Papst traf höchsten schiitischen Geistlichen im Irak

Wird es "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen" geben?

Papst Franziskus und der schiitische Großajatollah Ali al-Sistani haben sich am Samstagmorgen zu einem privaten Gespräch getroffen. Der 90 Jahre alte Islam-Gelehrte verkörpert die moralische Autorität des Irak.

Papst Franziskus unterhält sich mit dem Großajatollah Ali al-Sistani / © Vatican Media/AP (dpa)
Papst Franziskus unterhält sich mit dem Großajatollah Ali al-Sistani / © Vatican Media/AP ( dpa )

Wie der Vatikan mitteilte, fand die mit Spannung erwartete Begegnung in der Residenz des Großajatollahs in Nadschaf statt. Das katholische Kirchenoberhaupt betonte bei der 45-minütigen Unterredung die Bedeutung des interreligiösen Dialogs für den gesamten Nahen Osten. Zudem dankte der Argentinier dem 90-Jährigen für dessen stabilisierende Rolle in den vergangenen Jahren.

Angesichts von Gewalt und Schwierigkeiten habe der muslimische Geistliche "seine Stimme zur Verteidigung der Schwächsten und Verfolgten erhoben", sagte Vatikansprecher Matteo Bruni. Darum sei Ali al-Sistani ein wichtiger Faktor für die Einheit des irakischen Volkes.

Bis zuletzt blieb unklar, ob ein gemeinsames Schreiben der beiden Religionsführer zu erwarten ist. Dies würde an das "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen" anknüpfen, das der Papst 2019 mit dem sunnitischen Großimam Ahmad al-Tayyeb in Abu Dhabi vorgestellt hatte.

Symbolischer Urstätte der Religionen

Der Papst war am Freitag zu einem viertägigen Besuch im Irak eingetroffen. Zur Stunde ist er auf dem Weg in die antike Stadt Ur. Dort ist für den Vormittag ein hochkarätig besetztes interreligiöses Treffen vorgesehen. Das im Süden das Landes gelegene Ur gilt als Heimat der biblischen Gestalt Abraham, auf die sich Juden, Christen und Muslime gleichermaßen als Stammvater berufen.

Zusammen mit dem katholischen Kirchenoberhaupt wollen sich Vertreter der unterschiedlichen Religionen an der geschichtsträchtigen Stätte versammeln, um für Frieden und Verständigung zu werben. Am Abend feiert Franziskus eine Messe in der chaldäischen Kathedrale St. Josef in Bagdad.

Große Begeisterung

Es ist der erste Besuch eines Papstes im Irak überhaupt. In Bagdad empfingen ihn jubelnde Gläubige, die sich entlang der Straße aufgestellt hatten, oft dicht gedrängt. Im Vorfeld hatte es auch Kritik gegeben, weil der Papst das Land inmitten der Corona-Pandemie bereist. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen war im Irak in den vergangenen Wochen wieder deutlich gestiegen.

Schiitische Mehrheit

Nadschaf, rund 150 Kilometer südlich der Hauptstadt Bagdad, ist ein wichtiges Zentrum des schiitischen Islam. Hier steht unter anderem die Imam-Ali-Moschee, wo der 661 getötete Schwiegersohn des Propheten Mohammed, Ali, begraben sein soll. Auf ihn geht der schiitische Islam zurück, neben dem sunnitische Islam die zweite große Strömung der Weltreligion. Die Schiiten stellen im Irak die Mehrheit.

Großajatollah Al-Sistani hat Millionen Anhänger und genießt auch politisch Einfluss. Seine Reden finden im Irak große Resonanz. Er lebt jedoch zurückgezogen von der Öffentlichkeit. Seine Freitagspredigten lässt er verlesen. Franziskus und al-Sistani finden sich auf einer Ebene, was die Rolle von Religion in der Gesellschaft angeht.

Moralische Autorität im Irak

Der Großajatollah lehnt das iranische Modell einer Herrschaft der Mullahs ab und vertritt die Idee eines säkularen und pluralen Staats. Während der Bedrohung durch den sogenannte Islamischen Staat (IS) rief er zum Schutz der christlichen Minderheit auf. Westlichen Diplomaten gilt al-Sistani als einzige wirkliche moralische Autorität im Land. Sein Einfluss reicht in den Iran, in dem er neben karitativen Werken 49.000 Theologiestudierende unterstützt und damit die künftige Führungselite heranbildet.

Älteste Siedlungsgebiete des Christentums

Die Region des heutigen Iraks gilt als eines der ältesten Siedlungsgebiete des Christentums. Die immer wieder verfolgte christliche Gemeinde dort ist in den vergangenen Jahrzehnten jedoch stark geschrumpft. Vor allem in den von der Terrormiliz IS kontrollierten Gebieten litten die Christen und andere religiöse Minderheiten. Einst lebten mehr als eine Million Christen im Irak. Heute sind es nach Schätzungen noch 250.000 bis 400.000.

Franziskus besucht den Irak in einer Zeit, in der sich die Corona-Pandemie wieder verschlimmert. Der Irak gehört zu den Ländern der Region, die am stärksten von der Pandemie getroffen werden. Auch die Sicherheitslage hatte sich zuletzt wieder verschärft.


Quelle:
KNA , dpa