Wie kommt das Papstschreiben "Christus vivit" bei der Jugend an?

Ermutigendes Papier mit fehlenden Themen

"Er hat sehr gut zugehört und die verschiedenen Stimmen erkennbar gemacht". Das ist der Eindruck von Regina Laudage-Kleeberg, Leiterin der Abteilung Jugend im Bistum Essen, über das Papstschreiben "Christus vivit". Dennoch fehlen wichtige Themen.

Papst Franziskus mit Jugendlichen / © Cristian Gennari (KNA)
Papst Franziskus mit Jugendlichen / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Gelingt es Franziskus, den Jugendlichen Mut zu machen?

Regina Laudage-Kleeberg (Leiterin der Abteilung Kinder, Jugend und junge Erwachsene im Bischöflichen Generalvikariat Essen): Das hat er geschafft, ehrlich gesagt. Die jungen Menschen haben 77 Seiten vor sich, da müssen sie sich erst mal ein bisschen durchkämpfen. Er hat eine zentrale Sache gemacht, die ich besonders wichtig finde: Er hat diese ganz große Verschiedenheit im Jugendbereich sichtbar gemacht.

Es gibt nicht die Jugend, sondern ganz viele, sehr unterschiedliche junge Menschen. Das ist sichtbar in dem Papier. Er hat sehr gut zugehört und die ganz verschiedenen Stimmen in seinem Schreiben erkennbar gemacht.

DOMRADIO.DE: Auch auf Liebe und Partnerschaft geht der Papst in diesem Schreiben ein, Homosexualität allerdings klammert er komplett aus. Wie sehen Sie das?

Laudage-Kleeberg: Auf jeden Fall halte ich das für ein großes Versäumnis. An einer Stelle sagt er, junge Menschen entfernen sich in vielen Stellen von der Kirche, vor allen Dingen aufgrund ihrer Sexualmoral. Das befremdet sie.

Sie fordern eine Klärung in Bezug auf verschiedene Themen in diesem Bereich, Identität von Mann und Frau – was ist der Unterschied? Aber eben auch Homosexualität. Das stellt er hin und dann passiert nichts. Dann kommt das nächste Thema.

DOMRADIO.DE: Im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch taucht dann der Ratschlag auf, Jugendliche sollten einen Priester ansprechen, wenn sie den Eindruck haben, dass er zu Übergriffen neigt. Was haben Sie spontan gedacht, als Sie das gelesen haben?

Laudage-Kleeberg: Ich habe mir an den Kopf geschlagen. Sie müssen sich das mal bildlich vorstellen. Das nicht ja so wie wenn ich jemanden sehe, der gerade eine Banane klaut und sagt "Hör mal zu, das ist aber wider dessen, was du eigentlich versprochen hast". Wenn ich wahrnehmen würde, dass jemand zu Übergriffen, zu sexualisierter Gewalt neigt oder schon etwas getan hat und ich stelle das fest, dann soll ich ihn bitte daran erinnern, dass er eine Verpflichtung gegenüber Gott und der Kirche hat. Das kann mir keiner erzählen, dass das jemand macht. Da steht dann, man soll ihm das Evangelium predigen und das ist alles sehr gut gemeint.

Ich glaube, der Papst meint es bestimmt gut. Aber das ist jenseits aller Realität. Die Person, die sowas feststellt, hat in der Regel entweder selbst eine Betroffenheit oder ist zutiefst betroffen, weil jemand, den sie kennt möglicherweise übergriffig geworden ist. Dann soll ich hingehen und sagen: "Entschuldigen Sie bitte, Sie kommen Ihrer Verpflichtung gegenüber Gott und der Kirche nicht nach". Das ist völlig unrealistisch.

DOMRADIO.DE: Können Sie das irgendwie erklären, wie der Papst zu seinem Ratschlag kommt? Ist er da falsch beraten oder woran liegt das?

Laudage-Kleeberg: Ich glaube, das ist zutiefst seine Glaubens- und Werterhaltung. Er wird das nicht böse meinen. Er hat drumherum viel gesagt, es muss viel zu Prävention passieren. Er hat sich auch sehr deutlich geäußert, nicht konkret, aber sehr deutlich. In seiner Geisteshaltung geht das über den Glauben. Er wird an einer Stelle später nämlich ganz göttlich und sagt Gott und Jesus Christus werden uns die Erneuerung in der Kirche schenken. Was nicht passiert ist das, was wir hier in Deutschland fordern - die realistischen und konkreten Veränderungen von Handlungen durch Verantwortliche in der Kirche. Es wird um die Hilfe Gottes gebeten. Deshalb wundere ich mich auch nicht, dass er sagt, andere auf Verpflichtungen gegenüber Gott und Kirche anzusprechen.

DOMRADIO.DE: Nochmal zurück. Die Jugendlichen sollen die Hauptdarsteller ihres eigenen Lebens und auch der Kirche sein, so heißt es in dem Schreiben. Kommt das bei den Jugendlichen an oder sind das Worte, die verhallen?

Laudage-Kleeberg: Ich weiß nicht, ob Sie in ihrer Jugendzeit so 77-seitige vatikanische Papiere gelesen haben. Ich finde das Format ist für vatikanische Verhältnisse schon sehr jung, angenehm und frisch. Aber für die tatsächliche Zielgruppe meines Erachtens völlig fehl am Platz. Dennoch, wenn man sich durchschlägt, dann ist da ganz viel Tolles drin. Wir haben das als Postkartensprüche aufgezogen, manche junge Leute sammeln ja Postkartensprüche. Da sind ganz viele sehr schöne ermutigende Sachen drin, beispielsweise "Das Herz eines jungen Menschen ist heiliger Boden". Die Erwachsenen sollen also bitte die Schuhe ausziehen.

Es gibt sehr viel Ermutigung und viel Zusage: Triff deine Entscheidungen, entwickle dich, lasse dich von Menschen begleiten. Das ist eine große Einladung zum Glauben, das ist schon toll. Da ist ganz viel Starkes drin, auch sehr viel Ausgewogenes. Das ist gut.

DOMRADIO.DE: Man muss es einfach nur ein bisschen übersetzen, oder wie kommt es bei den Jugendlichen an?

Laudage-Kleeberg: Ja, und zwar sehr ordentlich. Die Übersetzungsleistung ist jetzt das "To Do" für uns Leute, die im Jugendbereich handeln.

DOMRADIO.DE: Nochmal unterm Strich, was bringt das Papier für die Arbeit mit jungen Leuten?

Laudage-Kleeberg: Für uns bringt das sehr viel, weil es bestätigt, von dem was wir tun. Der Papst hat gesagt, es gibt zwei zentrale Handlungslinien für Jugendpastoral: zum einen die Suche nach Gott, zum anderen die Begleitung bei jungen Menschen, sich zu entwickeln und die eigene Identität zu klären. Genau das tun wir. Insofern ist das eine ganz große Bestätigung und Ermutigung für das, was wir tun.


Regina Laudage-Kleeberg / © Nicole Cronauge  (Bistum Essen)
Regina Laudage-Kleeberg / © Nicole Cronauge ( Bistum Essen )
Quelle:
DR
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