Papst wird zur veganen Ernährung in der Fastenzeit gelockt

"Eine wunderbare Zeit für einen Kurswechsel"

Sich als Papst vegan ernähren und kleiden – zumindest in der Fastenzeit: Das ist die Versuchung, mit der die Kampagne "Million Dollar Vegan" an Papst Franziskus herangetreten ist. Eine phantastische Idee, findet der Theologe Rainer Hagencord.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Was haben Sie gedacht, als Sie von der Idee gehört haben?

Dr. Rainer Hagencord (Institut für theologische Zoologie): Es war ein großes Erstaunen und eine wirklich tiefe Bewegtheit. Ich sah das junge Mädchen, das auf dieser Zeitungsanzeige nach oben schaut. Und oben drüber Eure Heiligkeit, Papst Franziskus. Da dachte ich, das hat was mit der Aktion Friday for Future zu tun. Es ist offenbar viel Bewegung bei den jungen Leuten - Gott sei Dank.

Und dann sah ich den Untertitel: "Million Dollar Vegan". Dann habe ich fast atemlos gelesen. Ich war und bin weiterhin hellauf begeistert, dass da - wieder mal, muss ich leider sagen, in einem großen säkularen Kontext und nicht in einem kirchlichen Kontext - die Enzyklika des Papstes sehr ernst genommen wird. Der Papst redet an vielen Stellen vom Eigenwert der anderen Geschöpfe und verurteilt eine jede Verzweckung vom Leben. Das hat diese Organisation im Blick auf industrielle Tierhaltung sehr ernst genommen. Sie wenden sich nun an den Autor und der soll - das finde ich wirklich sehr angemessen - mit gutem Beispiel vorangehen und jetzt mal 40 Tage vegan leben.

DOMRADIO.DE: Das heißt, dass diese Kampagne diese Anfrage nach einem veganen Leben in der Fastenzeit genau an diesen Papst stellt, ist eine sinnvolle Sache, oder?

Hagencord: Im Jahr 2015 ist dieses Lehrschreiben als erste Schöpfungs-Enzyklika gefeiert worden. Auch der Münsteraner Bischof hat von einem Paukenschlag gesprochen, was sie auch ist. Der Papst hat in vielerlei Hinsicht mit dieser Enzyklika so etwas wie einen Paradigmenwechsel beschrieben.

Der erste Paradigmenwechsel besteht darin, dass er sagt: Kümmert euch endlich um die Schöpfung und nicht immer nur um das Heil des Menschen. Bei aller Wertschätzung: Die Kirche redet sehr viel von der Erlösung und der Erlösung des Menschen und seiner unsterblichen Seele. Sie redet viel weniger von der Schöpfung und davon, wie die Schöpfung leidet und schreit. Und das müsste sie tun - in Folge der Bibel und der paulinischen Schöpfungstheologie, wonach die ganze Schöpfung auf die Erlösung wartet. Das war der erste Paukenschlag: Kümmert euch endlich um Schwester Erde, die, wie er es sagt, "schreit".

Der zweite Paradigmenwechsel war, dass der Papst sagte: Wir können als Kirche und Theologie nur noch angemessen von der Schöpfung reden, wenn wir ökologische und politische Dimensionen in den Blick nehmen. Wir haben keinen Absolutheitsanspruch mehr, wenn wir über Menschen, Tiere, Pflanzen und den Planeten reden. Also hört endlich zu, was die Wissenschaften sagen.

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns mal bei den Wissenschaften bleiben. Also: Pflanzliche Ernährung kann dazu beitragen, den angerichteten Schaden an unserem Planeten rückgängig zu machen. Das ist eine der Thesen, die diese Initiative hat. Inwieweit stimmt das?

Hagencord: Wenn man sich tatsächlich auf ein Gutachten beruft, findet man immer solche und solche Aussagen. Wenn ich nochmal den Anfang dieses Aufrufs anschaue, dann fängt der Aufruf mit Fakten an, an denen man überhaupt nicht mehr vorbeikommt. Es werden nämlich tatsächlich 38 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für industrielle Tierhaltung genutzt, also für Soja und all diese Produkte, von denen Menschen leben könnten, die aber allesamt verfüttert werden.

Es werden nur noch 18 Prozent der Kalorien den Menschen zugeführt. Alles andere geht in die Massentierhaltung. Und wenn man sich allein auf diese Fakten beruft und dann die anderen Fakten dazu legt - nämlich, was in unseren Tierfabriken geschieht und wie viele Tiere täglich geschlachtet werden - dann braucht man keine Gutachten mehr, um festzustellen, dass das eine totale Verzweckung der Tiere ist. Und zwar auf Kosten der Armen und des Klimas.

DOMRADIO.DE: Der Leiter von "Millionen Dollar Vegan" sagt, man wolle unter anderem den Papst bitten, sich während der Fastenzeit vegan zu ernähren, um ein Beispiel dafür zu sein, wie jeder von uns Werte wie Mitgefühl und Fürsorge mit seinem Tun in Einklang bringen kann. Beispiel und Vorbild sein für die Menschen steht einem Kirchenoberhaupt ganz gut an. Meinen Sie, der Papst könnte, wenn er das jetzt wirklich mitmachen wollte, das einfach so beschließen? Oder muss er die ganze Vatikan-Küche mit einbeziehen?

Hagencord: Rein kirchenrechtlich ist er das Oberhaupt und als solches kann er das wahrscheinlich verfügen. Ich schätze ihn aber nicht so ein. Unabhängig davon ist es auch so schon ein enormes Zeichen an alle, die in der Kirche Verantwortung tragen. Da haben wir tatsächlich eine andere Form von Macht, die ins Spiel kommt.

Wenn ich das alleine hier im Bistum Münster bedenke: Wie viele Kantinen sind hier in kirchlicher Trägerschaft? In all den Krankenhäusern, Altenheimen und Kindergärten. Und wenn ein Bistum sagt: Wir werden hier kein Billigfleisch mehr kaufen, sondern mit all den Landwirten und Landwirtinnen kooperieren, die vernünftig mit ihren Tieren umgehen, dann sind wir noch immer nicht bei einer veganen Ernährung.

Das ist vielleicht der nächste Schritt. Aber, wenn man schon mal so weit käme, dass die Kirchen sagen würden: Kein Billigfleisch mehr. Keine industrielle Tierhaltung mehr auf Kirchenland. Dann wäre das ein riesiger Schritt. Dazu wäre doch die Fastenzeit wirklich eine wunderbare Zeit für einen Kurswechsel.

DOMRADIO.DE: Leben Sie vegan?

Hagencord: Noch nicht. Aber ich werde das tun. Spätestens ab dem ersten Fastensonntag.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello
Dr. Rainer Hagencord / © Michele Cappiello
Quelle:
DR