkel auf Greta Thunbergs Ansprache, man habe den Weckruf der Jugend gehört. Das katholische Hilfswerk Misereor widerspricht: Die Bundesregierung habe noch nicht verstanden, um was es gehe.

Flugzeuge stoßen viel CO2 aus / © Denis Belitsky (shutterstock)
Flugzeuge stoßen viel CO2 aus / © Denis Belitsky ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In New York sagte Angela Merkel: "Wir alle haben den Weckruf der Jugend gehört." Vergangenen Freitag gingen weltweit Millionen Menschen für das Klima auf die Straße. Trotzdem kann man den Eindruck gewinnen, dass Deutschland beim Klimaschutz schon mal weiter war. Haben wir den Weckruf wirklich gehört?

Kathrin Schroeder (Referentin für Energiepolitik beim katholischen Entwicklungshilfswerk Misereor): Wir befürchten, dass zwar die Mehrheit der Deutschen den Weckruf gehört hat, nicht aber unsere Bundesregierung. Am Freitag hieß es. Das ist alles gewesen, was möglich war. Das ist sehr traurig.

Greta Thunberg hat in den letzten Monaten auch immer wieder gesagt: "United behind the science" - also, versammelt euch hinter dem, was die Wissenschaft an Erkenntnissen zusammengetragen hat. Das Klimapaket bis über die Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm zeigen nicht, was die Wissenschaft als Maßnahmen anrät.

DOMRADIO.DE: Beim Klimagipfel waren explizit Länder eingeladen, die sich außerordentlich fürs Klima engagieren. Nicht dabei waren die USA, Brasilien und Saudi-Arabien. Mit den Beschlüssen des Klimakabinetts vom letzten Freitag sind die meisten nicht wirklich zufrieden. Saß die Kanzlerin in der Reihe der aktiven Nationen beim Klimagipfel wirklich am richtigen Platz?

Schroeder: Ein Journalist sagte, im Vergleich zu vielen anderen Ländern hat Deutschland immer noch den Ruf, ein Vorreiter im Klimaschutz zu sein. Wir sagen: Das ist leider nicht mehr der Fall. Und das muss auch die Weltgemeinschaft hören.

Wir wünschen uns mehr Druck von Ländern, die vorangehen wie Neuseeland oder die Demokratische Republik Kongo, die gestern angekündigt haben: Wir wollen unsere Klimaziele bis 2020 verbessern, weil wir verstanden haben, worum es geht. Das ist in Deutschland noch nicht angekommen. Nicht in dieser Bundesregierung.

DOMRADIO.DE: Aber wir tun ja etwas. Deutschland befindet sich unter den 66 Ländern, die bis 2050 klimaneutral sein wollen. Das sind etwa ein Drittel aller UNO-Staaten. Ist das nicht ein Schritt in die richtige Richtung, mehr als die anderen zwei Drittel zu tun?

Schroeder: Das stimmt. Deutschland hat ja schon seit langem auch einen langfristigen Klimaplan – den Klimaschutzplan 2050. Es gab auch schon ein Aktionsprogramm für die 2020-Ziele, bei dem es darum ging bis kommendes Jahr 40 Prozent weniger Emissionen als 1990 auszustoßen.

Es gibt aber zu wenig verbindliche Maßnahmen, die dafür sorgen, dass diese Ziele verbindlich umgesetzt werden. Das Klimaschutzpaket ist auch so ein kleines Sammelsurium - hier mal ein Förderprogramm, da mal ein Anreiz und zusätzlich noch etwas Ordnungsrechtliches. Uns fehlt einfach der Rahmen, der dafür sorgt, dass wir die 2030-Ziele - nämlich 55 Prozent weniger Emission im Vergleich zu 1990 - wirklich erreichen können. Uns fehlt ein Konzept. Und da fordern wir von der Bundesregierung, dass sie bis zur nächsten Klimakonferenz im November wirklich nachbessert.

DOMRADIO.DE: Schauen wir auf die Kirche. Papst Franziskus hat ein Grußwort zur Klimakonferenz geschickt. Er hat im Vorhinein gesagt, er verspüre Angst, wenn er Bilder eines eisfreien Polarmeers sieht. Gestern hat er aber auch hoffnungsvoll gesagt: Das Fenster, um den Planeten zu retten, ist noch nicht geschlossen. Wie sieht es denn mit unserer Verantwortung als Kirche und als Christen aus?

Schroeder: Unsere Verantwortung ist groß. Von solchen Worten fühlen sich alle ermutigt, die sich aus ihrem Glauben heraus um die Schöpfung kümmern wollen, weil sie merken, dass man selbst etwas tun kann.

Ich habe im ökumenischen Netzwerk Klimagerechtigkeit in den letzten Monaten wahrgenommen, wie viele die Solidaritätserklärung "Churches for Future" unterzeichnet haben. Da waren Gemeinden, Kirchenkreise, Bistümer dabei. Das ist total wichtig.

Es gibt Menschen, die merken, dass man etwas tun kann - zuhause oder in der Gemeinde. Die einerseits die "Fridays for Future"-Bewegung vor Ort unterstützen, die aber auch ins Energiemanagement einsteigen. Die mehr machen, um Papier zu sparen und das Gemeindefest klimafreundlicher auszurichten. Das ist total wichtig, denn so reißen wir vielleicht nochmal Leute mit, die nicht zu den richtigen Vorreitern gehören.

DOMRADIO.DE: Sie haben gehört, was Greta Thunberg den Staatschefs zugerufen hat: Es brauche radikale Schritte. Misereor fordert unter anderem das Verbot von Inlandsflügen, um das Klima zu retten. Thunberg macht den Partei- und Regierungschefs ein schlechtes Gewissen. Sie hat aber noch Hoffnung, dass wir es hinkriegen. Haben auch Sie Hoffnung, das Klima zu retten?

Schroeder: Ich habe schon ganz oft gesagt, ohne Hoffnung könnte ich diesen Job nicht machen. Es wird ja auch immer wieder sichtbar, dass noch Möglichkeiten bestehen. Der Weltklimarat hat in seinem Sonderbericht zu 1,5 Grad auch gesagt, wie viel Zeit noch ist. Wir haben ein CO2-Budget, mit dem man das 1,5-Grad-Limit für die globale Erwärmung noch einhalten kann - etwa, indem man Emissionen reduziert oder den Ressourcenverbrauch eindämmt. Unterschiedliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sehr konkrete Pfade aufgezeigt. Jetzt geht es darum, zu handeln.

Wir haben bei Misereor eine ganz kleine Maßnahme gestartet, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, worum es geht. Im Foyer steht ein Korb mit Zetteln. Darauf stehen Maßnahmen, die man persönlich umsetzen kann. Ich habe gezogen: Ich lebe diese Woche vegan. Was man mit Ernährung, Landwirtschaft tun kann, haben einige Leute nicht auf dem Schirm. Das ist etwas, womit wir bereits heute beginnen können.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR
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