MDG-Studie: Ergebnisse zu Austrittsgedanken von Kirchenmitgliedern

"Solange Oma und Opa noch leben, bleibe ich"

Laut einer Studie des Heidelberger Sinus-Instituts haben 41 Prozent der Katholiken in Deutschland schon mal darüber nachgedacht, aus der Kirche auszutreten. Das klingt nicht sehr "hoffnungsfroh". Trotzdem bleiben viele. Woran liegt das?

Symbolbild Kirchenaustritt / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Symbolbild Kirchenaustritt / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Auftraggeber, also das Erzbistum München-Freising und die katholische Unternehmensberatung MDG, wollten wissen: Was bieten wir, weshalb ihr Mitglied in unserer Kirche bleibt? Gibt die Studie darauf eine zufriedenstellende Antwort? 

Prof. Dr. Michael Ebertz (Religionssoziologe und Theologe): Die Studie ist handwerklich gut gemacht und durchaus innovativ. Sie betritt Neuland würde ich sagen. Tatsächlich liegt der Akzent mal auf der Frage nach den Bindungen. Es wird immer wieder gesagt, dass Menschen austreten, aber die meisten bleiben ja. Also wollte man wissen, was diese Bänder sind, die die Menschen noch mit der Kirche verbinden. Und da kommen sehr interessante Ergebnisse heraus.

DOMRADIO.DE: Was könnten zum Beispiel diese Bindungen sein?

Ebertz: Zunächst muss man sagen, dass die Bänder ganz unterschiedlich gefärbt sind. Es sind nicht nur religiöse Bänder. Es sind auch soziale Gründe, wie zum Beispiel die Familientradition. Die meisten sagen: "Ich bin in der Kirche, weil es in unserer Familie schon immer so war." Aber man stellt fest, dass dieses Band der Familie nicht mehr reicht. Es müssen weitere hinzukommen, damit es eine stabile Bindung bleibt.

Man könnte sagen, dass mindestens drei dazukommen müssen. Bei denjenigen, bei denen wir nur diese Familientradition und möglicherweise auch "Gegenbänder" haben, wenn Menschen mit anderen Religionen und anderen religiösen Traditionen liebäugeln, dann erodiert die Bindung.

Und das Interessante an der Studie ist: Sie unterscheidet sieben verschiedene Typen von Katholikinnen und Katholiken. Es gibt die, die kann man zusammengefasst "die Kirchennahen" nennen, das sind 42 Prozent. Und genauso viele gibt es von den Kirchendistanzierten: 42 Prozent. Und die drohen tatsächlich, die Kirche zu verlassen.

DOMRADIO.DE: Die äußern wirklich gezielte Kritik an bestimmten Dingen in der Kirche. Zum Beispiel kritisieren 56 Prozent das Frauenbild oder auch die Doppelmoral in der Kirche. Das sind Ergebnisse, die in der aktuellen Debatte auch immer wieder diskutiert werden. Mehr noch als das, was wir vielleicht schon direkt aus dem Gemeindeleben kennen, zum Beispiel, dass Jüngere eher weniger an die Kirche gebunden sind als Ältere. Wie kann man jetzt mit dieser Kritik umgehen?

Ebertz: Das Interessante ist, dass alle sieben Typen einen bestimmten Grad an Kirchenkritik und an Neigung haben, die eigene Religion selbst zu mischen, also das Christliche mit anderen religiösen Vorstellungen und Traditionen zu mischen. Aber die Mischung und die Kirchenkritik sind unterschiedlich verteilt.

Wenn man nicht nur eine Familienbindung an die Kirche hat, sondern noch weitere Bindungen hinzukommen, wenn man zum Beispiel eine Verbundenheit mit der Kirchengemeinde vor Ort hat, die Dienstleistungen der Kirche schätzt oder meint, die Kirche als Moralinstitution gerade in dieser heutigen Gesellschaft zu brauchen, wenn solche drei Bindungen dazukommen, dann bleibt man. Dann kann man zwar Kirchenkritik üben, ein bisschen liebäugeln mit dem Buddhismus oder so, aber man bleibt.

