Kardinal Woelki im domradio.de-Gespräch zu Heiligabend

Für eine Globalisierung der Nächstenliebe

Zwischen seinem Besuch der Justizvollzugsanstalt und der Christmette schaute Kardinal Woelki zum Gespräch mit Hilde Regeniter bei domradio.de vorbei - mit einem Geschenk und einem Anliegen.

Kardinal Woelki im Gespräch mit Hilde Regeniter (DR)
Kardinal Woelki im Gespräch mit Hilde Regeniter / ( DR )

domradio.de: Sie kommen direkt aus Köln Ossendorf zu uns, da haben sie Gefangene in der Justizvollzugsanstalt besucht. Warum genau sind sie dahin gegangen?

Kardinal Woelki: Weil Weihnachten Gott in die Welt kommt. Er kommt in Bethlehem in die Welt, in einem Stall, und er kommt, wie der Papst nicht müde wird zu sagen, sozusagen zu denen, die am Rande der Gesellschaft leben. Bethlehem ist auch am Rande der Gesellschaft damals gewesen. Die ersten, die dem neugeborenen Gottessohn begegnen, sind die Hirten, die auch zu den Ausgestoßenen der damaligen Gesellschaft gehörten. Gott kommt nicht nach Jerusalem, wo die Intelligenz, wo die Priesterschaft, wo die Reichen sind, wo die warmen Betten und der Wohlstand beheimatet sind, sondern in Bethlehem im Stall, in einer Krippe und die Hirten, die Outlaws der damaligen Gesellschaft, mit denen viele nichts zu tun haben wollten, sind die ersten, die an die Krippe herantreten und denen sich Gott offenbart als der neugeborene Heiland und Messias. Und deshalb finde ich es wichtig, dass wir als Kirche gerade auch an solchen Tagen, an diesen Orten draußen vor der Gesellschaft präsent sind.

domradio.de: Wie war sie denn, die Begegnung mit diesen Outlaws, mit den Gefängnisinsassen?

Kardinal Woelki: Ich hatte erst eine kurze Begegnung, ein Gespräch mit Verantwortlichen der Anstalt, und dann sind wir anschließend in die Kapelle gegangen. Dort in Ossendorf existiert eine sehr schöne, große Kirche, und wir haben zusammen die heilige Messe gefeiert, die Weihnachtsmesse. Und im Anschluss war dann eine sehr nette Begegnung bei Kaffee und Tee und Plätzchen und wir konnten uns ein bisschen austauschen. Es war für viele der Gefangenen schon schwierig, jetzt natürlich fernab von Familie, von Frau und Kindern, und im letzten dann auch natürlich an diesem besonderen Tag in einer besonderen Einsamkeit auch das auszuhalten und durchzutragen. Der Alltag im Gefängnis über solche Festtage ist dann noch einmal härter als er sonst ist. Insofern sind die Zeiten, in denen die Gefangenen allein auf ihrer Zelle sein müssen, länger sind als sonst, weil natürlich die Angestellten, die Bediensteten auch frei haben wollen und dann nur mit einer kleinen Schicht arbeiten. Also insofern war das eigentlich eine für mich wichtige Begegnung, weil es ein Stück von der Menschlichkeit, die dem Weihnachtsfest innewohnt, auch für diese Menschen zum Klingen gebracht hat.

domradio.de: Und für die Menschen war es sicher ein Zeichen der Wertschätzung.

Kardinal Woelki: Auf jeden Fall.

domradio.de: Sie feiern jetzt in diesem Jahr ihr zweites Weihnachten als Erzbischof von Köln. Dass Josef und Maria damals auch Flüchtlinge waren, darauf haben sie auch schon letztes Jahr hingewiesen. Jetzt aber sind Flüchtlinge DAS Thema 2015. Der richtige Umgang mit ihnen beschäftigt uns. Es gibt auch immer wieder viele Aggressionen Flüchtlingen gegenüber. Vor diesem Hintergrund: Was kann uns da die Weihnachtsgeschichte lehren?

Kardinal Woelki: Die Weihnachtsgeschichte lehrt uns zunächst einmal, dass Gott Mensch wird, einer von uns wird. Dass er sozusagen in unserer Haut steckt und Fleisch und Blut annimmt. Und damit jedem Menschen eine besondere Würde aneignet, die von Gott kommt. Die ihm nicht eine Gesellschaft oder ein politisches System zuspricht, die ihm deshalb auch keine Gesellschaft oder ein politisches System, ein Staat, absprechen kann. Das ist ein Geschenk, das Gott einem jeden Menschen macht. Und insofern müssen wir mit jedem Menschen, natürlich auch gerade als Christen, in dieser Weise umgehen und in jedem anderen sozusagen das Antlitz Gottes, das Antlitz des neugeborenen Gottessohnes erkennen. Die Menschen, die die Möglichkeit haben, hier auch bei uns zu bleiben, die müssen wir natürlich zu integrieren versuchen und wir müssen das, was wir uns gerade auch auf Grund der Erfahrungen des Dritten Reiches hier leidvoll erkämpft haben, nämlich die Freiheit, und die Würde, die Menschenrechte, die Menschenwürde, das müssen wir verteidigen. Dazu gehört eben auch das Asylrecht, das ja im Grundgesetz verankert ist und das eigens betont, dass auf Grund der Erfahrung, die wir hier in Deutschland in der Nazi-Herrschaft gemacht haben, dass Menschen die politisch verfolgt sind, die unter Krieg und Terror leiden, dass sie hier bei uns Schutz und Hilfe finden können. Das glaube ich, müssen wir wirklich gegen alle Widerstände verteidigen, das sind wir aus unserem Glauben heraus den Menschen und auch der Gesellschaft schuldig.

