Wie sieht die Pfarrei der Zukunft aus?

"Wir hängen noch an Idealen, die es so nie gab"

"Gesucht: Die Pfarrei der Zukunft": Unter diesem Buchtitel werden Ergebnisse im Pfarreientwicklungsprozess des Bistums Essen herausgegeben. Wie muss sich die Kirche vor Ort entwickeln – und von welchen Selbstverständlichkeiten muss sie sich trennen?

An die Zukunft denken (shutterstock)

DOMRADIO.DE: So richtig fündig geworden sind Sie nicht. Eine klare Antwort, wie die Pfarrei der Zukunft aussieht, so schreiben Sie selbst, gibt es nicht. Haben Sie denn trotzdem etwas gefunden?

Markus Etscheid-Stams (Persönlicher Referent des Generalvikars & Leiter Stabsbereich Strategie und Entwicklung im Bistum Essen): Wir haben einige Hinweise gefunden, in welche Richtung es gehen könnte. Die Enttäuschung vielleicht vorweg, es ist nicht eine Richtung, sondern es sind ganz unterschiedliche Richtungen, die wir da gefunden haben. Das ist vielleicht schon eine der wichtigen Erkenntnisse, dass es nicht die Pfarrei und das Modell gibt, sondern dass wir selbst im Bistum Essen selber ganz unterschiedliche Modelle gefunden haben, die gerade auf dem Weg sind, weiter zu wachsen und zu reifen. Wenn wir über das Bistum hinaus gucken, gibt es ganz viele andere Diözesen, die sich mit der Frage beschäftigen. Diese Modelle sind noch einmal alle sehr unterschiedlich.

DOMRADIO.DE: Vielleicht ein ganz kurzer Einblick. Wie könnte denn eine Richtung aussehen?

Etscheid-Stams: Ein großer Unterschied bei uns im Bistum Essen ist, dass sich einige Pfarreien als Pfarrei sozusagen auf in die Zukunft machen und schauen, wie können wir als sehr große Pfarrei in einem ganzen Stadtteil oder in einer ganzen Stadt Kirche gestalten. Es gibt andere Pfarreien, die sich sehr auf die einzelnen Orte innerhalb einer Pfarrei, auf einzelne kleinere Gemeinden konzentrieren und versuchen, das Leben da ganz vor Ort zu entwickeln. Das sind zwei sehr unterschiedliche Richtungen von größeren Einheiten oder sehr kleinen Einheiten.

DOMRADIO.DE: Im Untertitel des Buches steht, es ist ein kreativer Prozess. Müssen das die Kirchen nochmal richtig lernen, kreativ an die Dinge heranzugehen?

Etscheid-Stams: Ja, das glaube ich schon. Kreativität ist das eine, wozu Innovationsbereitschaft und Freude gehören, ebenso die Lust und Neugier rauszugehen. Das ist eine Erkenntnis dieses Pfarreientwicklungsprozesses, die wir in den letzten Jahren gemacht haben. Es ist gar nicht so einfach, rauszugehen.

Am Anfang des Prozesses stand für jede der 42 Essener Pfarreien der Tipp, aber auch die Bedingung, sozusagen, mal rauszugehen und in den Stadtteilen zu gucken, was brauchen denn die Leute eigentlich hier von der Kirche, für wen und mit wem sind wir eigentlich im Umfeld aktiv. Da haben wir gemerkt, dass das gar nicht so einfach ist, diesen Schritt aus den eigenen Kirchenmauern in das Umfeld zu gehen. Das ist sicherlich eine der großen Herausforderungen, da neugierig und kreativ zu sein.

DOMRADIO.DE: Vieles von dem, was viele Jahre Tradition und Selbstverständlichkeit war, ist verloren gegangen. Das ist, wenn ich Sie richtig verstehe, eher eine Chance zum Aufbruch als ein Grund zur Klage?

Etscheid-Stams: Ja, klar. Wir hängen immer noch an Idealen, die es so nie gab. Das haben wir jetzt auch noch einmal gemerkt. Auch die urbane Pfarrei im Ruhrgebiet, die gab es so eigentlich nie. Einer, der Kirchenhistoriker, der in einem Buch Teile dieses Prozesses aus seiner Perspektive reflektiert, sagt so schön: "Es gibt so viele dörfliche Strukturen und die Pfarrei ist sozusagen weiter als Dorf neben vielen anderen Dörfern gedacht, obwohl sie eben in der Pfarrei ist." Da hängen wir irgendwie einer Idee nach, die es so eigentlich nie gab.