Oder, wenn man sehr stark in der Gemeinde verwurzelt ist oder einen starken Glauben hat und vielleicht auch sagt: "Wir brauchen das Christentum und die Kirchen, um uns vor Islamisierung zu schützen", dann bleibt man in der Kirche, weil man da einen Bündnispartner hat. Das ist das Interessante. Alle haben Kirchenkritik, alle liebäugeln mit einer Patchwork-Religion, wie man das heute nennt – aber das heißt noch lange nicht, dass alle gehen. Da muss die Mischung entsprechend sein, dass man bereit ist zu gehen oder zu bleiben.

DOMRADIO.DE: Und es gibt noch einen Grund, den die Studie aufnimmt, nämlich, dass viele auch einfach aus Bequemlichkeit bleiben, weil sie sich scheuen, auf das Standesamt zu gehen. Dabei ist es heute so gesehen sehr einfach auszutreten: Standesamt, Unterschrift und schon ist man ausgetreten. Was für eine Bequemlichkeit ist da vielleicht gemeint?

Ebertz: Das sind solche Gründe, die angegeben werden. Aber das ist kein leitender Grund. Er kommt noch hinzu. Ich sage nochmal: Alle – selbst die, die entfremdet sind, das sind immerhin 26 Prozent, selbst die sogenannten Freigeister unter den Katholiken, die machen zusammen 42 Prozent aus – sagen: Ein Hauptgrund ihrer Kirchenmitgliedschaft ist die Familientradition.

Will sagen: Solange Oma und Opa noch leben, um das mal etwas einfach zu sagen, tue ich das denen nicht an, aus der Kirche auszutreten. Das wäre eine Pietätsverletzung meiner Verwandtschaft gegenüber. Also bleibe ich lieber. Und dann kommt noch hinzu: Die Kirche macht ja auch noch etwas Gutes für die Armen und die Schwachen.

Es ist ja irgendwie auch ein bisschen umständlich, da auszutreten. Wer weiß, was das alles noch für bürokratische Konsequenzen hat. Aber das ist nicht der Hauptgrund dafür, dass man bleibt. Der Hauptgrund ist die Familientradition. Allerdings: Je jünger die Kirchenmitglieder sind, umso dünner wird dieses Band. Für die Zukunftsfähigkeit der Kirche sind auch Aussagen oder Ergebnisse da, die sind nicht nur hoffnungsfroh.

DOMRADIO.DE: Kann man das dann wirklich auf diesen Punkt bringen? Die soziale Bindung ist wichtiger als der Glaube?

Ebertz: Das kann man eben für alle nicht so sagen. Es gibt einen dieser sieben Typen, der hat nur diese Familienbindung. Aber das ist auch der Typ, der am stärksten zum Austritt neigt. Das sind die sogenannten Entfremdeten in dieser Studie. Da kann man sagen: Ein Band zu haben, nämlich das Familienbad, reicht nicht aus, um sich an die Kirche zu binden. Dann ist man austrittsbereit.

Wenn aber andere Bänder hinzukommen, wenn das Tau sozusagen aus mehreren Seilen geflochten ist, dann wächst die Neigung zu bleiben. Also: Zunächst mal hat man die Familienbindung. Dann ist man integriert in die Gemeinde vor Ort oder schätzt die kirchlichen Dienstleistungen - Taufe, Hochzeit, Beerdigung oder auch die Caritas - und meint, die ethische Position der Kirche ist heute wichtiger denn je: Dann hat man schon mehr als drei zusätzliche Bindungen.

Dann denkt man kaum daran, aus der Kirche auszutreten. Trotzdem hat man auch bei diesen eng Verbundenen Kritik an der Kirche. Es ist niemand mehr völlig Kritiklos mit der Kirche verbunden.

Das Interview führte Beatrice Steineke. 


Quelle:
DR
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