Renovabis-Kongress zum Thema Jugendliche in Osteuropa

"Ein Gefühl der totalen Perspektivlosigkeit"

Am Mittwoch beginnt der 19. Internationale Kongress des katholischen Osteuropa-Hilfswerkes Renovabis zum Thema Zukunftsperspektiven von Jugendlichen in Osteuropa.

Jugendliche im Kosovo  (dpa)
Jugendliche im Kosovo / ( dpa )

Wie diese verbessert werden könnten, erläutert Claudia Gawrich, Bildungsreferentin bei Renovabis.

domradio.de: Wie müssen wir uns die Situation im Osten Europas denn vorstellen? Warum verlassen dort zu viele Menschen ihre Heimat?

Claudia Gawrich: Wir können nicht pauschal von einer Situation für ganz Mittel, Süd- und Osteuropa sprechen. Es gibt stabilere EU-Länder, wie zum Beispiel Polen, es gibt schwierigere EU-Länder, die größere Schwierigkeiten zu bewältigen haben, wie Rumänien. Wir haben Länder wie Bosnien oder den Kosovo, die noch unter den Folgen des Krieges leiden. Und wir haben ein Land, das sich aktuell in einer Kriegssituation befindet, zumindest in seinem Osten, die Ukraine. Man kann nicht pauschal sagen, wie die Situation von Jugendlichen in Osteuropa aussieht, aber man kann schon sagen, dass vor allem in Südosteuropa die Situation vieler Jugendlicher prekär ist.

Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 90%

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat gerade eine aktuelle Studie herausgegeben, wo sie Jugendliche zu ihren Zukunftsperspektiven in ihrem Heimatland befragt hat, also zum Beispiel in Albanien, in Bosnien, Rumänien, Mazedonien oder Slowenien. Diese Studie hat ein beunruhigendes Ergebnis gezeigt, weil ein Großteil dieser Jugendlichen nicht mit der demokratischen Entwicklung in ihrem Heimatland zufrieden ist. Denn sie hat ein geringes politisches Interesse bzw. Vertrauen in Institutionen und einen sehr hohen Wunsch zur Emigration. In Albanien sagen 67% der Jugendlichen, dass sie ihr Heimatland verlassen wollen bzw. müssen, dass sie zuhause keine Perspektive haben: In Bosnien sind es 49% wegen der gerade genannten Bedingungen und vor allem natürlich auch wegen der großen Armut, die dort herrscht. In Bosnien haben unsere Partner Zahlen von der Jugendarbeitslosigkeit genannt, die in manchen Regionen bei bis zu 90% liegt, was natürlich eine totale Perspektivlosigkeit nach sich zieht.

domradio.de: Allein unter den vielen Flüchtlingen, die seit Montag in München angekommen sind, waren rund 40% aus Balkanstaaten, obwohl sie hier kaum Chance auf ein Bleiberecht haben. Wieso versuchen sie es trotzdem, was erhoffen sie sich konkret?

Gawrich: Ich glaube, es ist einfach das Gefühl der totalen Perspektivlosigkeit im Heimatland. Dann ist es halt einfach besser, den Weg anzutreten, als trotzdem da zu bleiben. Sie haben ja auch Beispiele von Menschen in ihren Familien, die es vorher geschafft haben. Ein Land wie der Kosovo hängt natürlich auch sehr von Zahlungen aus dem westlichen Ausland, von Verwandten und Freunden, ab. Ich glaube, das ist einfach diese Idee, ich habe zuhause überhaupt keine Perspektive, es gibt keine Möglichkeit, eine Arbeit zu finden und dann versuchen wir einfach trotzdem, diesen Weg zu gehen. Was dahinter steckt, ist natürlich der Wunsch, ein einigermaßen stabiles Leben zu führen. Nicht mehr von der Hand in den Mund zu leben, sondern vielleicht trotzdem irgendwie eine kleine Stelle zu finden, wo man ein bisschen länger bleiben kann. Natürlich verdient man immer noch viel mehr in Deutschland, illegal gegebenenfalls, als im Kosovo ohne Arbeit.  

domradio.de: Der heute beginnende Renovabis-Kongress widmet sich den Zukunftsperspektiven für Jugendliche in Osteuropa. Wie würden Sie Jugendliche im Osten Europas motivieren, doch in ihrer Heimat zu bleiben?

Gawrich: Das ist natürlich eine hochkomplexe Situation. Das kann letztlich nur ein Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche sein. Das eine zentrale Element, das natürlich schon sehr helfen würde, aber sehr schwierig umzusetzen ist, sind die Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt. Und natürlich auch noch mal Instrumente, die speziell Jugendliche unterstützen: Zum Beispiel Subventionen für die Anstellung von Jugendlichen. So etwas wären Instrumente, aber es gibt in vielen Ländern kein gut funktionierendes wirtschaftliches System. Was sehr wichtig wäre, um die Partizipation von Jugendlichen zu stärken und sie zum Beispiel auf kommunaler Ebene in Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Jugendliche ermutigen, Verantwortung zu übernehmen

Das ist natürlich etwas, was in vielen Projekten in den Kirchen geschieht. Projekte, die gesellschaftliche Probleme aufgreifen und die versuchen, Jugendliche zu stärken. Zum Beispiel die Schulen für Europa in Bosnien-Herzegowina, wo in dem immer noch durch den Krieg stark zerrissenem Land Jugendliche aus allen ethnischen Gruppen, Kroaten, Muslimen und Serben, gemeinsam zur Schule gehen und dadurch eben auch gemeinsam lernen, ihre ethnischen und religiösen Hintergründe kennenzulernen. Da lernen sie auch, miteinander umzugehen und gemeinsam ein Schulleben zu gestalten, was in Bosnien an anderen Stellen gar nicht mehr so gemeinschaftlich geht. Dann ist das Stichwort Persönlichkeitsentwicklung wichtig, was die Ebert-Studie auch gesagt hat: Viele der jungen Menschen in Südosteuropa haben keinerlei Hoffnung, etwas ändern zu können und wenn ich unter dieser Prämisse mein Leben leben muss, ist das natürlich extrem schwierig. Da sollte man Jugendliche zu ermutigen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, sie auch erfahren zu lassen, dass sie etwas bewirken können, wenn man Verantwortung übernimmt.

Renovabis unterstützt Projekte

In der Ukraine gibt es ein sehr schönes Projekt, das ist ein soziales Jugendnetzwerk, das explizit darauf ausgerichtet ist, zu sagen: "Du kannst Verantwortung übernehmen in deinem konkreten Umfeld, du kannst andere Menschen unterstützen". Dort passiert ganz viel Freiwilligenarbeit, sie setzen sich für Andere, noch Schwächere ein, also alte Menschen oder Kinder. Die Jugendlichen merken, sie können etwas tun, sie können andere unterstützen und sie können auch etwas verändern in ihrem direkten Umfeld. Das ist sehr, sehr wichtig. Da gibt es sehr viele Projekte, die Renovabis unterstützt, wo man ein Zeichen der Hoffnung setzen kann.

Das Interview führte Aurelia Rütters.

 

Quelle:
DR