World Vision fordert Veränderungen in Klimadebatte

"Mutter Natur wird den Druck erhöhen"

Dürre und Überschwemmungen: Die Naturkatstrophen nehmen zu. Wir müssen unsere Lebensweise ändern, sagt Silvia Holten, die Pressesprecherin von World Vision, und blickt im domradio.de-Interview auf die Entwicklungen des UN-Klimagipfels in Paris.

Dürre auf den Philippinen / © Francis R. Malasig (dpa)
Dürre auf den Philippinen / © Francis R. Malasig ( dpa )

domradio.de: Wie hat sich die Atmosphäre seit dem Beginn des Klimagipfels entwickelt?

Silvia Holten (Pressesprecherin World Vision): Man muss sagen, dass am Anfang alle recht hoffnungsvoll waren. Die Äußerungen der Staatschefs waren sehr optimistisch und sehr ambitioniert. Dann gab es natürlich auch große Dellen unter anderem in den Erwartungen, die es hier gab, bei denen auch Einbrüche zu vermerken waren. Gerade die "low countries", die am wenigsten entwickelten Länder, haben ganz große Sorgen, dass hier kein ambitioniertes Abkommen zustande kommt. Besonders auch die Länder, die unter dem Klimawandel leiden. Also beispielsweise die kleinen Inselstaaten haben hier großen Druck gemacht, dass diese 1,5 Grad Erderwärmung maximal in das Programm geschrieben werden. Das ist jetzt der Fall, von daher gibt es wieder etwas Optimismus. Auf der anderen Seite ist es so, dass es einige Länder gibt, die blockieren. Aber wie gesagt ist es schon einmal gut, dass die 1,5 Grad mit aufgenommen wurden. Da dies nach sich zieht, dass wir unsere Lebensweise komplett verändern müssen. In Zukunft müssen wir auch ganz auf fossile Energien verzichten. 

domradio.de: Saudi-Arabien hat sich bei den Verhandlungen quergestellt, wie lassen sich solch schwierige Partner bei den Klimaverhandlungen mit ins Boot holen?

Silvia Holten: Es ist natürlich so, dass Saudi-Arabien und die Wirtschaft dieses Landes komplett auf Öl basiert. Also es ist nachvollziehbar. Wenn wir aber eine Zukunft für unsere Kinder wollen, dann müssen wir unsere Lebensweise verändern. Das geht nur, wenn wir wirklich mittel- bis langfristig auf fossile Energien verzichten. Von daher kann keine Rücksicht darauf genommen werden. Jedoch kann jeder Einzelne natürlich auch helfen, indem er sein Verhalten überprüft: "Muss ich wirklich Auto fahren oder kann ich die Bahn nehmen, oder kann ich mit dem Fahrrad fahren. Welche Unternehmen unterstütze ich noch?" Daher glaube ich, dass der Druck der Natur in den kommenden Jahren extrem groß wird. Deswegen sehe ich Paris als einen historischen Moment in der Geschichte der Menschheit an. 

domradio.de: Nach intensiven Gesprächen hat der französische Präsident der UN-Klimakonferenz, Laurent Fabius, am Abend einen neuen Vertragsentwurf vorgelegt. Was halten Sie davon?

Silvia Holten: Es gibt einige Verbesserungen, darunter fallen auch diese 1, 5 Grad Erderwärmung. Das wird allgemein in der NGO-Szene als sehr positiv betrachtet, aber es gibt noch ein paar Stolpersteine im Bereich Finanzen, „loss and damage“ und auch der Überprüfung. Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Indien und China wollen zum Beispiel nicht, dass alle fünf Jahre überprüft wird, wie diese Ziele erreicht wurden. Sie wollen auch nicht, dass es schon vor 2020 passiert, aber da gibt es großen Druck von den Nichtregierungsorganisationen, die sagen: "Wir können nicht bis 2020 warten. Eigentlich gilt der Vertrag erst ab dann, aber wir müssen vorher anfangen Druck zu machen und zu gucken, ob die Länder die Versprechen einhalten.“

domradio.de: Der Klimagipfel wurde bis Samstag verlängert, was für ein Zeichen ist das?

Silvia Holten: Soweit ich gehört habe, gab es noch einmal ziemlich heftige Auseinandersetzungen über diesen neuen Vertrag. Das haben alle von Anfang an erwartet,  aber die französische Regierung hat natürlich Druck gemacht, dass alles in dem vorgegebenen Zeitrahmen durchgeführt wird.  Ich denke, es kommt jetzt wirklich darauf an, dass ein guter Vertrag zustande kommt, der ambitioniert ist und der auch eine Zukunft für unsere Kinder ist. Ich verstehe hier die Blockierer nicht, die haben doch selber Kinder. Was für eine Welt wollen wir für unsere Kinder und Enkelkinder? Das ist eigentlich die Frage, die hier ganz oben stehen muss. Von mir aus sollen sie bis Sonntag verhandeln, Hauptsache das Ergebnis ist gut.

domradio.de: Glauben Sie, dass es am Ende ein greifbares Ergebnis geben wird?

Silvia Holten: Ich habe noch Hoffnung, aber aus meiner Sicht wird der Druck in den kommenden Jahren zunehmen, einfach weil die Natur uns nicht davonkommen lassen wird. Wir sehen jetzt von World Vision Seite aus, dass in vielen Ländern die Dürresituation durch das "El Niño" - Phänomen extrem ist. Wir sehen Überschwemmungen in Chennai. Wir sehen schon große Migrationsbewegungen. Es sind pro Jahr schon 22.000 Menschen, die ihre Heimat verlassen, weil die Witterungsverhältnisse unerträglich geworden sind. Es wird zunehmende Konflikte geben. Das heißt: Mutter Natur wird den Druck auf uns erhöhen. Es wird uns keine andere Wahl bleiben, als zu agieren und zwar ganz schnell.

Das Gespräch führte Christian Schlegel.


Quelle:
DR