Weltweit erstes Retortenbaby wird 40

Zeugung im Reagenzglas nicht unumstritten

Damals eine Sensation, heute Standard: ein Baby aus dem Reagenzglas. Das erste Kind aus der Retorte wird nun 40. Doch viele Fragen bleiben. Sie kreisen um Not und Hoffnung von Paaren, die ungewollt kinderlos sind.

Autor/in:
Thomas Winkel
Mutter und Kind / © Nancy Wiechec (KNA)
Mutter und Kind / © Nancy Wiechec ( KNA )

Das Leben der kleinen Louise beginnt nicht im Körper ihrer Mutter, sondern im Labor. Geschaffen, nicht gezeugt. In einer Petrischale bringen britische Forscher Ei- und Samenzellen zusammen und 48 Stunden später die befruchteten Eier in die Gebär-Mutter zurück. Acht Monate danach, kurz vor Mitternacht am 25. Juli 1978, blinzelt Louise Brown in die BBC-Kamera - das erste Retortenbaby der Welt.

Befruchtung im Reagenzglas längst Standard

Die Eltern aus Bristol hatten sich erfolglos ein Baby gewünscht. Nun sind sie außer sich vor Freude und voll des Lobes für den Gynäkologen: "Wie ein Gott! Denn er hat mir mein Kind geschenkt", so die Mutter damals zu Reportern. Heute, 40 Jahre später, ist die Befruchtung im Reagenzglas längst Standard. Vielen Paaren verhelfen "Götter in Weiß" wie selbstverständlich zu Nachwuchs. Doch unumstritten ist die Methode nicht.

Zum einen wegen der Kosten. Auch Louises Eltern entschieden sich für die relativ teure, sex-freie Variante erst nach einem Gewinn im Fußball-Toto. Kinder "auf Bestellung" also nur für Reiche? Die gesetzlichen Kassen in Deutschland übernehmen die Kosten lediglich zum Teil und unter strengen Bedingungen. Schnell können mehrere Tausend Euro zusammenkommen, bis es mit dem Klapperstorch doch noch klappt.

Petra und Michael K. (Namen geändert) war das Elternglück fast 10.000 Euro wert. Jeden Monat taumelten die Managerin und der Anwalt zwischen guter Hoffnung und bitterem Bangen. Die biologische Uhr tickte. So schalteten sie beim Sex den Kopf nicht mehr aus, sondern ein: Sie verschob Dienstreisen, er schlich sich früher aus der Kanzlei. Alles für diesen Moment: um in den fruchtbarsten Stunden der fruchtbaren Tage im Bett zu landen. Beischlaf mit Berechnung.

"Alchimistisches Experiment zwischen Hoffnung und Horror"

Doch regelmäßig folgte die Enttäuschung: "Wieder nicht!" Eine Adoption kam für die beiden nicht in Frage, und so haben sie weiter geliebt, geweint, gestritten. Irgendwann stand für das Ehepaar aus dem Ruhrgebiet fest: dann eben In-vitro-Fertilisation (IvF), wie der Fachausdruck heißt. Die praktizierenden Katholiken störte es nicht, dass ihre Kirche "künstliche" Methoden für das Erreichen einer Schwangerschaft ebenso wenig gutheißt wie bei der Verhütung.

"Liebende Vereinigung und Fortpflanzung" hängen nach kirchlicher Lehre eng zusammen. Eine Zeugung im Labor ist demnach nicht erlaubt.

Vor zehn Jahren bekräftigte der Vatikan das erneut in einem offiziellen Papier. Ein Argument: Bei solchen Befruchtungen fallen fast immer überzählige Embryonen an, die irgendwann getötet werden.

Auch der "Spiegel" bezeichnete zu Beginn die Methode als "alchimistisches Experiment zwischen Hoffnung und Horror".

Und in einem Text zu Louises Dreißigsten weiter: Der beteiligte Physiologe habe sich "mit ethischen Bedenken bis heute niemals aufgehalten". Doch fast scheint es, als habe der technische Fortschritt die ethischen Fragezeichen mittlerweile ausradiert. Aus Millionen Retortenkindern weltweit wurden Leute.

Und ewig lockt der Markt: Allein in Deutschland sind nach Angaben von Gynäkologen-Verbänden rund 15 Prozent der Paare ungewollt kinderlos, Tendenz steigend. Die IvF als letzte Chance, die Pipette als rettender Strohhalm fürs Elternglück.

Fragen bleiben

Allerdings: Viele Fragen sind von Land zu Land anders geregelt und bleiben umstritten. Was passiert mit überzähligen oder mit genetisch kranken Embryonen? Wie lässt sich verhindern, dass die Diagnose-Möglichkeiten zur Auswahl von "Designerbabys" führen? Aber auch: Welche Erwartungen knüpfen Eltern an ihr Retortenkind? Angesichts der besonderen "Investitions- und Produktionskosten"...

Viele betroffene Paare kennen solche Fragen - aber auch die Not, ihre Familienplanung und Lebensträume platzen zu sehen. Petra K. betrachtet das Ganze pragmatisch: "Was wir vorher alles veranstaltet haben - ob das natürlicher gewesen sein soll als die künstliche Befruchtung?"

Um "Lovely Louise", wie Zeitungen das erste Retortenbaby der Welt schnell betitelt hatten, ist es still geworden. Louise Brown steht nicht gern im Rampenlicht. Jetzt wird sie 40, ihr eigenes Kind ist schon ein Teenie. Es soll ganz natürlich entstanden sein.


Quelle:
KNA