Franziskus reist in ein kleines Land in einer komplexen Region

Pulverfass Armenien

Während der Bundestag das Verbrechen an den Armeniern zum Völkermord erklärt hat, bereitet sich der Papst auf seine Reise nach Jerewan vor. Es geht nicht nur um Geschichte, sondern um einen sehr aktuellen Konflikt.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Hochland in Armenien / © Stefan Quilitz (DR)
Hochland in Armenien / © Stefan Quilitz ( DR )

Der Bundestag hat in Berlin eine Resolution zum Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich verabschiedet. Dabei geht es um mehr als nur um eine hundert Jahre alte Geschichte. Eine Anerkennung der Zwangsumsiedlung mit bis zu 1,5 Millionen Toten als Völkermord wäre politisches Kapital für die Regierung in Jerewan gegenüber der Türkei und Aserbaidschan. Das weiß auch Papst Franziskus, der Armenien vom 24. bis 26. Juni besucht.

Ursprünglich plante der Papst eine Reise nach Armenien und dessen Erzfeind Aserbaidschan im September. Nachdem es, wie es in Rom heißt, Einwände von armenischer Seite gab, entschloss sich der Vatikan zu getrennten Visiten: Armenien im Juni, Aserbaidschan und Georgien vom 30. September bis zum 2. Oktober. Die Entscheidung dazu fiel im März.

Erneut Gefechte

Wenig später, am 2. April, brachen nach Jahren des Waffenstillstands zwischen Armenien und Aserbaidschan wieder Gefechte um Berg-Karabach aus - als solle das die Dringlichkeit einer päpstlichen Friedensinitiative vor Augen führen.

Nach vatikanischer Sprachregelung geht es um einen Pastoralbesuch bei den weniger als 200.000 Katholiken des Landes. Armenien gilt als ältestes christliches Land der Welt; die nicht mit Rom verbundene Armenische Apostolische Kirche ist mit einem Bevölkerungsanteil von 93 Prozent faktisch noch immer eine Staatskirche. Ähnlich liegen die ethnischen und religiösen Verhältnisse auch in Berg-Karabach, das offiziell zu Aserbaidschan gehört - dort herrschen praktisch umgekehrte Mehrheiten: Neun von zehn Aserbaidschanern sind Muslime, die meisten Schiiten.

Schlechte wirtschaftliche Situation

Der jüngste Vier-Tage-Krieg um Berg-Karabach - ohne nennenswerte Geländegewinne, stattdessen mit mehreren Dutzend Toten auf beiden Seiten - offenbart, wie angespannt die Nerven sind. Aserbaidschan und sein seit 2003 amtierender Präsident Ilham Aliyev stehen auch innenpolitisch unter Druck: Der niedrige Ölpreis setzt dem Land, das gut über 90 Prozent seiner Exporteinnahmen aus Erdöl und Gas erwirtschaftet, stark zu. Die Landeswährung Manat hat seit zwei Jahren fast die Hälfte an Wert verloren; Preisanstiege und Arbeitslosigkeit führten im Frühjahr zu Protesten in mehreren Städten.

Unterstützung "bis zum Ende"

Rückhalt erhofft sich die Regierung in Baku nicht zuletzt von der Türkei, mit der das Land durch Wirtschaftsabkommen - unter anderem die im Bau befindliche Transanatolische Pipeline - verbunden ist. Präsident Recep Tayyip Erdogan sicherte Aliyev denn auch anlässlich des jüngsten Konflikts eine Unterstützung "bis zum Ende" zu. Ein anderer wichtiger Partner ist der Iran, wo um die 15 Millionen ethnischer Aserbaidschaner leben, anderthalb mal so viel wie in Aserbaidschan selbst.

Auch zu Russland pflegt Baku solide und sich verbessernde Beziehungen; im wesentlichen aber agiert Moskau als Schutzmacht des Feindes: Mit Armenien besteht ein Beistandspakt, Russland unterhält dort eine Militärbasis. Die Kirchen stützen die Verbindung - Moskaus Patriarch Kyrill legte 2010 im Beisein des armenischen Katholikos Karekin II. den Grundstein für eine russisch-orthodoxe Kirche in Jerewan; als im April 2015 in Etschmiadsin eine Million Armenier zum hundertsten Jahrestag der Verfolgung heiliggesprochen wurden, entsandte Kyrill eine namhafte Delegation.

Geopolitisches Spannungszentrum

Mit seinem dreitägigen Besuch in Armenien reist Franziskus damit auch in ein geopolitisches Spannungszentrum. Die Türkei, Russland und der Iran haben ihre je eigenen Interessen im Kaukasus. Die Religionsgemeinschaften Armeniens wie Aserbaidschans tragen noch immer schwer an vergangenen Gräueltaten, gegenseitigem Misstrauen und nicht zuletzt an sieben Jahrzehnten Säkularisierung unter kommunistischer Herrschaft.

Natürlich wird mit Spannung erwartet, ob der Papst am Mahnmal von Zizernakaberd den Genozid-Begriff in den Mund nehmen wird. Dies hat er auch bei früheren Gelegenheiten getan und sich harsche Reaktionen der Türkei eingehandelt. Aber sein Ziel bei dieser Reise, so verlautet aus Kirchenkreisen, ist weniger eine Stellungnahme zu historischen Ereignissen als eine Öffnung der verfeindeten Staaten füreinander.

 


Quelle:
KNA