Der Papst und die Armenien-Resolution

Hätte der Bundestag ohne Franziskus anders entschieden?

Papst Franziskus hat die Massaker an den Armeniern bereits vor mehr als einem Jahr als "Völkermord" bezeichnet. Damit beeinflusste er auch die deutsche Debatte, die schließlich in einer Bundestags-Resolution mündete.

Autor/in:
Thomas Jansen
Papst Franziskus / © Ettore Ferrari (dpa)
Papst Franziskus / © Ettore Ferrari ( dpa )

Papst Franziskus als Geburtshelfer der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages zu bezeichnen, ginge wohl zu weit. Doch dass er mit seiner öffentlichen Benennung der Gräueltaten an den Armenien als "Völkermord" im vergangenen Jahr die politische Debatte darüber in Deutschland beeinflusst hat, ist offensichtlich.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, einer der Initiatoren der Resolution, beschrieb die Lage am 19. April 2015 so: Franziskus habe "klare und richtige Worte zum Völkermord an den Armeniern" gefunden und sei dafür von Recep Tayyip Erdogan "unflätig angegriffen worden", sagte er. Die Union müsse sich nun "gut überlegen, auf welcher Seite sie in dieser historischen Debatte steht".

Papst sprach vom "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts"

Das war eine Woche nachdem der Papst in einem Gedenkgottesdienst für Armenier im Petersdom am 12. April vom "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts" gesprochen hatte. Und fünf Tage vor einer Gedenkstunde des Bundestages zu den Massakern vor 100 Jahren, dem Vorspiel für die jüngste Resolution. Auffällig war, dass sich die damalige Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD wenige Tage nach der Rede des Papstes darauf verständigte, das Wort "Völkermord" in den Haupttext ihres Antrags aufzunehmen. Auf Druck der Bundesregierung war das Wort bislang nur in der Begründung verwendet worden.

Vergleicht man allein den Wortlaut, so ist die päpstliche Äußerung zurückhaltender als die Resolution des Bundestages. Franziskus sagte: "Die Menschheit hat im vergangenen Jahrhundert drei große, unerhörte Tragödien erlebt: die erste, die allgemein als 'der erste Genozid des 20. Jahrhunderts' angesehen wird; diese hat euer armenisches Volk getroffen". In der Resolution des Bundestages heißt es, das Schicksal der Armenier stehe "beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist".

Papst Franziskus zitiert Vorgänger Johannes Paul II.

Franziskus verwendete damit zudem ein Zitat seines Vorgängers Johannes Pauls II. Dieser hatte 2001 während eines Armenien-Besuchs in einer gemeinsamen Erklärung mit Karekin II. bekundete: "Die Ermordung von eineinhalb Millionen Christen ist das, was generell als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird." Der Bundestag zitierte Bundespräsident Joachim Gauck.

Betrachtet man den Zusammenhang, gingen die Worte des Papstes über die Erklärung der Bundestagsabgeordneten hinaus: Franziskus stellt den Völkermord mit den Armeniern ausdrücklich in eine Reihe mit den Verbrechen von Nationalsozialismus und Stalinismus. Die Resolution schränkt ein, man wisse jedoch um die "Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung" trage. Franziskus ging es damals im Petersdom nicht in erster Linie um die Feststellung eines historischen Faktums, sondern um die Aussöhnung zwischen Armeniern und Türken. Dies sei jedoch nur möglich, wenn man sich der Vergangenheit stelle.

Heftige Reaktion der türkischen Regierung

Die türkischen Reaktionen auf die Äußerung des Papstes waren dennoch heftig. "Der geehrte Papst wird diese Art von Fehler höchstwahrscheinlich nicht wieder begehen", drohte Staatspräsident Erdogan. "Ich möchte ihn dafür rügen und warnen." Er bezeichnete die Worte des Papstes als "Unsinn". Außenminister Mevlüt Cavusoglu erklärte via Twitter, der Papst schüre "Hass". Die Türkei bestellte den vatikanischen Botschafter in Ankara ein. Nachhaltig beschädigt wurden die diplomatischen Beziehungen offenbar nicht.

Franziskus hat sich mit der Verwendung des "V-Wortes" dem Vernehmen nach über die Empfehlung seiner diplomatischen Berater hinweggesetzt. Einige Monate vorher kündigte er nur einen Gottesdienst mit Katholiken des armenischen Ritus im Petersdom an. Erst in der kurz vor Beginn der Messe verschickten Mitteilung ließ das vatikanische Presseamt die Katze aus dem Sack: "Heilige Messe zum 100. Jahrestag des armenischen Martyriums mit dem Ritus der Erhebung des heiligen Gregors von Narek zum Doktor der Kirche". Den Begriff "Völkermord" behielt man jedoch dem Papst vor.


Quelle:
KNA