Das ist sicherlich die Herausforderung, dass es ganz viele solcher Ideen gibt, die aus dem volkskirchlichen Denken kommen oder die wir einfach noch in der Kultur und in der DNA unseres Kircheseins mitschleppen, ohne dass sie vielleicht jemals getragen haben. Das weiß ich gar nicht. Aber jedenfalls ohne, dass sie in Zukunft tragen. Die Frage der Zukunft beschäftigt uns in Essen tatsächlich schon sehr. Da stehen wir an einer großen Zeitenwende, wie Bischof Overbeck das gerne sagt. Wir sehen noch ganz viel Arbeit vor uns.

DOMRADIO.DE: Aber so eine DNA zu verändern, ist gar nicht leicht, wenn das bei so vielen Menschen über viele, viele Jahre eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Ich verstehe Sie aber auch richtig, dass es sich um einen relativ dringenden Prozess handelt, der sich vor allen Dingen auch durch immer kleiner werdende Finanzmittel in diesen Druck aufbaut. Die Gemeinden müssen in den nächsten zehn Jahren vielleicht mit der Hälfte ihrer Mittel auskommen. Wie geht man damit um?

Etscheid-Stams: Genau. Eine Grundbedingung dieses Entwicklungsprozesses ist tatsächlich die wirtschaftliche Dimension. 50 Prozent der Kosten müssen bis zum Jahr 2030 eingespart werden. Das ist ein ganz schön großer Aufwand sozusagen, der zurückgefahren werden muss. Das ist Teil der Realität, in der wir im Bistum Essen leben, dass wir mit begrenzten finanziellen Mitteln auskommen müssen. Das kann man beklagen und bedauern – zurecht.

Das ist auch schlimm, wenn wir Kirchen aufgeben müssen, gerade solche Kirchen, die vielleicht in den 50er- oder 60er-Jahren noch neu aufgebaut wurden. Vor allem wenn die Menschen, die das damals gemacht haben, heute erleben, wie diese Standorte geschlossen werden. Das ist sehr tragisch und auf der anderen Seite sind wir vielleicht auch in der glücklichen Situation, dass wir diesen finanziellen Druck haben und so eben nicht einfach Dinge fortführen können, von denen wir heute – wenn wir ehrlich sind – wissen, dass sie in einigen Jahren oder in wenigen Jahrzehnten in keinster Weise mehr tragen werden. 

DOMRADIO.DE: Sie haben ja in verschiedenen Kategorien auch sich mit den Gläubigen, mit den Menschen auseinandergesetzt. Da ging es um spirituelle Fragen, um strukturelle Fragen, aber auch um Fragen von Pastoral und Liturgie und im Verhältnis zur Ökumene und Gesellschaft. Was sind da für Sie die überraschendsten Ergebnisse gewesen?

Etscheid-Stams: Es gibt eine hohe Vielfalt und es gibt auch einen großen Blick auf die Qualität, die vor Ort wichtig und gleichzeitig eine große Differenz ist. Es gibt eigentlich eine große Überforderung in diesen Prozessen, aber auch in dem, was Menschen von Pfarrei und Gemeinde erwarten. Die Leute vor Ort wissen schon genau eigentlich, was das ist.

Gleichzeitig merken sie auch, das Personal und das Geld wird weniger und sie selber werden weniger. Dadurch entsteht eine schwierige Situation unter Spannung, wo man aufpassen muss, dass man sich nicht gegenseitig noch unter Druck setzt und ärgert – und sich das Katholischsein am Ende abspricht. Die Spannung ist zwischen dem Alten und Neuem da, zwischen dem Anspruch und dem, was möglich ist. Das ist gar nicht so einfach für die Menschen.

DOMRADIO.DE: Wie kann man die Menschen gut in diesem Prozess mitnehmen?

Etscheid-Stams: Wir merken im Bistum Essen, dass das eigentlich die Themen des Synodalen Weges sind, die uns da sehr beschäftigen und die auch die Pfarreien letztlich beschäftigen und es auch müssen – vor allem wenn es um die Frage von Machtstrukturen, von Partizipation, von Ehrenamt aber eben auch ganz konkret von der Leitung der Pfarrei geht. Wenn wir an die Grenzen kommen, dass wir vielleicht gar nicht mehr genug Priester in einer Diözese finden, ist das ja nicht aus der Not heraus geboren, sondern eine theologische Frage, die sich dann im Synodalen Weg widerspiegelt. Wie können denn die Gläubigen und die Menschen, die befähigt sind, in dieser Kirche Verantwortung übernehmen? Da kreuzen sich die Themen mit denen, die wir bearbeiten. 

Das Interview führte Matthias Friebe.

Information: "Gesucht: Die Pfarrei der Zukunft – Der kreative Prozess im Bistum Essen" von Markus Etscheid-Stams, Björn Szymanowski und Andrea Qualbrink; Herder Verlag.


Quelle:
DR
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