Italien erlebt niedergeschlagene Feiertage

​Ferragosto und die Katastrophe von Genua

​Es sind die italienischsten aller Feiertage: Ferragosto - die Tage um den 15. August. Geschockt vom Einsturz der Autobahnbrücke in Genua erlebt Italien in diesem Jahr weniger Sommerfrische, dafür Trauer und Empörung.

Autor/in:
Roland Juchem
Brückeneinsturz in Genua: Blumen zum Gedenken an die Opfer / © Fabian Nitschmann (dpa)
Brückeneinsturz in Genua: Blumen zum Gedenken an die Opfer / © Fabian Nitschmann ( dpa )

Verunsichert sind viele Menschen in Italien schon länger. Der Einsturz der Brücke in Genua versetzt dem Land nun einen Schock. "Eine Tragödie, durch die wir alle angefragt sind", sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte am Dienstag am Unglücksort. Tags drauf gedachte auch Papst Franziskus der Opfer.

Dass am Mittwoch unweit von Bologna binnen weniger Wochen zum zweiten Mal ein Lastwagen Feuer fing - beim ersten Mal war infolge der Hitzeentwicklung eine kleinere Brücke eingestürzt -, dass in der Nacht auf den 15. August in Mittelitalien wieder einmal die Erde bebte - all das verstärkt den betrüblichen Ferragosto 2018.

"Verletzt, aber nicht gebrochen"

Nicht ohne Grund bemühte sich Genuas Erzbischof, Kardinal Angelo Bagnasco, in seiner ersten Reaktion nach dem Unglück auch Mut zu machen. "Genua ist durch diese Tragödie verletzt worden, aber nicht gebrochen", sagte er und erinnerte an frühere Hochwasserkatastrophen und Erdrutsche. In den Pfarreien rund um den Unglücksort bemüht man sich, Opfern und Einsatzkräften zur Seite zu stehen und sucht nach Unterkünften für jene, deren Häuser aus Sicherheitsgründen evakuiert wurden.

Die Autobahnbrücke, die rund drei Dutzend Pkw und drei Lkw mit sich in die Tiefe riss, führte in 45 Metern Höhe über ein Bahngelände, ein Gewerbe- und Wohngebiet sowie einen kleinen Fluss. Sie war die wichtigste Ost-West-Verbindung in der an steilen Berghängen gelegenen, traditionsreichen Hafenstadt. Gleichzeitig ist die Autobahn A10 eine wichtige Verkehrsader für den Straßenverkehr aus Süd- und Mittelitalien nach Frankreich an die Cote d'Azur.

Suche nach Verantwortlichen

Als die nach ihrem Konstrukteur benannte "Ponte Morandi" Mitte der 1960er Jahre gebaut wurde, erhielt sie wegen ihrer eigenwilligen Konstruktion mit 90 Meter hohen Pylonen den Beinamen "Brooklyn Bridge von Genua". Doch Medienberichten zufolge hatte es immer wieder Kritik am Zustand der Brücke gegeben, zuletzt 2016. Zudem gab es ständig Reparaturarbeiten.

Politiker fordern nun eine schnelle Suche nach Verantwortlichen. Genuas Staatsanwaltschaft kündigte eine Untersuchung an. Italiens Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega Nord nutzte den Vorfall zum Seitenhieb gegen die EU. Eine sichere Infrastruktur für die Italiener sei doch wichtiger als Zahlungsverpflichtungen an die EU oder deren Haushaltsvorgaben. Dabei gab es gerade beim nationalen Koalitionspartner "Fünf Sterne" Widerstand gegen teure Infrastrukturprojekte, etwa gegen eine seit langem geplante, aufwendige Stadtumgehung an den Berghängen hoch über Genua.

"Recht auf moderne Infrastruktur"

Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella sprach in seiner Erklärung "von einem Moment gemeinsamer Anstrengung". Die Italiener hätten "das Recht auf eine moderne und effiziente Infrastruktur". Keine Autorität werde sich einer Untersuchung ihrer Verantwortung entziehen können.

Das verlangten die Familien der Opfer, das verlange die schwer gezeichnete Gemeinde, das verlange das nationale Gewissen. Unter den bisher 39 Toten sind dem Sender RaiNews zufolge Arbeiter und Pendler sowie italienische und französische Touristen. Als am Dienstagmittag über Genua ein heftiges Gewitter niederging und sie über die Brücke fuhren, wollten einige sich etwa nach Sardinien einschiffen. Ferragosto, Mariä Himmelfahrt, der wichtigste italienische Feiertag, wird traditionell gerne am Meer verbracht.

Trauer und Zweifel

Ferragosto wird auf Kaiser Augustus zurückgeführt, der im Jahr 18 vor Christus die "Feriae Augusti" einführte - zur Erholung nach der Sommerernte. Später besetzte die Kirche das heidnische Fest mit dem der Aufnahme Mariens in den Himmel und verschob das Datum von Anfang August auf den 15. des Monats. Der Brauch, an diesem Tag aus den Städten aufs Land zu fahren, verdankt sich allerdings einer Initiative der italienischen Faschisten. Sie führten in den 1920er Jahren ermäßigte Zugtickets ein, mittels derer die Italiener die Schönheit ihres "bel paese" erkunden können sollten.

In diesem Jahr wird die Ausflugslust der Italiener überschattet von der Trauer über die Opfer von Genua sowie Zweifeln über den Zustand der Brücken, Tunnel und Bahngleise im Land. Und um Genua werden Reisende allein aus verkehrstechnischen Gründen einen weiten Bogen machen müssen.


Autobahnbrücke in Genua eingestürzt / © Luca Zennaro (dpa)
Autobahnbrücke in Genua eingestürzt / © Luca Zennaro ( dpa )
Quelle:
KNA