21. Renovabis-Kongress zur EU-Krise

Sich der Wurzeln bewusst werden

Nach der Wende wollten osteuropäische Länder schnell Mitglied der EU werden. Der Begeisterung folgte eine wachsende Anti-Stimmung. Auf dem Renovabis-Kongress wird nun diskutiert, ob in der Krise nicht eine Chance steckt.

Autor/in:
Barbara Just
 (DR)

Eine Familie sitzt zu Tisch beim Essen. Darunter der siebenjährige Sohn, der noch nie ein Wort gesprochen hat. Als die Suppe serviert wird, sagt er plötzlich: "Die ist kalt." Alle sind begeistert, der Junge spricht. Warum aber erst jetzt? Die Antwort folgt prompt: "Bisher war alles in Ordnung." Es ist ein Witz, doch für die polnische Verwaltungsrechtlerin Irena Lipowicz zeigt er den Zustand der Europäischen Union (EU). Denn es stelle sich die Frage:

Welche Themen wurden in den Mitgliedsländern ignoriert, so dass aus einer Wertekrise eine politische Krise entstanden sei? Das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis nahm sich dieser Problematik bei seinem bis Freitag dauernden 21. Internationalen Kongress in München an. Unter dem Motto "Die Krise als Chance für Europa!" versammelten sich gut 200 Teilnehmer aus 28 Ländern. Dabei wurde deutlich, dass nicht nur die Politik gefordert ist, sondern dass auch die Kirchen - Amtsträger sowie Laien.

Schwaches Geschichtsbewusstsein

Für den Berliner Erzbischof Heiner Koch offenbart die Europakrise ein schwaches Geschichtsbewusstsein. Dabei gehe es nicht nur darum, die christlichen Wurzeln dieses Europa wieder deutlich zu machen, sagte der Vorsitzende des Aktionsrats von Renovabis. Vielmehr müssten Visionen wieder schrittweise Wirklichkeit werden. Wer sich aus Europa verabschiede, überlasse es anderen geistigen Strömungen. Koch plädierte für einen, wenn auch nicht einfachen Lernprozess; aber es gehe nun mal um die künftigen Generationen.

Noch immer seien es die Christen und vor allem die Katholiken, die in Europa die größte Gruppe bildeten, erinnerte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg. Doch auch sie wüssten zu wenig übereinander. Deshalb sei Begegnung wichtig - angefangen mit Jugendaustauschprogrammen. Dazu müssten der ökumenische Geist und der interkulturelle Dialog kommen. Am Ende stehe das internationale Denken betreffend die soziale Frage und die Gerechtigkeit.

"Entchristlichung" von oben oder von unten

Kirche aber hat sich in der liberalen Demokratie zu bewähren: Die beklagte "Entchristlichung" komme aus der Gesellschaft und werde meist nur mit Zeitverzögerung vom Staat nachvollzogen, merkte der Bonner Publizist Andreas Püttmann an. Wenn christliche Positionen an Einfluss verlören, spreche das nicht gegen eine "Demokratie ohne Wahrheit", sondern gegen Christen ohne Überzeugungskraft. Manchmal auch dafür, dass die kirchliche Vorstellung vom christlich Gebotenen noch revisionsbedürftig sei.

Die Polin Lipwowicz gab zu bedenken, dass die EU die Seelen der Menschen vergessen habe. Europa sei eine Wertegemeinschaft. Wenn das stimme, müsste man dies im europäischen Haushalt sehen. Denn was erstrebenswert sei, dafür werde Geld investiert. So gebe es aber keinen wirklich von allen gesehenen europäischen Nachrichtensender. Wer schaue Euronews? Auch eine exzellente Fernsehserie über Europa fehle. Und wo seien neue Vorbilder für Europa nach den Gründervätern Adenauer, Schuman und De Gasperi?

Idee einer politischen Vereinigung

Schon bei diesen drei Namen gehe es mit der verkürzten Darstellung los, meinte Michael Kuhn, stellvertretender Generalsekretär der EU-Bischofskommission (COMECE). Denn auch Joseph Bech aus Luxemburg oder Paul-Henri Spaak aus Belgien seien treibende Kräfte der europäischen Integration gewesen. Am Anfang habe die Idee einer politischen Vereinigung gestanden, dann habe man sich auf eine Wirtschaftsgemeinschaft geeinigt, im Sinne Großbritanniens.

Da aber politische Themen in den Vordergrund gerückt seien, etwa die Flüchtlingsproblematik, sei der Brexit konsequent. "Ein Flüchtling ist kein Kabeljau", zitierte Kuhn einen niederländischen Professor in Anspielung auf Fang- und Verteilquoten. Ein Nigerianer wie der katholische Priester Obiora Ike von Globethics.net kann über diese Probleme nur lachen. "Dieses Europa weint und motzt auf hohem Niveau." Für Afrikaner sei Europa "Heilland". Aufgabe der Kirche sei es, sich den Zeichen der Zeit zu stellen. Die Verkündigung des Evangeliums müsse einhergehen mit Hilfe zur Selbsthilfe. Was sagte doch Horst Köhler? "Afrika wird zu einer Schicksalsfrage für Europa."


Erzbischof Koch seit einem Jahr in Berlin / © Britta Pedersen (dpa)
Erzbischof Koch seit einem Jahr in Berlin / © Britta Pedersen ( dpa )
Quelle:
KNA