Orthodoxer Theologe sieht Ökumene durch Papstreise gestärkt

"Die Früchte des Dialogs"

Von Donnerstag an war Papst Franziskus auf Reisen durch Zypern und Griechenland. Beide Länder sind stark von der orthodoxen Kirche geprägt. Doch gerade im Vergleich zum Besuch von Johannes Paul II. habe sich eine Menge bei der Ökumene getan.

Papst Franziskus und Hieronymus II. / © Paul Haring/CNS photo (KNA)
Papst Franziskus und Hieronymus II. / © Paul Haring/CNS photo ( KNA )

DOMRADIO.DE: Am Sonntag hat Papst Franziskus Geflüchtete im Aufnahme- und Identifizierungszentrum in Mytilini besucht, dem Nachfolgebau des abgebrannten Flüchtlingslagers Moria. Wie wichtig war der Papstbesuch an einem solchen Ort?

Georgios Vlantis (Orthodoxer Theologe und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Bayern): Wirklich sehr wichtig. Franziskus besuchte Lesbos zum zweiten Mal. Für seine Verhältnisse ist das sehr außergewöhnlich, zeigt aber gerade die Bedeutung, die der Papst dem Thema Flucht und Migration beimisst. Für Franziskus ist die Herausforderung von Flucht und Migartion durchaus eine gesamteuropäische und ökumenische.

Lesbos ist dafür ein symbolträchtiger Ort, ein Ort des Dramas, ein Ort eines europäischen Versagens. Doch der Papst will sicherlich nicht allein auf der Ebene der Symbole bleiben. Mit seinem Besuch will er Prozesse anstoßen, die zu einer effektiveren humanitären Antwort zur Migrationsfrage beitragen können.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen die Auffanglager auf Lesbos in der griechischen Öffentlichkeit? Und wie bringt sich die orthodoxe Kirche ein?

Vlantis: Moria war eine Schande für Griechenland und für ganz Europa. Heute scheint die Situation auf Lesbos zwar besser zu sein, aber es gibt noch viel zu tun. Viele Griechen fühlen sich von Europa bei dieser Herausforderung alleingelassen und fürchten sich vor dem Verhalten der Türkei. Da die Türkei das Leid der flüchtenden Menschen instrumentalisiert, um Druck auf die Europäische Union auszuüben.

In Griechenland ist die Tragik der Flüchtlinge und Migranten allerdings auch zu spüren. Daher darf man den menschlichen Schicksalen gegenüber nicht gleichgültig bleiben. Viele Griechen, die Kirchen, NGOs und viele weitere arbeiten daran das Leid zu lindern. Als Franziskus Lesbos 2016 zusammen mit dem Ersten in der Orthodoxie, dem ökumenischen Patriarchen Bartholomaios, sowie mit dem Erzbischof von Athen, Hieronymos II., besucht hat, haben alle drei Kirchenoberhäupter mehrfach betont, dass Flucht und Migration uns als Christen angeht und absolute Priorität haben muss.

Wir müssen gemeinsam agieren und die Komplexität des Themas ernst nehmen. Ein Beispiel: Der orthodoxe Priester Vater Efstratios Dimou, der als Papa Stratis bekannt wurde, hat auf Lesbos eine NGO zur Unterstützung von Flüchtlingen gegründet. Bis zu seinem leider frühen Tod in 2015, hat er unheimlich viel geleistet und dieses Tun hält bis heute an.

DOMRADIO.DE: Ökumenisch handeln und denken – Wie ist ihr Eindruck der Papstreise aus dem Blick der Ökumene?

Vlantis: Ein sehr positiver. Ich halte diese Reise für durchaus gelungen. Der Papst wurde sowohl auf Zypern als auch in Griechenland herzlich empfangen und hatte Gelegenheit sich ein Bild von der Buntheit beider Länder zu machen, viele Impulse zu bekommen, aber auch zu geben. Deutlich zu spüren war auch seine Solidarität mit dem zypriotischen und dem griechischen Volk. So hat auch die Öffentlichkeit in beiden Ländern die Reise begrüßt. Wenn ich die Reaktionen auf Franziskus mit den Reaktionen auf die Reise von Johannes Paul II. vergleiche, sieht man die Früchte des Dialogs der letzten 20 Jahre.

DOMRADIO.DE: Unterscheidet sich denn die Bereitschaft zur Ökumene innerhlab der orthodoxen Kirche in Griechenland und der orthodoxen Kirchen in Zypern?

Vlantis: Grundsätzlich nein, aber ich würde sagen, dass der aktuelle Stand unterschiedlich ist. Beide Kirchen sind ökumenisch engagiert, werden in zahlreichen multi- und bilateralen ökumenischen Gremien vertreten, haben mit anti-ökumenischen Strömungen zu kämpfen, die zum Teil aus dem Ausland importiert werden. Beide Länder gelten als überwiegend monokonfessionell, da jeweils mehr als 90 Prozent der Bevölkerung orthodox sind.

Für mehr Ökumene fehlt es auch an zahlenmäßig starken Gemeinden von anderen Kirchen, die mit ihren Impulsen, Schätzen und Kritik auf die Notwendigkeit des Dialogs aufmerksam machen könnten. Trotzdem meine ich, dass beide orthodoxen Kirchen bunt sind und durch ökumenische Initiativen und Zusammenarbeit bunter werden.

Ich würde mir wünschen, dass der Besuch des Papstes zu einer Schärfung des Blicks führt, zu mehr Hinschauen auf die Buntheit der griechischen Gesellschaft. Zum Beispiel auf die katholischen Gemeinden in ganz Griechenland, und speziell auf die Kykladen-Inseln wie Syros und Tinos, wo fast die Hälfte der Bevölkerung römisch-katholisch ist. Aber natürlich auch hin zu den griechischen Protestanten.

DOMRADIO.DE: Wie ist Papst Franziskus denn in Griechenland willkommen geheißen worden?

Vlantis: Zuerst haben ihn die Vertreter und die Vertreterin - Greichenland hat zum ersten Mal eine Präsidentin - aus der Politik mit starken Worten begrüßt. Dabei haben sie besonders die Leistungen seines Pontifikats und die Bedeutung seiner Impulse gewürdigt.

Bei den Begegnungen wurden auch eine Menge wichtiger Themen diskutiert: die Pandemie, soziale Gerechtigkeit, Flucht und Migration, Frieden, ökumenische und interreligiöse Dialoge, europäische Solidarität, aber auch Kritik und Sorgen durfte sich der Papst anhören.

Als geistlicher Vertreter begrüßte Hieronymos II., der Erzbischof von Athen, Papst Franziskus und sagte, dass Ehrlichkeit gerade zur Sprache der Geschwister gehöre und dass man die Zusammenarbeit mit gemeinsamen Projekten verbessern kann. Stark war auch der Moment, als der Papst um Verzeihung für das Verhalten einiger Katholiken gegen Orthodoxe gebeten hat, ähnlich wie Johannes Paul II. vor zwanzig Jahren.

Was ich aber ausdrücklich hervorheben möchte ist die Qualität der Redebeiträge des Papstes. Seine Reden waren wirkliche Essays über die Wurzeln und die Ursprünge der europäischen Kultur und über den christlichen Auftrag in der heutigen Gesellschaft. Solche Texte könnte man auch in Lehrprogramm nicht nur Griechenlands, sondern auch aller europäischer Länder aufnehmen. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR