Die Frage nach Qualitätskriterien für Gottesdienste

Wann ist ein Gottesdienst "gut"?

​Pop- und Rockkonzerte werden als perfekte Bühnenshows präsentiert – Gottesdienste folgen anderen Regeln. Und doch stellt sich angesichts schwindender Kirchgänger die Frage: Fehlt es manchmal an Qualität? Ein Diskurs.

Autor/in:
Mathias Peter
Gläubige im Gottesdienst / © Harald Oppitz (KNA)
Gläubige im Gottesdienst / © Harald Oppitz ( KNA )

Die Gestaltung des Gottesdienstes wird oft leidenschaftlich diskutiert – soll die Messe lieber "feierlich" mit allen Lesungstexten, Weihrauch und "streng nach Vorschrift" gefeiert werden? Oder ist eine freiere Form besser, um die Menschen alltagsgemäßer anzusprechen?

Die Journalistin Christina Rietz hat da eine eindeutige Meinung. Sie wendet sich in einem Artikel in der Beilage "Christ und Welt" der Wochenzeitschrift "Die Zeit" gegen "eventistische Aufpustungen" in den Gottesdiensten. Ihr Tenor: ein Gottesdienst ist dann gelungen, wenn er "werktreu" und eben nicht "alltagsnah" aufgelockert oder ergänzt ist. Musikalisch setzt sie auf Orgel und Chor.

Pop-Kantoren erweitern das musikalische Spektrum

Der Einsatz von E-Gitarren in Sonntagsmessen ist der Journalistin ein Graus – das sieht Stefan Glaser durchaus anders. Er ist Bischöflicher Beauftragter für die Kirchenmusik im Bistum Essen. Das setzt seit einigen Wochen auf die Arbeit von zwei Pop-Kantoren. Beide sind professionelle Popmusiker und sollen mit ihrer "Praise and worship"-Musik neue Impulse den Gemeinden und Bands geben.

Traditionellere Musik soll nicht verdrängt werden. Glaser betont das hohe musikalische und auch spirituelle Niveau der Musik. Eine Anbiederung an den Zeitgeist sei diese eher rockige Musik nicht – auch in früheren Zeiten seien weltliche Strömungen von der Kirchenmusik aufgegriffen worden.  "Praise and worship" spreche vor allem junge Menschen an, die mit der bekannten Kirchenmusik nicht soviel anfangen könnten. Eine Osternacht in diesem Jahr mit dieser Musik sei von 700 Menschen besucht worden, resümiert Glaser.

Andachtsfreier Kindergottesdienst?

Bei der Frage nach einem "guten" Gottesdienst stehen Kindergottesdienste bei manchen Bloggern und Kritikern für unzureichende Vorbereitung und mangelnde Andacht. "Wer sein Kind liebt, der pfeift auf Kindergottesdienste", schreibt beispielsweise die Bloggerin "Gardinenpredigerin" und nimmt sich vor allem die Gottesdienste vor, in denen Kinder nicht separat und räumlich getrennt von der übrigen Gemeinde Gottesdienst feiern.

Pauschale Kritik an Kindergottesdiensten weist Martin Kruse zurück. Der Referent für Familienpastoral im Erzbistum Köln glaubt, dass der christliche Glaube altersgemäß vermittelt werden sollte, der gewöhnliche Gottesdienst sei für Kinder oft unverständlich, deswegen seien Einheiten in einem anderen Raum sehr sinnvoll. Ein andachtsvoller Kindergottesdienst sei  durchaus möglich. "Ruhe ist ein wichtiges Element in jedem Gottesdienst", betont Kurse. Der Glaube komme in speziellen Kindergottesdiensten nicht zu kurz: "Immer wird ein Kreuzzeichen gemacht, über Gott gesprochen und gesungen."

Qualität bei Predigt, Raum und Kleidung

Was macht aber nun einen guten Gottesdienst aus? Stefan Böntert ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und mahnt bei aller Offenheit für neue Formen der Gottesdienste vor allem Sorgfalt an: "Der Kirchenraum darf nicht im Chaos versinken, die liturgische Kleidung muss stimmen, Predigten sollen inspirieren sein, rhetorisch gut vorgetragen, theologisch durchdacht. Im Gottesdienst müssen Symbole und Zeichen so eingesetzt werden, dass sie auch ohne Worte verstanden werden."

Freier gestaltete Gottesdienste gegen „korrekt“ gefeierte Gottesdienste will der Liturgieexperte nicht gegeneinander ausspielen.  Bei schlechter Durchführung könnten beide „wenig inspirierend“ sein. Regeln seien allerdings wichtig für theologische Mindeststandards, zugleich lasse die aktuelle Ordnung der Liturgie ohnehin viel Gestaltungsspielraum zu.

Fehler werden verziehen, Schlampigkeit nicht

Hilmar Gattwinkel ist evangelischer Pastor, Kommunikationsexperte und leitet kommissarisch das Zentrum für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hildesheim. Das Zentrum befasst sich intensiv mit der Frage nach Qualität und der Feier der Gottesdienste. Gattwinkel meint: "Es gibt gar nicht den absoluten Begriff von Qualität für den Gottesdienst." Dennoch sei es wichtig, für jeden Gottesdienst ein Ziel zu formulieren.

Mit Blick auf den Qualitätsaspekt könne man dann fragen, wo Dinge im Gottesdienst seien, „die noch genauer, noch präziser, noch geschärfter“ werden könnten. Er weiß aus Untersuchungen: "Über 70 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder verzeihen Fehler im Gottesdienst." Anders sehe es aus, wenn ein Gottesdienst unzureichend vorbereitet und unpräzise ist: "Das nehmen uns die Leute übel."

Sperrig ist gut

Davon abgesehen findet es Gattwinkel gut, dass der Sonntagsgottesdienst gegen den gesellschaftlichen Trend zur Ausdifferenzierung altersübergreifend und gemeinschaftsstiftend sein will: "Der Gottesdienst ist immer etwas Sperriges - die Frage ist, wieweit Menschen bereit sind, sich auf dieses Sperrige und manchmal Befremdliche einzulassen." 

Auch Prof. Böntert setzt auf einen Sonntagsgottesdienst, in dem Alt und Jung versammelt sind. Die Sonntagsmesse habe die Aufgabe "über Generations- und über Milieugrenzen hinweg Menschen zusammenzuführen". Das sei ein Kernpunkt des Wirkens Jesu, "die Grenzen einzureißen, die zwischen den Menschen stehen."

Perfekte Liturgie ersetzt nicht die eigene Gottesbeziehung

Bei aller Diskussion um den "richtigen" oder "guten" Gottesdienst betont Böntert: "Wer meint, wir brauchen bessere Gottesdienste und dann kommen sofort mehr Menschen – der irrt! Eine gute äußere Form der Liturgie entbindet nicht davon, ein eigenes Gottesverhältnis, eine eigene Spiritualität zu entwickeln."


Quelle:
DR