Theologe: Papst Franziskus ist gefährlichster IS-Gegner

Friedfertige Worte

So jemanden wie Papst Franziskus darf es aus Sicht des IS nicht geben, sagt der Theologe Klaus von Stosch. Wiederholt warnt der Papst nämlich davor, den Islam mit Gewalt gleichzusetzen. Bester Beitrag zur Terrorprävention.

Papst Franziskus mit einem Muslim und einem Juden / © Tony Gentile (dpa)
Papst Franziskus mit einem Muslim und einem Juden / © Tony Gentile ( dpa )

KNA: Herr Professor von Stosch, Papst Franziskus verwahrt sich ausdrücklich gegen eine Gleichsetzung von Islam und Gewalt. Wie bewerten Sie diese Aussagen, auch aus den Erfahrungen Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?

Stosch: Ich fühle mich dadurch bestätigt und ermutigt. In meiner vergleichenden Arbeit erkenne ich deutlich, dass der Koran kein größeres Gewaltpotenzial enthält als die Bibel. Alle Heiligen Schriften enthalten auch Passagen, die man zur Rechtfertigung von Gewalt missbrauchen kann. Und alle Religionen sind aufgerufen, ihre Schriften so auszulegen, dass dieses Potenzial befriedet wird.

KNA: Dennoch stellt sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" selbst als Gruppe gläubiger Muslime dar, die Christen hassen und ihre Auffassung des Islam verbreiten - auch mit Gewalt. Ist es da nicht naiv, den Islam für so friedfertig zu halten?

Stosch: Wenn sich der Papst weigert, den Islam mit Hass und Gewalt gleichzusetzen, ist er nicht naiv, sondern er sieht voller Realismus und Klarheit, dass die große Mehrheit der Muslime ihren Glauben friedlich lebt und sich mit Christen solidarisch verbunden weiß. Wir dürfen uns von der Ideologie des IS nicht den Blick auf die Welt des Islam diktieren lassen. Die meisten Anhänger dieser Terrormiliz wissen so gut wie nichts über den Islam und sind erst sehr spät und unter fragwürdigen Umständen zum Glauben gekommen. Sie hassen nichts so sehr wie die Tradition ihrer eigenen Religion. Ihre Terrorakte treffen deshalb bis heute viel häufiger Muslime als Christen oder säkulare Menschen.

KNA: Viele Islamisten berufen sich auf bestimmte Koransuren und interpretieren das politische Handeln des Propheten als direkte Anleitung für ihre Taten. Ist das nach Ihren Forschungen über den Koran gedeckt?

Stosch: Es gibt im Koran tatsächlich Aufrufe zur Gewalt. Wir haben in unseren Forschungen lange und intensiv an diesen Stellen gearbeitet und sind auch immer noch nicht mit ihnen fertig. Sie sind aus moderner Sicht tatsächlich problematisch - wie manche Bibelstellen auch. Immerhin kann man aber so viel sagen, dass sich all diese Verse historisch auf Situationen der Selbstverteidigung der muslimischen Gemeinde zurückführen lassen. Es geht also immer um Selbstverteidigung, niemals um Angriff und Terror und schon gar nicht um die Ermordung Unschuldiger.

KNA: Es werden derzeit kritische Äußerungen des IS kolportiert, der Papst wolle mit seiner jüngsten Aussage "die muslimische Nation befrieden". Wie seriös sind solche Zitate des IS?

Stosch: Der IS will die Welt in Muslime und die Feinde des Islam aufspalten. Deshalb kämpft er genauso gegen gemäßigte Muslime wie gegen Christen, die Muslime als ihre Freunde ansehen. Aus Sicht des IS kann es Freundschaft zwischen Muslimen und Nichtmuslimen nicht geben. Seine Ideologie lechzt nach Gegnern wie Donald Trump und Marine Le Pen. Der Papst ist von daher sein gefährlichster Gegner. Er ist in der muslimischen Welt äußerst populär, und viele Muslime verehren ihn wie einen Heiligen. So etwas darf es aus Sicht des IS nicht geben. Von daher könnten solche Zitate durchaus authentisch sein.

KNA: Was lässt sich aus solchen Äußerungen ablesen?

Stosch: Sie zeigen indirekt, wie wir gegen den IS gewinnen können - nicht allein durch militärische Gewalt, sondern dadurch, dass wir uns von ihm unsere Freundschaft mit Muslimen nicht zerstören lassen. Die beste Terrorprävention besteht darin, Muslimen und ihrer Religion unsere Wertschätzung zu zeigen. Hier haben wir Christen durchaus noch Nachholbedarf. Es ist uns theologisch bisher kaum gelungen, unsere Wertschätzung dem Islam gegenüber zu zeigen und zu begründen.

KNA: Wie kann sich die mutmaßlich übergroße Mehrheit der Muslime dagegen wehren, dass eine kleine, extrem gewaltbereite Minderheit im Namen ihrer Religion Anschläge verübt und damit den Islam insgesamt in Misskredit bringt? Müssten sich die Islamverbände deutlicher positionieren?

Stosch: Muslime wehren sich schon jetzt, indem sie sich auf allen Ebenen von den Terroristen distanzieren. Wir müssen davon nur mehr berichten. Und wir sollten den Mut haben, uns in privaten Begegnungen davon zu überzeugen. Letztlich werden wir die Aufteilung der Welt in zwei Lager nur verhindern können, wenn wir an unzähligen Orten Brücken zwischen unseren Religionen bauen. Genau diesen Weg macht uns der Papst vor, und wir sollten ihm hier mit noch mehr Einsatz folgen.

KNA: Wo sehen Sie Gruppen oder einzelne Muslime, die besonders empfänglich sind für islamistische Gewaltbotschaften?

Stosch: Leider gibt es auch in unseren westlichen Gesellschaften viele junge Muslime, die nicht ausreichend über ihre eigene Religion informiert und dadurch für die Propaganda von Extremisten empfänglich sind. Was wir brauchen, ist guter Religionsunterricht auf allen Seiten, bessere Bildung in Sachen Religion. Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung, die es uns erlaubt, große Errungenschaften der Religionen zu sehen und zu würdigen. Zugleich müssen wir lernen, mit ambivalenten Schriftstellen kompetent umzugehen. Das geht alles nicht im Vorbeigehen, sondern braucht noch viel mehr theologische Arbeit - an den Universitäten und Schulen, aber auch in den Gemeinden und Familien. Die Zeiten sind vorbei, in denen Fragen der Religion nur von privatem Interesse sein durften.

Das Interview führte Sabine Kleyboldt.


Quelle:
KNA