Alterzbischof zum Papstbesuch in Litauen

"Worte des Papstes können Hoffnung wecken"

Sigitas Tamkevičius wurde als junger Priester vom Sowjetregime verfolgt und war später Erzbischof von Kaunas in Litauen. Wie steht es um die litauische Kirche und wird es mit dem Papstbesuch einen "Franziskus-Effekt" geben?

Erzbischof Sigitas Tamkevičius SJ  / © Markus Nowak (Markus Nowak)
Erzbischof Sigitas Tamkevičius SJ / © Markus Nowak ( Markus Nowak )

Markus Nowak (Journalist): Papst Franziskus reist am 22. September nach Litauen und wird am 23. einen großen Gottesdienst in Kaunas, ihrem Erzbistum, halten. Welche Erwartungen haben die Litauer an den Papstbesuch?

Erzbischof em. Sigitas Tamkevičius: Als Johannes Paul II. vor 25 Jahren Litauen besuchte, hat er unserem Volk Anerkennung ausgesprochen für die Ausdauer, die wir in der Sowjetzeit gezeigt haben. Zugleich hat er uns auch Wege in die Zukunft gewiesen. Mittlerweile haben wir mehr als 25 Jahre in Freiheit gelebt und erwarten nun Papst Franziskus. Vielleicht wird er ansprechen, was wir in dieser Zeit hätten noch mehr machen sollen.

Nowak: Was könnte das sein?

Tamkevičius: In den 25 Jahren haben wir zwar viel erreicht; es wurden viele kirchliche Strukturen geschaffen. Auch wurde viel im Ausbildungsbereich gemacht, etwa 25 Prozent der Schüler besucht zum Beispiel den Religionsunterricht. Uns bereitet aber die Situation der Berufungen Sorge. Den Rückgang von Seminaristen, den wir vor 25 Jahren in den westlichen Staaten gesehen haben, erleben wir nun auch bei uns in Litauen. Die Freiheit hat sehr viel Positives mit sich gebracht, aber nicht immer konnten wir sie verantwortlich ausnutzen. Ein Teil der Gesellschaft etwa ist mit dem politischen Leben unzufrieden.

Tamkevičius: Der Papst könnte sich an die litauische Jugend wenden. Weil viele junge Menschen emigrieren auf der Suche nach einem besseren Leben. Der Papst könnte sie ermuntern, hier zu bleiben und hier etwas aufbauen.

Nowak: Der von Ihnen erwähnte Besuch von Johannes Paul II. 1993 hat dem religiösen Leben in allen baltischen Ländern einen neuen Schwung gegeben. Wird es auch so einen "Franziskus-Effekt" geben?

Tamkevičius: Der Papstbesuch wird vielleicht nichts Revolutionäres auslösen. Aber es kann schon eine neue religiöse Stärkung geben, die vielleicht nach einiger Zeit wieder abflacht. Die Worte des Papstes können aber auch Einfluss auf uns Geistliche und Priester haben, etwa mehr darum zu werben, dass sich junge Männer für ein geistliches Leben interessieren. Das würde dann wirkliche tiefe Spuren hinterlassen. 

Nowak: Papst Franziskus fordert immer wieder auf, zu den Rändern zu gehen…

Tamkevičius: …wir sind geografisch gesehen am Rande Europas. Zudem gibt es in Litauen einen nicht kleinen Teil der Gesellschaft, der wegen sozialer Probleme am Rande der Gesellschaft steht. Wenn die Worte des Papstes in diesen Menschen Hoffnung wecken, dann ist sein Ziel erreicht. Franziskus versteht das.

Nowak: Die Kirche wurde durch das Sowjetsystem unterdrückt und sie gelten als Symbolfigur für den Widerstand der Kirche. Wie beurteilen Sie die heutige Lage der Kirche in Litauen?

Tamkevičius: Die 50 Besatzungsjahre der Sowjetzeit hat die Kirche mit Verlusten hingenommen, aber auch eine gesellschaftliche Kraft erlebt. Denn als Opposition gegen das Regime stand sie ein für die Freiheit. Für eine Gewissens- und die politische Freiheit. Durch diesen Widerstand hat die Kirche Autorität gewonnen und geistige Kraft geschöpft. Und so begründen heute viele Ihren Einfluss auf große Teile der Gesellschaft. 

Nowak: Sie haben die "litauische Kirchenchronik" mitbegründet und darin die Verbrechen der Sowjetzeit erfasst. Könnten Sie sich jemals wieder eine solche Zeit vorstellen, in der  eine ähnliche Publikation erforderlich wäre?

Tamkevičius: Ich kann mir eine solche Situation vorstellen, dass das kirchliche und das geistliche Leben durch die Säkularisierung unter Druck gerät. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir eine ähnliche Untergrundarbeit brauchen werden, wie sie in der Sowjetzeit nötig war. Ich glaube, die Säkularisierung wird nicht so weit gehen, dass die Kirche jemals aus dem Untergrund sprechen müsste.


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