domradio.de: Auf ihrer Weihnachtskarte an die Gläubigen hier im Erzbistum formulieren sie das so: Nächstenliebe globalisieren. Als einen Wunsch. Wie stellen sie sich so eine Globalisierung der Nächstenliebe vor?

Kardinal Woelki: Ich denke, dass wir gerade in Europa erleben, wie wenig Solidarität hier erfahrbar ist. Für mich wäre das vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Globalisierung der Menschenliebe heißt, dass wir in Europa, in Amerika bereit sind, Menschen die in Not sind aufzunehmen, dass wir hier auch ein gerechtes System entwickeln, um diesen Menschen ein neues Zuhause in den unterschiedlichen europäischen Staaten und auch in den amerikanischen Staaten zu gewähren. Und dass wir natürlich auch verantwortlich mit dem umgehen müssen, was an Ressourcen in der Welt da ist. Viele fliehen ja deshalb auch und kommen zu uns nach Europa, und ich fürchte, dass das in Zukunft noch mehr sein werden, weil die Lebensbedingungen in den Ländern, aus denen sie kommen, so rapide sich verschlechtert haben durch die Umweltverschmutzung, durch die Ausbeutung von Ressourcen. Wir haben hier in Europa und in Amerika, in der sogenannten ersten Welt, über lange Jahre und Jahrzehnte auf Kosten der Menschen in der Dritten Welt gelebt. Die wollen jetzt genauso am Wohlstand und an Bildung teilhaben wie das bei uns üblich ist und wie das für uns selbstverständlich ist. Ich glaube, dazu müssen wir beitragen, das heißt Globalisierung der Nächstenliebe. Gerechte soziale Verhältnisse schaffen, menschenwürdige Verhältnisse schaffen, politische Systeme von Korruption befreien, allen Zugang zu einer vernünftigen Gesundheitsvorsorge gewährleisten und Teilhabe an Bildung und Ausbildung und natürlich auch an dem, was dann an Wohlstand abfällt. Der Wohlstand darf nicht nur wie in einigen Ländern, für einige wenige Reiche übrigbleiben, sondern er muss in die Breite getragen werden, gerade auch zu denen die ihn mit ihrer Körperarbeit erwirtschaftet und erbracht haben.

domradio.de: Sie kommen jetzt aus dem Gefängnis, vor ihnen liegt die Christmette. Vielleicht haben sie auch eine Weihnachtsbotschaft nochmal auf den Punkt gebracht für unsere Leser und Hörer?

Kardinal Woelki: Ich finde, dass Weihnachten uns einfach auffordert, das zu tun, was Gott getan hat. Nämlich, dass wir lernen müssen, Mensch zu werden und dass wir lernen müssen, so zu sein und so zu leben, wie dieses Kind es getan hat. Es kommt ohnmächtig in diese Welt, arm, entwaffnend im Letzten und auf ihm, so heißt es in der Heiligen Schrift, jetzt gerade auch in der Nacht wird das verkündet, ruht auf seinen Schultern die Herrschaft. Und diese Herrschaft ist keine Herrschaft der Gewalt, sondern eine Herrschaft der Liebe. Es wird deutlich, dass er den Stock des Treibers zerbricht, davon spricht der Prophet Jesaja, indem er sich den Rohrstock dann am Ende des Lebens von Pilatus in die gefesselten Hände stecken lässt. Und er nimmt das Joch auf sich, er nimmt das Kreuz auf sich, um uns das Heil und die Erlösung zu schenken. Im Letzten dann natürlich auch den Tod zu besiegen und uns damit eine Zukunft zu eröffnen, die weit über unsere kleine, menschlich begrenzte Zukunft hinaus weist in die Unendlichkeit Gottes. Das wird auf Weihnachten grundgelegt. Und wir können durch unser Verhalten das schenken, was Gott uns in seinem Sohn schenkt: Zuwendung, Zuneigung, Annahme, Vergebung und Frieden. 

Ihnen und allen Hörerinnen und Hörer, Leserinnen und Lesern gesegnete, gnadenreiche Weihnachten.

 

 

 


Quelle:
DR