Ein Kommentar zur Schöpfungs-Enzyklika des Papstes

Macht euch zum Untertan der Erde!

Die Umwelt-Enzylika ist da. Doch spielen darin auch die Tiere als Teil der Schöpfung ein Rolle? Ein Kommentar von Dr. Rainer Hagencord, Institut für Theologische Zoologie, Münster.

Tierschutz (dpa)
Tierschutz / ( dpa )

Schon im Anschluss an sein Lehrschreiben "Evangelium Gaudii" war zu erwarten, dass diesem Papst die Sorge um die Schöpfung am Herzen liegt und dass es ihm dabei nicht um "Sonne, Mond und Sterne" geht, sondern um die "gekreuzigte Erde" (Leonardo Boff). Nun legt Franziskus diese Enzyklika vor, die seinem Namen und seinem Profil alle Ehre macht. Konnten sich bislang viele Christen und Christinnen auf das biblische – und im Lauf der europäischen Denkgeschichte umgedeutete Wort "Macht euch die Erde untertan!" berufen, entzieht Franziskus dem darin ausgesprochenen Anthropozentrismus radikal und vollständig den Boden. Er schlägt sich auf die andere Seite; nämlich auf die Seite derer, die das Christentum verstehen als Einweisung in die Verantwortung für alles Lebendige und die Haltung der Mitgeschöpflichkeit.

In der Spur des Heiligen Franziskus und seinem Programm der Geschwisterlichkeit alles Lebendigen erweist sich der Papst: Als kompetenter Kenner der unfassbar komplexen Zusammenhänge, die die ökologische Katastrophe bestimmen und Auswege dringend erforderlich machen. Als Liebhaber des interdisziplinären Dialoges mit den Naturwissenschaften. Er verbindet in großartiger und bewegender Weise mystische und politische Kompetenz. Er macht sich die Grundhaltung der großen biblischen Gestalten bis hin zu Jesus zu eigen, deren Theologie sich der Empörung und der Leidenschaft verdanken.

Wenn wir die herkömmliche Theologie anschauen, dann finden wir das, was wir als eine Gottesrede mit dem Rücken zur "Mehr-als-Menschlichen-Welt" beschreiben können. Der unfassbare Kosmos des Lebendigen, die Welt der Pflanzen und Tiere, kommt fast nicht vor im Ringen um die  Fragen: An welchen Gott will ich glauben; wie verstehe ich mich als Mensch; wie will ich leben? In dieser Tradition ist die natürliche Mitwelt bestenfalls zur hübschen Kulisse, letztlich aber zum Ressourcenlager der Industrienationen verkommen. Das vermeintlich christliche Abendland trägt damit die Mitverantwortung für den gnadenlosen Umgang mit den drei Welten: Der natürlichen Mit-Welt, der Nach-Welt und der sogenannten Dritten Welt.

Franziskus liest die biblischen Texte als Zeugnisse einer Theologie mit dem Gesicht zur "Mehr-als-Menschlichen-Welt". Die großen Erzählungen der Arche Noah bis hin zur Predigt Jesu sind ohne den Blick auf Pflanzen und Tiere nicht denkbar: Die Natur ist der erste Ort der Gotteserfahrungen! Und die Haltung der Barmherzigkeit gilt allem Lebendigen gegenüber.

Es finden sich so unerhörte Sätze wie diese:

"Der hl. Franziskus lehrt uns, dass jede Kreatur in sich eine eigene trinitarische Struktur trägt, so real, dass sie sich spontan erfassen ließe, wenn der Blick des menschlichen Wesens nicht begrenzt, verdunkelt und brüchig wäre." (239)

und

"Maria, die Mutter, die Jesus zu pflegen hatte, nimmt sich nun mit Wärme und mütterlichem schmerz dieser verletzten Welt an. So, wie sie mit gebrochenem Herzen den Tod Jesu beweinte, hat sie jetzt Mitleid mit der Qual der armen Gekreuzigten und der Kreaturen dieser Welt, die von der menschlichen Macht ausgelöscht werden." (241)

Wer an dieser Stelle einmal an den gnadenlosen Umgang mit Puten, Hühner und Schweinen in der industriellen Tierhaltung denkt, merkt sehr schnell, dass dies nicht in eine romantische Sicht auf die Mitgeschöpfe führt, sondern Gott-Suchenden Menschen radikale Konsequenzen nahelegt.

Franziskus spielt sich nicht als Experte für den Klimawandel auf; die Enzyklika ist kein Konzeptpapier. Er versteht es, diese Schöpfungsenzyklika zugleich als neu und in einer langen Tradition stehend zu verfassen. Schon Paul VI. beklagte 1971 die rücksichtslose Ausbeutung der Natur, und zur Verblüffung vieler sprach Benedikt XVI. in seiner Rede vor dem Bundestag 40 Jahre später von der "Würde der Erde".

Der Papst will mit dieser Enzyklika nicht mehr und nicht weniger als eine Änderung der Weltsicht und des Lebensstils. Das ist unerhört und so überzeugend, weil er keinem oberflächlichen Optimismus das Wort redet; denn dafür es gibt angesichts der ökologischen Katastrophe und der großen Tatenlosigkeit einer dem Kapitalismus verschriebenen Politik überhaupt keinen Anlass. Es ist die Haltung der Hoffnung, aus der er spricht und die uns Christinnen und Christen zu allererst auszeichnen soll.

 


Quelle:
DR