Kölner Pfarrer: Anteilnahme mit Schwulen bedeutet keine Antwort auf innerkirchliche Fragen

Das Gegenüber akzeptieren

Womöglich ist Hass auf Homosexuelle ein oder der Grund für das Attentat von Orlando. Viele Geistliche tun sich schwer damit, die homosexuellen Opfer zu benennen. Dazu ein domradio.de-Interview mit Pfarrer Markus Herzberg von der Antoniterkirche.

US- und Regenbogen-Flagge in Orlando / © George Wilson (dpa)
US- und Regenbogen-Flagge in Orlando / © George Wilson ( dpa )

domradio.de: 50 Menschen sind tot. Ist es da nicht ein bisschen schräg, dass der Aspekt ihrer sexuellen Orientierung so hervorgehoben wird? Oder ist es - ganz im Gegenteil - wichtig zu betonen, dass hier eine immer wieder diskriminierte Minderheit im Fokus eines perfiden Anschlags stand?

Markus Herzberg (Pfarrer der evangelischen Antoniterkirche): Ich glaube, beides ist in der Antwort richtig. Zum einen ist jeder Mord an einem Menschen eine abscheuliche Tat und ein Verbrechen und ungeheuerlich. Aber es ist, glaube ich auch, noch einmal wichtig zu sehen, dass das wirklich aus einer tiefsitzenden Homophobie heraus geschehen ist in diesem Fall und dass das in vielen Kulturen und auch in unserer westlichen Kultur doch noch bei vielen verwurzelt ist. 

domradio.de: Welche Rolle spielt es da, dass es der Kirche in den USA offenbar schwer fällt, klar auszusprechen: "Hier ging es um Schwule, hier ging es um Lesben?"

Herzberg: Ich finde es ganz traurig, weil in dem Moment doch nur Empathie zählen sollte und das Mitgefühl, dass da Menschen unendliches Leid erfahren haben. Und offenbar haben viele Angst, das spürt man zumindest. Sie denken, wenn sie jetzt ihr Mitgefühl zeigen, wäre das eine Antwort auf andere innerkirchliche Fragen, was ja überhaupt keine Rolle spielt in dem Moment, sondern es geht um Anteilnahme. 

domradio.de: Sie sind evangelischer Pfarrer hier in Köln. Was meinen Sie: Wäre das hier bei uns in Deutschland etwas anderes?

Herzberg: Ich glaube, so viel anders wäre es bei uns auch nicht. Bei uns ist die Rechtswirklichkeit zum Glück fast eine gute – auch wenn da noch viel zu verbessern ist. Aber, wie es in der Süddeutschen Zeitung so treffend heißt: die Rechtswirklichkeit sagt nicht unbedingt etwas über die Lebenswirklichkeit. Und die ist, glaube ich, in Deutschland noch immer von Homophobie geprägt.   

domradio.de: Orlando gilt als Zentrum eines christlichen Fundamentalismus, dessen Führer Homosexualität immer wieder scharf verurteilen. Versagt Religion, versagen Christen in Ihren Augen in einer solchen Situation, wenn sie es nicht schaffen, wahre Worte der Anteilnahme zu finden und Zeichen der Solidarität zu zeigen?

Herzberg: Ja, ich finde das wirklich schrecklich. Denn wenn mir meine Religion so wichtig ist und mein christlicher Glaube, dann ist mir doch als allererstes wichtig, meinen Nächsten zu lieben wie mich selbst! Und das ist bedingungslos, das kann ich nicht an die Sexualität meines Gegenübers knüpfen. Und wenn ich wirklich von Herzen Christ oder Christin bin, dann finde ich, ist das die oberste Pflicht zu sagen: "Ich akzeptiere mein Gegenüber, so wie er oder sie ist."

domradio.de: Denken Sie denn, dass das ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist? Dass wir am Ende gar nicht so tolerant sind, wie wir uns gerne darstellen?

Herzberg: Wir feiern uns in Köln ja immer gerne dafür, wie tolerant und offen wir sind. Das sind wir in vielen Teilen zum Glück auch. Aber ich erlebe es an der Antoniter-Kirche in vielen Gesprächen und auch in der Beratung, wie verwurzelt auch in unserer Stadt die Homophobie ist. Und wenn Sie mal schwule oder lesbische Paare fragen, die sich zum Beispiel am Samstagabend auf den Ringen einen Kuss geben wollen, dann haben die Angst um ihr leibliches Wohl, das höre ich immer wieder.

domradio.de: Wie wichtig ist denn da, dass die Kirche für die Menschen da ist?

Herzberg: Ich finde es sehr wichtig, weil wir als Kirchen zum Glück immer noch in dieser Gesellschaft verwurzelt sind und einen großen Einfluss auf das haben, was die Gläubigen denken und fühlen. Und so können wir natürlich einen großen Teil dazu beitragen, dass es ein versöhnliches Miteinander gibt. 

domradio.de: Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump - nicht gerade als Homosexuellen-Freund bekannt - versucht jetzt erwartungsgemäß, das Massaker für seinen Wahlkampf zu instrumentalisieren. Wie bewerten Sie das?

Herzberg: Ich finde es perfide, wenn solche Leute wie Herr Trump das jetzt nutzen, um da ihre Islamophobie zu feiern. Dass es ihm nicht um die Rechte Homosexueller geht, das ist offensichtlich, sonst würde er zu diesem Thema andere Töne von sich geben.

domradio.de: 50 Menschen sind tot – sollte man da in der Berichterstattung deren Sexualität überhaupt zum Thema machen?

Herzberg: Es kommt darauf an. Es ist erst einmal ein Mensch, der da getötet wurde. Egal, wie er gelebt hat, was er ist oder wer er ist. Aber ich glaube in dem Fall darf man es schon und muss es vielleicht auch sagen, dass da dieser Mann – und so scheint es sich herauszukristallisieren – aus seiner Homophobie heraus gehandelt hat. Ich habe gerade auch gehört, dass Leute sagen "Er muss krank gewesen sein!". Das finde ich auch fatal, denn Homophobie ist keine Krankheit, das ist eine Einstellung. Dagegen kann man vorgehen und das kann man nicht einfach abtun mit einer psychischen Erkrankung.

domradio.de: Jetzt wird auch darüber diskutiert, ob wir zum Beispiel "Schwulenclub" sagen dürfen oder besser einen politisch korrekten Begriff finden. Wie stehen Sie dazu?

Herzberg: Es gibt so viele Diskussionen und es ist oft schwer zu sagen, wie man dem Thema gerecht wird. Ich glaube, es geht um Aufrichtigkeit diesem Thema gegenüber und es geht um Glaubwürdigkeit. Da ist der Begriff nicht so entscheidend, sondern, dass man merkt, da sind Leute wirklich interessiert an diesem Thema, interessiert an Rechten und einer wirklich glaubhaften Gleichstellung für Homosexuelle.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmlich


Quelle:
DR