Bischof Pickel zum Abschluss der Renovabis-Pfingstaktion

"Wir sind immer noch auf dem Sprung"

Auch 25 Jahre nach der Wende sind Russland und Westeuropa nicht zusammengewachsen. Zu dieser Einschätzung kommt der in Russland tätige Bischof Clemens Pickel. Noch immer gebe es zu "überspringende Trümmer".

Holzkirche im Bistum Saratow  (KNA)
Holzkirche im Bistum Saratow / ( KNA )

domradio.de: Sind die Mauern schon überwunden worden?

Bischof Pickel: Im ersten Moment als ich das Leitwort gelesen habe, habe ich mich natürlich an die Berliner Mauer erinnert und das war eine sehr gute Erinnerung: Europa war getrennt und Europa wächst seit 25 Jahre wieder zusammenwachsen. Das ist ein sehr sehr langsamer Prozess, besonders hier in Russland. Ich denke, besonders durch die große Fläche des Landes erleben wir, wie langsam das Ganze geht. Für deutsche Nerven oft viel zu langsam. Man kann es nicht ändern.

domradio.de: Haben die Menschen denn in Ihrem Bistum schon Brücken zu uns im Westen bauen können?

Bischof Pickel: Das Ganze fing ja praktisch damals damit an, dass ausländische Seelsorger, Priester und Ordensleute, in die ehemalige Sowjetunion gingen. Hier gab es ja keine mehr, sie waren verschleppt oder umgebracht. Die Leute haben seit Jahrzehnten auf Priester, auf Kirche, auf Evangelium, auf Predigt, auf Sakramente gewartet. Es ging praktisch Anfang der 90er Jahre los, dass sich die ganze Welt für Russland interessierte. Das war eine Zeit, in der Geistliche bis aus Argentinien, aus Indonesien, natürlich aus Polen kamen. Manche auch aus Deutschland, Irland, Österreich, Frankreich und aus der Ukraine. Sie kamen, um zu helfen. Sie wussten, hier gibt es noch Leute, die seit Jahrzehnten warten. So wurde praktisch die Mauer, die zusammenbrach, übersprungen. Die Mauer war nicht mehr so hoch, das waren die Trümmer, die zu überspringen waren. Ich denke, wenn wir ehrlich sind, müssen wir bis heute sagen, wir sind immer noch auf dem Sprung!

domradio.de: Sie haben gerade ein gutes Stichwort genannt, nämlich die Ukraine. Hat sich denn das Verhältnis der Westeuropäer seit dem Ukrainekonflikt zu Russland verändert, sind da die Mauern wieder ein Stückchen gewachsen?

Bischof Pickel: Zu uns als Kirche nicht. Wir sind hier eine kleine Kirche, die sich Mühe gibt, wir sind keine politische Organisation. Wir sind im sozialen und im pastoralen Bereich tätig und dort spürt man nichts an neuen Mauern oder Vorbehalten.

domradio.de: Spüren Sie denn außerkirchlich etwas davon?

Bischof Pickel: Dass man Verwandte in der Ukraine hat, ist ganz normal. Besonders weil Katholiken in Russland meistens keine Russen waren, sondern Ausländer, nicht nur Deutsche oder Polen, sondern zum Teil auch Ukrainer. Das ist also ganz normal, dass in unseren Gemeinden auch ukrainischstämmige Katholiken leben und das ist natürlich eine Sorge für die Leute, wie geht das dort weiter. Niemand kann die Entwicklung für die nächsten Jahre jetzt voraussehen und die Leute sind natürlich beunruhigt.

domradio.de: Sie waren bei der Eröffnung der Renovabis-Pfingstaktion in Dresden dabei. Was können Sie den Menschen 25 Jahre nach der Wende von Ihren Eindrücken schildern, wenn Sie nach Deutschland kommen?

Bischof Pickel: Ich möchte den Deutschen tatsächlich immer wieder gern sagen, seid vorsichtig mit der Schnelllebigkeit. Deutschland ist inzwischen zusammengewachsen, auch wenn es Unterschiede gibt. Wenn die Leute aufs Gehalt schauen, wird es immer noch viele Unterschiede geben, die Grund zur Klage sein können, aber es gibt so viel Gutes in Deutschland, wofür man auch dankbar sein kann. Darauf sollte man achten, auch dass es nicht selbstverständlich ist und dass es mal anders war. Vergesst nicht, wie es vor 25 Jahren und länger war. Das ist eine wichtige Sache. Wer seine Geschichte vergisst, der verirrt sich. Das ist für Deutschland wichtig.

domradio.de: Waren Sie vor der Wende schon in Russland?

Bischof Pickel: Ich habe ganz kurz vorher beim Bischof gebeten, dass ich gehen darf. Die Grenze war noch zu und Bischof Reinelt in Dresden hat mir damals erlaubt, obwohl er noch nicht wusste, wie das Ganze funktionieren könnte, in die Sowjetunion gehen zu dürfen. Das war im August 1989 und im November fiel die Mauer. Er hatte damals gesagt "warten Sie bis zur Priesterweihe, dann besetzen wir Ihre Kaplanstelle neu und Sie können gehen". Da kam die Wende praktisch dazwischen und ich durfte am 1. August 1990 nach der gefallenen Mauer losziehen. Dieses ganze Zusammenwachsen in Deutschland habe ich praktisch nur aus der Ferne erlebt.

domradio.de: Wie feiern Sie Pfingsten in ihrem Bistum?

Bischof Pickel: Bei uns gibt es keinen Pfingstmontag, sondern nur den Pfingstsonntag und es ist jedes Jahr eine Aufgabe, den Leuten zu erklären, was das ist. Pfingsten als Wort gibt es hier nicht so richtig im Russischen. In der orthodoxen Tradition wird 50 Tage nach Ostern Gott als Dreifaltigkeit gefeiert. Wir unterstreichen, wir feiern die Sendung des Heiligen Geistes.

Das Interview führte Bernd Knopp


Quelle:
DR