Rezension zum neuen Franziskus-Buch

Der einsame Reformer

Der Vatikanjournalist Marco Politi hat ein Buch über den Papst geschrieben, seine Diagnose ist ernüchternd: Noch nie hatte ein Papst so wenig Rückhalt in seiner eigenen Kirche. Hat Franziskus seinen Reformkurs falsch angepackt?

Autor/in:
Ina Rottscheidt
Symbolbild: Buch veröffentlichen (shutterstock)

Es gibt Priester, die unverhohlen zugeben, für Franziskus' Tod zu beten. Im Internet wird gegen den Papst gepöbelt, eine Gruppe konservativer Theologen wirft ihm Häresie vor, der ehemalige Nuntius in den USA forderte sogar seinen Rücktritt: Kein Pontifex der Neuzeit wurde je so respektlos von Teilen der Öffentlichkeit und seinem eigenen Klerus behandelt. Warum schlägt ausgerechnet dem, der Nächstenliebe und eine barmherzige Kirche predigt, so viel Hass entgegen?

Dieser Frage geht der Vatikanjournalist Marco Politi in seinem neuen Buch "Das Franziskus-Komplott. Der einsame Papst und sein Kampf um die Kirche" nach. Eine Erklärung findet Politi in gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, die zunehmend nationalpopulistische Politiker an die Macht spülen: In den USA geht US-Präsident Trump auf Kollisionskurs zum Schutz der Umwelt und der Hilfe für Migranten. In Italien beruft sich der Politiker Matteo Salvini auf die Gottesmutter, Johannes Paul II. und Benedikt XVI., um die Stimmung anzuheizen. In Brasilien ordnet Präsident Jair Bolsonaro den Schutz von Schöpfung und Indigenen dem Primat der Wirtschaft unter: Franziskus' soziale Botschaften, stellt Politi fest, werden von zunehmendem Hass und Ausgrenzung an den Rand gedrängt.

Aufweichung konfessioneller Grenzen

Doch der eigentliche Konflikt tobt hinter den vatikanischen Mauern, der Vatikankenner Marco Politi schreibt von einem "unterirdischen Bürgerkrieg über dogmatische und pastorale Fragen". Mit seinem Einsatz für Flüchtlinge und Klimaschutz, seiner Toleranz gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexuellen sowie seinen Bemühungen um den interreligiösen Dialog weicht Papst Franziskus aus Sicht Konservativer die konfessionellen Grenzen und die Doktrin der Kirche auf. An die Spitze seiner Kritiker haben sich Kardinäle wie der frühere Leiter der Römischen Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller oder Walter Brandmüller gestellt.

Papst Franziskus hingegen will den Umbruch. Er versteht Kirche nicht mehr als Monarchie, sondern als Gemeinschaft. Er kritisiert Klerikalismus und Privilegien, sein Gottesbild ist nicht das des obersten Richters, sondern er sieht in Gott den barmherzigen Vater aller Menschen, auch der Nicht-Christen. "Das ist revolutionär", sagt der Vatikan-Experte Politi im DOMRADIO.DE-Interview, "aber es verstört auch Teile der Kirche."

Widerstand und Sabotage

Und die reagieren mit passivem Widerstand, lassen Ideen aus Rom ins Leere laufen oder versuchen gezielt, den Papst zu delegitimieren: Der frühere Papstbotschafter in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò sorgte 2018 mit seinen Rücktrittsforderungen an Franziskus für Aufsehen. Und als Franziskus 2018 nach Chile reiste, ließen ihn seine eigenen Leute bewusst im Unklaren über die Missbrauchsfälle dort: Der chilenische Bischof Juan Barros soll dort Jahre lang Missbrauch durch einen Priester vertuscht haben. Trotzdem nahm Franziskus ihn lange öffentlich in Schutz, es gebe keine Beweise, reagierte er damals fast trotzig. Politi ist überzeugt: "Er wurde belogen. Besonders peinlich war, dass auch im Kardinalsrat K9 mit Francisco Errázuriz ein chilenischer Kardinal saß, der den Papst nicht aufgeklärt hatte, das kam dann später raus."

Der Journalist Marco Politi hat 20 Jahre lang für die italienische Tageszeitung "La Repubblica" aus dem Vatikan berichtet; er hat gute Verbindungen in die Kurie, aber auch zu den vielen Engagierten an der Basis. Und die – auch das legt er in seinem Buch dar – sind frustriert. "Nie hat er ein freundliches Wort für uns", zitiert er einen Geistlichen aus den Abruzzen. Er und seine Amtskollegen seien durch Franziskus' ständige Kurienschelte und angesichts zunehmender Aufgaben und Herausforderungen in den Pfarreien orientierungslos. Auch ein Papst macht nicht alles richtig.

Sympathie für Franziskus

"Das Franziskus-Komplott. Der einsame Papst und sein Kampf um die Kirche" ist ein lesenswertes Buch, das die Konfliktlinien innerhalb der Kirche aufzeigt, aber auch erklärt, wie gesamtgesellschaftliches und ein innerkirchliches Klima sich gegenseitig beeinflussen. Zwischen den Zeilen liest man durchaus eine Sympathie des Autors für Papst Franziskus heraus. "Franziskus ist eine große Persönlichkeit, manchmal ist er ein Revolutionär", sagt Politi. Aber ist er auch in der Lage, die katholische Kirche aus der Krise zu führen?

Der Papst hat viele Reformen angeschoben, auch das ist in dem Buch nachzulesen: Er hat bei der Vatikanbank aufgeräumt; undurchsichtige Geldtransfers mit besten Kontakten zur Mafia wurden gestoppt. Er baut den Rom-Zentralismus ab, nationale Bischofskonferenzen, Ortsbischöfe und Priester haben nun mehr Kompetenzen. Und beim Thema Missbrauch will er Aufklärung und Transparenz vorantreiben. Nicht alle in seiner Kirche ziehen da mit. Ähnlich wie bei der Amazonas-Synode, als die Möglichkeit von "viri probati", also von geweihten, verheirateten Männern diskutiert wurde, gibt es eine einflussreiche Opposition. Der Druck und die Angst vor einer Spaltung seiner Kirche sorgten am Ende dafür, dass er Papst dieses Themen auszuklammerte. Davon ist Politi überzeugt.

"Aber er hat die Debatte zugelassen, er bringt Vieles auf den Weg", sagt der Autor. "Er ist wie ein Bauer, der aussäht." Die Ernte werde er nicht mehr einbringen, dafür sei ein Pontifikat zu kurz. Und ob die Saat aufgeht und Frucht trägt, hänge auch nicht allein von seinem Nachfolger ab, sondern von jedem einzelnen Gläubigen.

Marco Politi: „Das Franziskus-Komplott. Der einsame Papst und sein Kampf um die Kirche.“ Herder Verlag, 24 Euro


Buchcover: "Das Franziskus-Komplott" (HERDER)
Buchcover: "Das Franziskus-Komplott" / ( HERDER )

Marco Politi, Journalist und Vatikanexperte (privat)
Marco Politi, Journalist und Vatikanexperte / ( privat )
Quelle:
DR