Münchener Priesterseminar will gegen Missbrauch sensibilisieren

Wenn Prävention auf dem Lehrplan steht

Seelsorge, Liturgie, Kirchenrecht – und das möglichst praktisch: Im Priesterseminar bekommen angehende Priester ihr Handwerkszeug für die Arbeit in der Gemeinde an die Hand. Aber was lernen sie über den Missbrauch in ihrer Kirche?

Symbolbild: Priesterseminar / © Maria Irl (KNA)
Symbolbild: Priesterseminar / © Maria Irl ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was haben Sie gefühlt, als klar wurde, was für ein Ausmaß der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat?

Andreas Schmidt (Spiritual des Münchener Priesterseminars St. Johannes der Täufer): Im Jahr 2010 gab es zunächst die Enthüllungen im Canisius-Kolleg. Damals habe ich, so wie viele andere, noch gedacht: Das sind wirklich ganz vereinzelte Fälle, die zwar schrecklich sind, aber nicht in großem Ausmaß vorkommen. Das Gegenteil wurde Jahre später sehr deutlich. Dazu kam noch, dass diese Missbrauchsfälle oft vertuscht worden sind und man damit Unheil noch weiter möglich gemacht hat. Das hätte man auch auf der Leitungsebene früher eindämmen können.

Für mich war das ein echter emotionaler Schock. Ich habe mich schon gefragt: Ist das noch meine Kirche? Das war auch menschlich eine Enttäuschung, geistlich eine Herausforderung. Wie gehe ich damit um? Wie gehen wir heute mit dieser Situation in unserer Kirche um?

DOMRADIO.DE: Kurz darauf, im Jahr 2011, sind Sie Spiritual im Priesterseminar geworden. Haben Sie eine Antwort auf Ihre Fragen gefunden?

Schmidt: Wir müssen wirklich alles tun – und das versuchen wir hier im Seminar –, um das Thema nicht mehr unter den Teppich zu kehren, sondern im Gegenteil: Wir müssen es thematisieren. Wir müssen alles tun, um das, was geschehen ist, aufzuarbeiten und zu verstehen. Unsere Hauptaufgabe als Seminar liegt darin, dass wir in der Ausbildung der Priester auf Zukunft hin Prävention leisten.

Sowohl in dem Sinne, dass so etwas unter Klerikern nicht vorkommt, als auch, dass wir als Kirche Vorreiter sind, wenn es darum geht, Prävention in unseren kirchlichen Einrichtungen zu sichern. Darüber hinaus müssen wir als Kirche auch bereit sein, Opfer zu begleiten, sie wiederaufzubauen und ihnen zu helfen, wenn sie unsere Hilfe wollen.

DOMRADIO.DE: Was sind da konkrete Dinge, die Sie den Seminaristen mit auf den Weg geben?

Schmidt: In unserem Seminar haben wir ein Programm zum sexuellen Missbrauch und Prävention ausführlich durchgesprochen, das von der Erzdiözese ausgearbeitet wurde. Wir haben das in Gruppenarbeit gemacht und den Kontakt zu Betroffenen gesucht. Dadurch ist es für die Seminaristen auch noch einmal mehr zum existenziellen Thema geworden. Wir versuchen, das Thema sachlich anzugehen und zu informieren.

Unsere Seminaristen sollen in gewisser Weise Spezialisten für Prävention werden. Wie kann so etwas entstehen und wie kann man Missbrauch in einem pastoralen Umfeld verhindern? Das andere ist die Arbeit an der Persönlichkeit, also die Begleitung und Formung zu psycho-sexueller und geistlicher Reife. Wir brauchen Priester, die heilen, aufbauen und nicht selbst zum Täter werden.

DOMRADIO.DE: Der Missbrauch und der Umgang der Kirche damit hat viele Menschen dazu gebracht, sich abzuwenden. Geht es den Interessenten für die Priesterberufung auch so?

Schmidt: Für unsere Seminaristen ist es natürlich, wie für alle anderen Christen auch, zunächst eine schwere Enttäuschung und Belastung gewesen. Im konkreten Fall war ein Seminarist indirekt selbst betroffen. In seiner Pfarrei wurde ein solcher Missbrauchsfall durch den dort beschäftigten Diakon aufgedeckt. Das hat dazu geführt, dass er selbst zunächst das Projekt Priester zu werden hat fallen lassen. Er hat sich mit seiner ganzen Familie dann zunächst von der Kirche entfernt - nach dem Motto "Mit diesem Verein will ich jetzt erst mal nichts mehr zu tun haben". Später hat sich die Berufung doch wieder gemeldet, und er hat sich dann doch entschieden, diesen Schritt zu tun.

Bei einem anderen Seminaristen ist es die Schwester, die wegen der Missbrauchsfälle ausgetreten ist. Von der verständlichen Enttäuschung, die in der Gesellschaft allgemein da ist, von dieser Bewegung weg von der Kirche, sind ja auch unsere Seminaristen betroffen. Sie müssen selbst damit fertig werden und trotzdem dieses Ja zur Kirche sprechen. Gleichzeitig müssen sie damit umgehen können, dass sie in ihrem Umkreis mit Menschen konfrontiert sind, denen das Thema zurecht zum Anstoß geworden ist. Auch damit müssen sie lernen umzugehen.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt es für die Seminaristen, mit Betroffenen zu sprechen?

Schmidt: Ich halte es für sehr wichtig, auch mit Betroffenen selbst das Gespräch zu suchen und immer wieder zu hören, was Missbrauch dann tatsächlich für das Leben der Menschen bedeutet. Bei uns hat sich gezeigt, dass das direkte Gespräch mit Betroffenen das Thema noch einmal existenziell betreffender macht, statt nur davon zu hören oder in den Medien zu lesen.

Wir hatten eine solche Begegnung und danach waren die Seminaristen umso motivierter, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sie möchten sich eine Kompetenz aneignen und auch an sich selbst arbeiten.

DOMRADIO.DE: In welchem Verhältnis sehen Sie die Kirche als Institution und die Betroffenen zueinander?

Schmidt: Man muss unbedingt einen gemeinsamen Weg gehen. Wenn es um die Diskussion um Entschädigungszahlungen geht, da entsteht vielleicht oft dieses Bild eines Gegeneinanders. Aber es muss uns um dasselbe Ziel gehen. Es muss uns darum gehen, wirklich lückenlos aufzuklären, schonungslos anzuschauen, was war, um dann auch zu verstehen: Warum konnte das passieren? Wir müssen zusammenarbeiten, damit in unserer Kirche für Kinder und Jugendliche die größtmögliche Sicherheit herrscht.

Das Interview führte Gerald Mayer.


Spiritual Dr. Andreas Schmidt / © Matthias Firmke (Priesterseminar München)
Quelle:
DR