Kontroverse um Vatikan-Dokument zum Thema Gender

Text der Bildungskongregation erzeugt Kritik

Allein der schwammige Begriff "Gender" erregt oft die Gemüter. Der Vatikan wollte dazu beitragen, solche Wogen in der Kirche zu glätten. Sein jüngster Text "Als Mann und Frau schuf er sie" erntet jedoch Kritik.

Autor/in:
Roland Juchem
Gender-Symbole (shutterstock)

Am Montag veröffentlichte die Römische Bildungskongregation ein Dokument zum Thema Gender-Theorien und Erziehung, das auf teils heftige Kritik stieß. Hauptvorwurf: Der Text entspreche nicht dem Stand der Diskussion. Weite Felder der entsprechenden Forschung würden ausgelassen, ebenso wenig würden medizinische, psychologische oder sozialwissenschaftliche Studien genannt, Betroffene seien nicht gefragt worden.

"Als Mann und Frau schuf er sie"

Das Dokument "Als Mann und Frau schuf er sie" kritisiert Vorstellungen, die "Manipulationen des Körpers nach Belieben" befürworten, und verurteilt dementsprechende radikale Theorien. Es wirbt für geschlechtliche Polarität und fordert Respekt: Niemand dürfe etwa wegen seines Glaubens oder seiner sexuellen Neigungen verfolgt oder diskriminiert werden.

Was aber Gefühlsleben und Sexualität angehe, herrsche ein "wahrer Bildungsnotstand", heißt es in der Einleitung des Dokuments. Der Text versucht daher, zwischen Gender-Forschung und Gender-Ideologien zu unterscheiden. Auf das Gerede von einer Gender-Ideologie seien die Autoren hereingefallen, inszenierten unzutreffende Vorwürfe als "Papiertiger", kritisiert die Osnabrücker Theologin Margit Eckholt.

Ähnlich äußerten sich der emeritierte Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner und sein Kollege, der Moraltheologie Gerhard Marschütz.

Der US-amerikanische Jesuit James Martin, in der Seelsorge mit homosexuellen Menschen engagiert, erwartet als kurzfristigen Effekt des Textes eine "Munitionierung von Katholiken, die die Wirklichkeit einer Transgender-Erfahrung leugnen und solche Menschen als Ideologen" abqualifizierten. Es sei eben nicht so wie behauptet, dass Gender-Theorien eine willkürliche Aneignung oder Zusprechung geschlechtlicher Identität verträten. Vielmehr gehe es um Erfahrungen von Betroffenen.

Großteil der Kritik im Vatikan nicht nachvollziehbar

In Rom hingegen kann man einen Großteil der Kritik nicht nachvollziehen. Es sei weder Aufgabe der Bildungskongregation noch Anliegen des Schreibens, die Gender-Frage zu klären, so der Untersekretär der Bildungskongregation, Friedrich Bechina, gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Dafür seien andere im Vatikan zuständig. Vielmehr habe man auf Anfragen katholischer Schulen, Universitäten und Bischofskonferenzen reagiert.

Seit Jahren tauche das Thema bei rund zwei Drittel aller Ad-limina-Besuche von Bischöfen in Rom auf, so Bechina. Das Wissen sei sehr unterschiedlich, Bischöfe und Schulleiter unsicher, wie sie sich positionieren sollten. Osteuropäische Vertreter reagierten oft reserviert, andere behaupteten, bei ihnen sei das kein Thema.

Kirchliche Schulen würden unter Druck gesetzt, kritisierten einzelne Stimmen, verbunden mit dem Vorwurf eines ideologischen Kolonialismus. Näher konkretisieren kann Bechina dies nicht.

Hinter all dem steht die Frage: Wer entscheidet, was Kinder und Jugendliche in der Schule wann über Sexualität, Geschlechtlichkeit und Familie lernen, wie sie ihre Identität finden. Da lautet der katholische Grundsatz: Dies ist Recht und Pflicht vor allem der Eltern. Die Schule habe eine subsidiäre Rolle, müsse Überzeugung und Kultur der Eltern respektieren, heißt es in dem Dokument.

Debatten werden wohl andauern

Es brauche ein Bündnis von Familie, Schule und Gesellschaft, um "Bildungsprogramme zu Affektivität und Sexualität" zu entwickeln, "die den eigenen Reifegrad in diesen Bereichen respektieren und gleichzeitig den Respekt vor dem Körper des anderen fördern". Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, kann das nachvollziehen: Es sei nicht sinnvoll, "bereits Grundschul- oder Kindergartenkindern zu eröffnen, welche verschiedenen Möglichkeiten es gibt, ohne dass das derzeit ihr Problem ist".

Im Untertitel des Vatikan-Textes ist angedeutet, dass die Debatten andauern werden. "Auf dem Weg eines Dialogs zur Frage der Gender-Theorie in der Erziehung", heißt es vorsichtig. Angesichts der jüngsten Reaktionen ist absehbar: Dieser Weg wird noch lang sein. Das räumt auch der Leiter der Bildungskongregation, Kardinal Giuseppe Versaldi, ein. Auch die Kirche müsse "vielleicht einige allzu festgefahrene Positionen im Blick auf die Natur korrigieren, die die kulturellen Aspekte völlig außer Acht lassen", so der Geistliche.

Zugleich wiegelt er vorschnelle konservative Ängste vor der Gender-Thematik ab: Zuerst müsse man genau und ruhig hinhören, worum es gehe. Dann gelte es, angesichts tatsächlich überzogener Thesen die eigene katholische Position zu vertreten und schließlich vor Ort zu klären, wie mit konkreten Fragen umzugehen sei. Im Übrigen müsse die Kirche solche Spannungen aushalten, ergänzt Bechina. Denn manchen sei auch das jüngste Dokument zu liberal.


Quelle:
KNA