Waldgesetz in Brasilien laut Kritikern zerstörend

859 Bäume verschwinden pro Minute

Seit den Rekordtiefständen 2012 nimmt die Abholzung in der brasilianischen Amazonasregion wieder zu. Experten machen dafür das neue Waldgesetz verantwortlich. Eigentlich hatte es für Ordnung sorgen sollen.

Autor/in:
Von Thomas Milz
Nirgendwo ist der Raubbau an der Schöpfung so offensichtlich wie im Amazonas. Eine Fläche von der Größe Frankreichs ist bereits unwiederbringlich verloren. / © Tina Umlauf (Adveniat)
Nirgendwo ist der Raubbau an der Schöpfung so offensichtlich wie im Amazonas. Eine Fläche von der Größe Frankreichs ist bereits unwiederbringlich verloren. / © Tina Umlauf ( Adveniat )

Die Abholzung in Brasiliens Amazonasregion steigt seit drei Jahren wieder an. Zwischen August 2015 und Juli 2016 wurden rund 8.000 Quadratkilometer Wald gerodet - im Schnitt 859 Bäume pro Minute, wie die Zeitung "Folha de S. Paulo" ausrechnete. Eine gefährliche Tendenz, sagen Experten. Sie machen das 2012 gegen den Widerstand von Umweltaktivisten erlassene Waldgesetz verantwortlich für die Entwicklung.

Das Gesetz sollte endlich für Ordnung in einem unregulierten Raum sorgen: der Amazonasregion. Seit dem von der damaligen Militärregierung geförderten Zuzug von landlosen Landwirten aus Südbrasilien in den 1970er Jahren wurde der Amazonaswald massiv abgeholzt. Um die Jahrtausendwende schrumpfte der Wald jährlich um bis zu 28.000 Quadratkilometer - in etwa die Größe Belgiens. Einen Überblick, wer wo legal oder illegal abholzte und das so gewonnene Weideland dann sein Eigen nannte, gab es nicht.

Projekt: Ordnung schaffen

Ab 2004 konnten die Abholzungen dank moderner Satellitenüberwachung und mobiler Kontrolltrupps am Boden reduziert werden. Brasilien erlebte einen Wirtschaftsboom, der eine entsprechende finanzielle Ausstattung der Umweltbehörden ermöglichte. Im Jahr 2012, als die Rodungen mit 4.500 Quadratkilometer ihren historischen Tiefstand erreichten, sollte das neue Waldgesetz nun endlich ein Grundbuch der Besitzverhältnisse schaffen. Bis Mai 2015 hatten alle Landwirte Zeit, ihren Besitz registrieren zu lassen. Da die Registrierung nicht wie geplant voranging, wurde das Zeitfenster bis Ende 2017 erweitert.

Experten warnten, dass die Registrierung eine Legalisierung von illegal besetztem und gerodetem Land bedeute. Denn das Waldgesetz beinhaltet eine Amnestie für bis 2008 illegal abgeholzte Gebiete. Ein falsches Signal an Landwirte, so Carlos Rittl vom Umweltbündnis "Observatorio do Clima" (Klima-Observatorium). "Da steckt die Botschaft drin, dass sich illegale Abholzung lohnt. Denn wenn es bereits eine Amnestie gab, ist sicher, dass es bald weitere geben wird."

Landwirte schaffen vollendete Tatsachen

So nutzen Landwirte die Verlängerung der Registrierungsfrist, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Sie brennen neue Waldgebiete ab, um sie dann zukünftig als ihren Besitz zu legalisieren. Die Konsequenz ist eine Zunahme der Abholzungszahlen seit 2012. "Die Zahlen sprechen für sich", so Antonio Fonseca, Forscher von Imazon, dem für die Ermittlung der Abholzungszahlen verantwortlichen Institut. "Die offiziellen Zahlen zeigen einen Anstieg um 75 Prozent seit der Einführung des neuen Waldgesetzes."

Unter den Landwirten herrsche die Erwartung, dass in naher Zukunft neue Gebiete für die landwirtschaftliche Nutzung freigegeben würden. Ein Signal in diese Richtung sei, dass die Ausschreibung von neuen Naturschutzzonen sowie von indigenen Schutzzonen in den vergangenen Jahren nicht voranschritt. Jetzt, in Brasiliens schwerster Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, werde die Regierung verstärkt auf die exportorientierte Agrarwirtschaft setzen, meinen Experten. Und die braucht neue Flächen für Viehzucht und Sojaanbau.

Es gebe aber auch positive Signale, so die Wissenschaftler. Seit Ende November sind die Grundbuchdaten öffentlich zugänglich. Das ermöglicht Umweltaktivisten selbstständige Kontrollen. Zudem gab das Umweltministerium rund 15 Millionen Euro für die Kontrollbehörden frei. Diese hatten aufgrund der Finanzkrise zuletzt massive Einschnitte hinnehmen müssen, die eine Kontrolle am Boden erschwerte.
Brasilien muss langfristig die derzeitige Abholzungszahl auf rund 4.000 Quadratkilometer pro Jahr halbieren, um die im Klimaabkommen von Paris gemachten Versprechen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes zu erfüllen.


Quelle:
KNA