Papstbesuch bei Chiles Ureinwohnern - eine Gratwanderung

Langer Kampf der Mapuche um Lobby, Land und Rechte

Die Ureinwohner in Chiles Süden machen nur dann Schlagzeilen, wenn es um Straßenblockaden und Brandstiftung geht. Dabei will die indigene Minderheit eigentlich nur eins: ihre ureigenen Rechte zurück.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Zwei Demonstranten mit Mapuche-Fahnen / © Esteban Felix (dpa)
Zwei Demonstranten mit Mapuche-Fahnen / © Esteban Felix ( dpa )

Wenn Papst Franziskus an diesem Mittwoch Temuco im Süden Chiles besucht, stehen auf seinem Programm auch die Probleme der indigenen Mapuche. Temuco ist Mapuche-Land.

Schon seit Jahren - und auch und besonders in den vergangenen Tagen - sind die Mapuche immer wieder in den Schlagzeilen: mit Hungerstreiks, Straßenblockaden und einzelnen gewalttätigen Aktionen - ihren verzweifelten Waffen gegen die Entrechtung. Waffen, gegen die die chilenischen Behörden in früheren Jahren immer noch schärfere

bereithielten: die Anwendung von Gesetzen zur Terrorbekämpfung; Verhaftungen ohne Begründung, Zulassung anonymer Zeugenaussagen, Aburteilung durch Militärgerichte. Die Extreme einer seit 150 Jahren anhaltenden Unterdrückung und Diskriminierung.

Historische Unrecht entschuldigt

Chiles linke Staatspräsidentin Michelle Bachelet hat sich zwar erst vor kurzem für das historische Unrecht entschuldigt, das den Mapuche in der jüngsten Geschichte widerfahren sei. Doch ein gesellschaftlicher Dialog darüber kommt nicht in Gang - und erst recht keine rechtlichen Maßnahmen, die Unrecht wiedergutmachen würden.

Sozial zählen die Mapuche in Chile zum ärmsten und am wenigsten gebildeten Teil der Bevölkerung. Schätzungen zufolge gibt es noch rund 600.000 Mapuche im Süden Chiles. Hunderttausende weitere leben größtenteils kulturell entwurzelt in der Hauptstadt Santiago. Nur noch 10 bis 15 Prozent sprechen aktiv ihre traditionelle Sprache.

Widerstand fließt durch die Adern

Bei den Mapuche fließt der Widerstand buchstäblich durch die Adern. Sie waren das einzige indigene Volk, das der spanischen Eroberung dauerhaft standhielt und der Krone einen Status quo abrang. In den 1860er Jahren begann die Entrechtung: Einmarsch der chilenischen Armee, Enteignung, Niedergang der eigenen Traditionen und Sprache, des Mapudungun. Erst seit einigen Jahren beginnt eine Neubesinnung auf die eigene Kultur und Identität.

Den Ureinwohnern werde ihre Lebensgrundlage geraubt, warnt die Länderreferentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Margit Wichelmann. Die Mehrheit des Volkes wolle mit ihrer Religion, mit ihrer Kultur und ihrer Weltsicht als Teil des chilenischen Volkes akzeptiert werden. Allzu oft würden sie aber auf den Status eines "Folklore-Volkes" reduziert.

Das Wasser in den Bächen

Die Rechtsgrundlagen des Landkonflikts sind über die Jahrzehnte sehr komplex geworden. Da gibt es auswärtige Siedler und Großgrundbesitzer, unter Salvador Allende Anfang der 1970er Jahre ihrerseits enteignet und entschädigt; Großunternehmen; die öffentliche Hand: Viele nach chilenischen Gesetzen durchaus legale Ansprüche konkurrieren mit denen der Mapuche.

Die Ureinwohner dürfen nicht mal mehr Wasser aus den Bächen entnehmen, die durch ihr Land fließen; denn fast alle Wasserrechte wurden während der Pinochet-Diktatur (1973-1990) an Konzerne vergeben. "Demnächst werden sie auch noch die Luft privatisieren", schimpfen die Mapuche.

Der Flughafen in berüchtigtes Folterzentrum

Auch der Militärflughafen Maquehue, auf dessen Gelände am Mittwoch eine große Messe mit Papst Franziskus gefeiert wird, war einst Mapuche-Land. Doppelt schlimm: Der Flughafen war zu Diktaturzeiten ein berüchtigtes Folterzentrum. Kein gerade vertrauenerweckendes Signal. Dabei hat sich die katholische Kirche, einst treue Begleiterin der spanischen Staatsmacht, im Menschenrechtskonflikt seit langem deutlich auf die Seite der Mapuche gestellt.

Kirchenmitarbeiter sind wichtige Vertrauens- und Gewährsleute für die Indigenen - und haben ihrerseits teils dicke Polizeiakten, weil sie in Kontakt mit potenziellen "Terroristen" stehen.

Aggressionen gegen katholische Gotteshäuser

Viele der Aggressionen radikaler Mapuche richtete sich zuletzt freilich gerade auch gegen katholische Gotteshäuser. Die Kirche stecke mit Politik und Polizei unter einer Decke, hieß es. Vertreter indigener Organisationen kritisierten auch den Bischof von Temuco, Hector Vargas, weil sich dieser einem direkten Dialog über die Papstmesse auf der Militärbasis Maquehue entzogen habe.

Chiles Primas Kardinal Ricardo Ezzati sagt: "Die Mapuche-Kultur hat zwei Herzen: das der Harmonie mit der Natur - und das der Radikalisierung." Es sei ein politischer Irrtum, wenn der Staat immer nur auf die gewaltbereite Seite reagiere.

Rund um die junge Generation

Bis heute ist es schwer in Chile, als Indigener ein positives Selbstwertgefühl zu gewinnen und auch an die nächste Generation weiterzuvermitteln. Viele aus der Elterngeneration haben nicht mehr die Sprache ihrer Vorfahren gelernt; zu groß war die Angst, dann nicht richtig Spanisch, die offizielle Landessprache, zu sprechen.

Nur wenige der jungen Generation hielten sich an ihre Großeltern - und eroberten sich bis heute allmählich ihre eigene Kultur und Sprache zurück. Doch das neu gekeimte Pflänzchen einer Mapuche-Renaissance ist auf vielfache Weise bedroht. Nicht nur durch die hispanische Leitkultur, sondern auch durch die Mainstream-Verheißungen der Parallelwelten von Handy und sogenannten Sozialen Netzwerken.


Papst Franziskus beim Gottesdienst zum Fest der Taufe Jesu / © Osservatore Romano (KNA)
Papst Franziskus beim Gottesdienst zum Fest der Taufe Jesu / © Osservatore Romano ( KNA )
Quelle:
KNA