Renovabis eröffnet seine Pfingstaktion

"Wir wollen den Finger in die Wunde legen"

Sie verlassen ihre Heimat, um Arbeit zu finden. Oft sind diese sogenannten "Wirtschaftsflüchtlinge" in der Flüchtlingsdebatte vergessen. Die Pfingstaktion von Renovabis möchte ihnen ab Sonntag wieder mehr Aufmersamkeit schenken.

Asylbewerber (dpa)
Asylbewerber / ( dpa )

domradio.de: "Wirtschaftsflüchtling" klingt ja schon fast ein wenig herablassend, verglichen mit "richtigen" Flüchtlingen. Ist das denn die beste Wortwahl dafür?

Dr. Gerhard Albert (Renovabis-Geschäftsführer): Bereits mit dem Wort "Flüchtling" wertet man die Menschen ab. Es gibt hier sehr verschiedene Gründe, warum Menschen ihre Heimat hinter sich lassen. Natürlich gibt es in manchen Ländern Verhältnisse, in denen man vor konkreten Bedrohungen fliehen muss.

Da fällt mir zum Beispiel Albanien ein, wo Menschen vor der konkreten Bedrohung, der Blutrache fliehen.

domradio.de: Kurz, das ist ein Mord, der als Rache verübt wird, weil ein Angehöriger einer anderen Familie ein Mitglied der eigenen Familie etwa getötet hat.

Albert: Genau, solche Fälle gibt es. Aber die meisten Menschen versuchen nach Deutschland zu kommen, um ihre persönliche Situation durch Arbeit zu verbessern.

domradio.de: Wo kommen diese Menschen her?

Albert: Da müssen wir unterscheiden zwischen Menschen, die aus der Europäischen Union und aus anderen Ländern kommen. Die Menschen aus der EU haben das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen. Sie sind oft schon in unseren Wirtschaftszweigen integriert. Allerdings fehlen sie aber auch in ihren Ländern an vielen Stellen.

Aber es gibt auch diejenigen, die aus Ländern kommen, aus denen sie rechtlich nicht einfach in ein anderes Land einwandern können. Die stellen oft Anträge auf Asyl, das geht aus einer Reihe aus Gründen, die ich an dieser Stelle nicht alle aufzählen kann. Aber auch diese Menschen sind dann in einer schwierigen Situation.

domradio.de: Das sind sehr unterschiedliche Gründe - sehr breit gefächert, warum diese Menschen ihre Länder verlassen, was ist da Ihr Ansatz, dort zu helfen?

Albert: Wir möchten gerne auf die Situationen schauen, die dahinter stehen. Also, was passiert mit den Ländern aus denen sie kommen? Was passiert mit den Dörfern, die sie verlassen? Was passiert mit den Familien, die oft darüber zerbrechen, wenn ein Mitglied das Land verlässt. Was passiert mit den Kindern, die sich selbst überlassen sind oder den Großeltern, die mit der Erziehung überfordert sind und die mit Überweisungen abgespeist werden, die die Eltern in die Heimat schicken, aber die keinen Menschen haben. Auf diese menschliche Dimension möchte ich das eher lenken.

domradio.de: Aus welchen Lebenslagen kommen die Menschen zu uns?

Albert: Es ist oft eine freie Entscheidung. Wenn Sie in einem Land wie etwa Rumänien oder Bulgarien leben, in denen der Durchschnittslohn 400 Euro beträgt und Sie Lebenskosten haben, die nahe an unsere herankommen, dann können Sie sich ausrechnen, dass viele Menschen sagen: "Da komme ich nicht mehr über die Runden." Ich kann meine Familien nicht mehr ernähren. Ich muss meine Situation verbessern.

domradio.de: Bleiben wir in Rumänien oder Bulgarien.  Was tun Sie konkret vor Ort?

Albert: In diesen Ländern lernen viele ein Handwerk oder sie haben nichts gelernt. Diese Menschen tun sich natürlich noch schwerer. Renovabis hat in vielen dieser Länder berufsbildende Einrichtungen unterstützt, damit die Menschen, wenn Sie dort bleiben, oder zu uns kommen, vor Ort gut qualifiziert sind.

domradio.de: Blicken wir in die Nicht-EU-Länder, die Balkanländer. Diese Menschen haben kaum eine Chance auf Asyl mit dem Argument, dass es sich um sichere Herkunftsstaaten handelt. Wie bewerten Sie das? Sind das wirklich alles sichere Herkunftsstaaten?

Albert: Das ist im Einzelfall sehr umstritten. Das deutsche Asylrecht hat seine Standards. Es gibt oft Situationen, die die einzelne Person so stark treffen, dass sie, wenn das Asyl nicht gewährt wird, sich unfair behandelt fühlt.

domradio.de: Wie stehen Sie dazu?

Albert: Renovabis hat da eine Grundsatzposition, die sagt, dass die Regelungen, die im Grundgesetz stehen, immer wieder geprüft werden müssen, ob sie den menschenrechtlichen Positionen weiter standhalten und ob die notwendige Einzelfallprüfung, wie etwa vor einer Abschiebung auch in die Tiefe durchgeführt wurde.

domradio.de: Viele arbeiten dann bei uns in Deutschland in Niedriglohnbereichen und unter schlechten Arbeitsbedingungen: Auf dem Bau oder in der Pflege. Was müssen wir denn hier in Deutschland für diese Menschen tun?

Albert: Es gibt eine Entsenderichtlinie der Europäischen Union, die ist sehr umfassend, aber an vielen Stellen immer wieder reformbedürftig. Im Hauskrankenpflege- oder dem Altenpflegesektor gibt es an sich gute Regelungen, die auch Gesetzeskraft in Deutschland haben, aber die werden immer wieder durch findige Arbeitsvermittlungsorganisationen unterlaufen. Da muss unsere Politik mit Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften dran bleiben. Wir wollen den Finger immer wieder in die Wunde legen, dass etwa der Arbeitsschutz nicht gewährleistet, oder dass der Kündigungsschutz unterlaufen wird und Arbeitszeiten nicht eingehalten werden - dass der gesetzliche Mindestlohn nur für die Anzahl an Stunden garantiert ist und nicht für die gesamte Zeit. Das sind alles Missstände und Probleme, die wir bewusst machen möchten. 

Das Gespräch führte Milena Furman.


Quelle:
DR